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Mit Baby und Bier im Gemeinderat?

Lokalpolitik mit Skandalfaktor: In Österreich gab’s vergangene Woche einen riesigen Eklat, weil eine stillende Mutter ihr Baby mit in den Gemeinderat von Innsbruck gebracht hat.

Oder weil ein Journalist das offene Geheimnis gelüftet hat, dass es im Innsbrucker Gemeinderat üblich ist, in der Sitzungspause an die Bar zu gehen und ein alkoholisches Getränk zu sich zu nehmen, woraufhin mehrere Gemeinderäte laut Berichterstattung „zumindest nicht mehr nüchtern“ waren.

Oder, das wäre die dritte Lesart, weil eine Frau mit Bierflasche und Baby im Gemeinderat saß und dieser Anblick (nicht mehr nüchterne?) konservative Kommunalpolitiker extrem verstörte. Dass es sich bei dem Bier der Mutter um ein alkoholfreies handelte, ist die große Ironie an der Geschichte, und am Ende hat ein Lokaljournalist seinen Job verloren, weil einige Kommunalpolitiker sich beschwerten.

Rush-Hour des Lebens und Vereinbarkeit von Familie und Mandat

Babys finden bei uns im Konstanzer Stadtrat, wie auch anderswo in Deutschland, eigentlich nicht statt, und Bier während der Sitzungen gibt’s auch nicht. Ersteres hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die Kohorte der 30-45-Jährigen in der Kommunalpolitik (Link zu neuer, lesenswerter Publikation der eaf Berlin) nur sehr schlecht vertreten ist, insbesondere, wenn es sich um Frauen handelt. Rush-Hour des Lebens und so, und der Frauenanteil in den Parlamenten ist ja eh immer noch weit entfernt von Parität.

Die fehlende Vereinbarkeit von Familie und Mandat wird oft thematisiert, aber ein System, das vorwiegend von Nicht-Sorgearbeitenden und nicht von Eltern geprägt wird, ändert sich halt nur langsam in Richtung Familienfreundlichkeit. Manche Menschen sehen auch gar keinen Grund, Änderungen anzustreben, und lehnen die Teilhabe von Menschen, „die es nicht einrichten können“, gänzlich ab – ein Demokratie-Verständnis, das ich wiederum total befremdlich finde.

Umso spannender folglich, was passieren kann, wenn sich doch mal jemand erdreistet, so einen jungen Erdenbürger mitzunehmen ins Kommunalparlament. (Wer die Nachrichten verfolgt, wird sich an weitere Aufreger alle Jubeljahre erinnern, wenn Frauen ihr Baby mit in Parlamente bringen.)

Elternzeit für Mandatsträger? Gibt’s nicht

Es gibt für Gemeinderäte in Deutschland keine Elternzeit. Das ist ein Mandat, das personengebunden ist, und wenn du wegen Schwangerschaft und Baby fehlst, dann fehlt auch deine Stimme im Gemeinderat. Es gibt keine Möglichkeit, sich vertreten zu lassen, das muss man dazu wissen. Deswegen ist es eigentlich ziemlich naheliegend, ein Baby gelegentlich mitzunehmen, wenn es denn pflegeleicht genug ist und für Mutter und Kind passt. Aber es ist eben ein ungewohnter Anblick, auch bei uns im Rat.

Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals jemand sein Baby mitgebracht hätte in den Gemeinderat. Es gab auch nicht besonders viele Babys in den 9 Jahren, die ich nun schon dabei bin – vielleicht 3, maximal 4. Und wenn ich mich richtig erinnere, dann waren das Babys von Männern, die in den Gemeinderat gewählt worden waren. Ein Fraktionskollege von mir wurde vor ein paar Jahren nochmal Vater, aber er brachte eher seinen älteren Sohn dann hie und da mal mit zu einem Spatenstich, das Baby hingegen blieb bei der Mutter zuhause. So hielten es auch die anderen frischgebackenen Eltern.

Das Baby als Stimmungsaufheller

Dies war also die Ausgangslage auch in Konstanz, bis vor 3 Wochen. Denn da geschah das Unerhörte: Ein junger Vater, Gemeinderat und Lehrer, brachte sein Baby mit in eine Sitzung. Zwar keine Gemeinderatssitzung, sondern eine Beiratssitzung, aber es war trotzdem eine Sitzung mit Wow-Effekt. Dieses Baby sorgte für ganz hervorragende Stimmung in der Runde. Wir waren etwa 15 Sitzungsteilnehmer, und es ging um kindernahe Sozialthemen, sodass das Baby auch inhaltlich gut passte, aber es war eben durchaus eine ernsthafte Angelegenheit mit Geschäftsbericht und wichtigen Tagesordnungspunkten.

Es war erstaunlich, zu sehen, wie freundlich zum Beispiel die Frau aus dem Rechnungsprüfungsamt, die dabei war, gucken kann, die auf mich sonst immer einen relativ trockenen Eindruck gemacht hatte. Angesichts des Babys bekam sie einen geradezu weichen Zug um den Mund. Und der einen Geschäftsbericht vortragende Redner erwies sich als ausgesprochen humorvoll und souverän, obwohl teils laute Geräusche vom Baby kamen und es viel Freude daran hatte, energisch auf dem IPad seines Vaters herumzuklopfen.

Papa mit Baby im Gemeinderat wird anders bewertet

So weit, so wunderbar. Aber wie wäre es gewesen, hätte die ebenfalls junge, momentan noch kinderlose Stadträtin einer anderen Fraktion ein Baby mitgebracht? Sie hatte das Baby nämlich eine Zeit lang auf dem Schoß, um den jungen Vater zu entlasten, und wie ich sie so sah, wurde mir klar, dass das Wohlwollen der Sitzungsteilnehmer wahrscheinlich wesentlich weniger stark ausgefallen wäre. Vielleicht hätte man gesagt oder gedacht, „Muss das sein?“, und „Die Frau kann wohl die Betreuung nicht richtig organisieren.“

Bei einem Mann ist das aber etwas anderes, der wird gelobt dafür, dass er sein Baby mitnimmt und sich kümmert. (Er hatte übrigens nicht einmal gefragt vorab, sondern das Baby einfach mitgenommen. Das hätte sich eine Frau wohl auch eher nicht getraut.)

Vielleicht hatte ich mich mit meiner feministischen Brille gedanklich verrannt? Um das zu überprüfen, sprach ich nach der Sitzung noch etwas länger mit den beiden, sowohl dem jungen Vater als auch mit der kinderlosen Rätin. Sie sahen jedoch genauso wie ich und hatten während der Sitzung ganz ähnliche Gedanken wie ich gehabt. Es war spannend, das miteinander durchzusprechen, weil die beiden sehr reflektierte Menschen sind, die ich schätze, und weil sie den inhärenten Sexismus ebenfalls bemerkt hatten. Das immerhin macht Mut, finde ich.

Zack, Sitzung vorbei – das Baby als Sitzungsbeschleuniger

Und eins war auch noch interessant: Diese Sitzung war viel schneller vorbei, als dies sonst bei diesem Gremium der Fall ist. Da Gemeinderatssitzungen bei uns meist elendig lange dauern, sind wir da vielleicht etwas ganz Großem auf der Spur. Babys als Sitzungsbeschleuniger und Effizienzsteigerungs-Geheimrezept, das nächste große Ding in der Kommunalpolitik!?

Die Kolumne „Stadtratsleaks“ erscheint hier exklusiv jeweils am 15. des Monats. Bisher gibt es sechs Folgen. Ich schreibe sie, um die Demokratie etwas erlebbarer zu machen.

Mit Baby im Gemeinderat
Christine mit Baby

UN Sonderberichterstatterin warnt vor Hetzkampagnen und Zensur von Frauen durch Transaktivisten

Die Überschrift ist „on me“, denn natürlich formuliert eine UN Sonderberichterstatterin ihre offenen Briefe wesentlich diplomatischer als ich es mir erlauben kann, und sie erwähnt die Transaktivisten nicht direkt, aber die Quintessenz des gestern von Reem Alsalem, der UN Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Frauen und Mädchen, publizierten Statements ist genau das – eine Warnung, dass Frauenrechte auf dem Spiel stehen.

Alsalem hatte sich bereits vergangenen November zu Wort gemeldet, als in Schottland das Selbstbestimmungsgesetz beschlossen werden sollte. Damals schrieb sie einen offenen Brief an Nicola Sturgeon, die übrigens unter anderem wegen der innenpolitischen Tumulte, die das dort „Gender Recognition Bill“ genannte Gesetz im Nachgang mit sich brachte, ihren Hut nehmen musste und Mitte Februar als Regierungschefin zurücktrat.

Dies hatte mit in Frauengefängnissen untergebrachten Transfrauen zu tun oder, je nach Sichtweise, mit gewalttätigen Männern, denen auf einmal einfiel, dass sie sich als Frau fühlen. Diese Personen saßen teils wegen Vergewaltigung und schweren Straftaten ein und bedrohten im Gefängnis weiter Frauen. Am Ende schoss sich die Schottische Regierungschefin mit der Unfähigkeit, Reportern auf die Frage „Was ist eine Frau?“ zu antworten, ins Aus.

Frauen, Feministinnen und Aktivistinnen im Visier von Transaktivisten

Inzwischen ist auch Alsalem selbst das Opfer von Kampagnen geworden und hat dazu im April öffentlich Stellung genommen – Aktivisten haben versucht, sie aus dem Amt zu mobben. Zum Glück ohne Erfolg, aber es ist bemerkenswert, mit welcher Energie diese Leute versuchen, kritische Stimmen zu der Selbstbestimmungsgesetzes-Welle, die gerade ganz Europa erfasst, zum Schweigen zu bringen.

Da ich mich, genauso wie andere in Sachen Frauenrechte aktive Frauen, gestern sehr gefreut habe, das Statement von Alsalem zu lesen, habe ich es ins Deutsche übersetzt, damit es einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Alsalem, wie auch mir, liegt der Schutz von traumatisierten Frauen und Kindern besonders am Herzen, und natürlich auch die Meinungsfreiheit von Frauen, ihr Schutz vor Einschüchterung und psychischer, finanzieller und jeglicher Art von Gewalt, und am Ende geht es um nicht weniger als den Erhalt der Demokratie.

Hier also meine Übersetzung: Bei Ungenauigkeiten/Fehlern in der Übersetzung, die euch auffallen, bitte ich um Nachricht, damit ich ggfs. Korrekturen vornehmen kann.

Reem Alsalems Statement:

Diskriminierung aufgrund von Geschlecht und sexueller Orientierung ist nach internationalen und regionalen Menschenrechtsgesetzen verboten.

Ich bin besorgt über den schwindenden Raum für Zusammenkünfte und freie Meinungsäußerung von Frauen und feministischen Organisationen sowie ihrer Verbündeten in mehreren Ländern des globalen Nordens, die friedlich Respekt für ihre Bedürfnisse einfordern, die auf geschlechtsbasierten Bedürfnissen und/oder auf sexueller Orientierung basieren.

Der Gesetzeshüter spielt eine entscheidende Rolle dabei, legale Versammlungen von Frauen zu schützen und die Sicherheit von Frauen, sowie ihr Recht auf Versammlungsfreiheit und Redefreiheit ohne Einschüchterung, Nötigung oder praktisches Silencing zu gewährleisten. Es ist eindeutig, dass dort, wo der Gesetzesgeber es nicht geschafft hat, die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen, wir Vorfälle verbaler und körperlicher Gewalt mit ansehen mussten,  Bedrohung, und Einschüchterung, mit dem Ziel, solche Veranstaltungen zu sabotieren und zu behindern, und die Frauen, die dort sprechen wollten, zum Schweigen zu bringen.

Ich bin beunruhigt über die häufig praktizierte Taktik von Hetzkampagnen gegen Frauen, Mädchen und ihre Verbündeten, deren Anti-Diskriminierungsfokus sich an sexueller Orientierung und am Körpergeschlecht orientiert. Diese als „Nazis“, „Befürworterinnen eines Genozids“, oder „Extremistinnen“ zu markieren, stellt eine Attacke und einen Einschüchterungsversuch dar, der das Ziel hat, Frauen vom Sprechen abzuhalten und ihre Meinungen zu äußern. Solche Handlungen sind zutiefst besorgniserregend, weil sie beabsichtigen, Angst unter den Frauen zu verbreiten und sie dazu zu nötigen, aus Scham zu schweigen, und weil sie Gewalt und Hass gegen diese Frauen schüren. Solche Handlungen beeinträchtigen die würdevolle Teilhabe von Frauen und Kindern in der Gesellschaft massiv.

Ich bin ebenfalls besorgt über die Art und Weise, wie in einigen Ländern Bestimmungen für die Kriminalisierung von Hate Speech wegen mehrerer Gründe, darunter auch Gender Expression (Ausdruck der Geschlechtsidentität) und Geschlechtsidentität interpretiert wurden. Frauen und Kinder haben das Recht, jedes Thema frei von Einschüchterungsversuchen und Gewaltandrohungen zu diskutieren. Dies beinhaltet Themen, die ihnen wichtig sind, insbesondere wenn diese mit ihrer angeborenen Identität in Verbindung stehen, und aufgrund derer Diskriminierung verboten ist. Eine Meinung zu den auf Geschlecht und Geschlechtsidentität basierenden Rechten innerhalb einer Gesellschaft zu haben, und diese Meinung auszudrücken, sollte nicht als unrechtmäßig dargestellt werden, nicht trivialisiert werden, und nicht abgetan werden.

Laut internationalen Menschenrechten darf jede Einschränkung der Meinungsfreiheit nur in Übereinstimmung mit den Menschenrechtsstandards bezüglich legitimen Zwecks, Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit erfolgen und sie muss ein berechtigtes Ziel anstreben. Diejenigen, die mit den Meinungen der Frauen und Mädchen, die ihre Bedenken bezüglich Geschlechtsidentität nicht teilen, haben auch das Recht, ihre Meinung zu äußern. Allerdings dürfen sie, wenn sie das tun, nicht die Sicherheit und Unversehrtheit derjenigen, gegen die sie protestieren, bedrohen. Wenn man die Fähigkeit von Frauen und Männern, die ihre Bedenken gegen das Ausmaß der auf Geschlechtsidentität basierenden Rechte äußern, durch Hemmnisse einschränkt, ist dies eine Verletzung der Grundrechte auf Gedankenfreiheit und auf freie Meinungsäußerung, und dies führt letztendlich zu ungerechtfertigter oder umfassender Zensur.

Besonders besorgniserregend sind die unterschiedlichen Formen von Vergeltungsmaßnahmen gegen Frauen, darunter Zensur, rechtliche Schikanen, der Verlust des Arbeitsplatzes, der Verlust von Einkommen, das Vertreiben der Frauen von Social Media Plattformen, der Verlust von Sprecherinnen-Auftritten, und die Weigerung, Forschungsergebnisse sowie Artikel zu publizieren. In einigen Fällen werden weibliche Politiker von ihren Parteien bestraft, bis hin zu der Androhung von Entlassung oder tatsächlicher Entlassung.

Link zum Original-Statement auf Englisch.

Alleinerziehend: „Solo, selbst und ständig“ von Anne Dittmann

Als Anne Dittmann sich im August 2016 trennte, nein für sie völlig überraschend erfuhr, dass ihr Partner und Vater des gemeinsamen Kindes sich von ihr trennen wollte, brach erstmal eine Welt zusammen.

Ihr Kind war etwas über ein Jahr alt, und eine der ersten Erfahrungen als nun plötzlich Alleinerziehende war, dass sie, anders als die Welt, nicht auf der Stelle zusammenbrechen konnte, sondern noch mit dem Kind den normalen Alltag bis zur Schlafenzeit durchstehen musste. Geweint hat Anne dann später. Das war so etwas wie der Kaltstart ins Leben als Alleinerziehende, und wäre Annes Leben ein Film, dann würde ich ihn auch genau so anfangen lassen, wie dieses Buch beginnt.

Alleinerziehend: Manche Dinge ändern sich – manche bleiben gleich

Die frisch getrennte Anne muss feststellen, dass weder ihre persönliche Umgebung, noch Staat und Gesellschaft in der Lage oder willens sind, sie in dieser schwierigen Situation gut aufzufangen, und offenbar hat sie mein damals frisch erschienenes Buch „Allein, alleiner, alleinerziehend“ gelesen, denn dieser Satz von mir ist ihr haften geblieben, und taucht gleich auf S. 26 als Zitat in Anne Dittmanns Buch auf: „Der einzig akzeptable Grund dafür, eine alleinerziehende Frau zu sein, ist durch einen tragischen Schicksalsschlag zur Witwe geworden zu sein.“ Ich fürchte übrigens, der Satz stimmt immer noch, und dass das auch noch eine Weile so bleiben wird.

Inzwischen sind fast 7 Jahre vergangen, Anne Dittmann hat sich eine erfolgreiche Selbstständigkeit als Journalistin aufgebaut und pflegt eine gute Beziehung zum Vater des gemeinsamen Kinds und dessen neuer Partnerin. Aber ihren kritischen Blick auf die Strukturen hat sie sich nicht nur bewahrt, sondern geschärft, und so schafft sie es in diesem Buch, sowohl ihre persönliche Geschichte als auch jede Menge Fakten unterzubringen.

Es ist ein sehr persönliches und ein sehr politisches Buch, und ich bin froh, dass sie es geschrieben hat. Wieviel Arbeit für die Recherche und wieviel Herzblut und auch Mut in so ein Buch hineinfließt, kann ich bestens nachvollziehen, und deswegen hoffe ich, dass es eine breite Leserschaft und auch viel Resonanz in der Presse finden wird. Mein Buch (Link zum Lübbe Verlag) hatte damals ein sehr großes Medienecho, womit ich niemals gerechnet hätte – und ich glaube auch, dass es einiges bewegt hat.

Mit Anne Dittmann spricht eine neue Generation Alleinerziehender

Annes Buch ist mehr als ein würdiger Nachfolger, es ist auf seine Art ganz anders, aber doch ähnlich vom Ansatz her, und natürlich ist Anne Dittman auch eine ganz andere Generation, sie ist fast 25 Jahre jünger als ich. Und so würde ich im Zusammenhang mit dem Thema „Gewalt gegen Frauen“ niemals von „Gewalt gegen weiblich gelesene und nichtbinäre Personen“ schreiben, und ich hätte auch kein „Sensitivity Reading“ übers Buch gehen lassen. Aber das ist Geschmackssache, und ich bin mir im Klaren, dass ich mit meinen 56 Jahren anders ticke als die junge Generation.

Es ist ein hervorragend lesbares, mit Informationen und allen wichtigen Fakten gespicktes Werk, das die Dinge auf den Punkt bringt und dabei nie langweilig wird. Sämtliche wichtigen Facetten des Alleinerziehendseins werden gründlich behandelt, bis hin zum Thema Liebe, dem das letzte Kapitel gewidmet ist.

Anne ist nun seit 7 Jahren Single, ich bin es seit 13 – und die Liebe und das Dating sind tatsächlich das letzte, woran wir meistens denken, wofür wir Zeit haben, und das Platz im Leben findet. Das scheint generationenübergreifend zumindest für einen großen Teil der Frauen zu gelten, die alleinerziehend sind, und ich finde das ebenso bezeichnend wie den Anfang, den Anne Dittmann für ihr Buch gewählt hat, denn auch mein Buch aus 2016 endete mit einigen Seiten zum Thema Liebe und Ausgehen.

Da scheint also doch einiges Verbindendes zu sein, selbst wenn ich mich aus dem Themenbereich „Alleinerziehend“ schon vor 2 Jahren mehr oder weniger rausgezogen habe (Siehe dazu diese Ankündigung bei Insta, die ich im Juni 2021 machte. Ich habe zu diesem Zeitpunkt verkündet, dass ich mich nun zu alt fühle, um noch aktivistisch tätig zu sein).

Und natürlich habe ich noch Sympathien für die Anliegen Alleinerziehender, und setze mich politisch für eine gerechtere Behandlung ein. Dabei kann dieses Buch helfen, denn es ist solide, packend und Anne Dittmann eine echte Sympathieträgerin. Ich hoffe, sie wird in zahlreiche Talkshows eingeladen, und dass dieses Buch, anders als meins damals, ein Bestseller wird! Das Zeug dazu hat es auf jeden Fall. Es liegt an euch.

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Aber nicht neben Norbert! Die Sitzordnung im Gemeinderat

Wer neben wem, wer darf ganz vorne sitzen, oder ist die letzte Reihe an der Tür doch cooler? Die Umgebungen ändern sich, die Fragen bleiben. Aktuell steht das Thema Sitzordnung wieder auf der Agenda – und ich nehme euch in dieser Ausgabe von „Stadtratsleaks“ mit hinter die Türen:

Ab Mai werden wir, nach drei Jahren, in denen wir coronabedingt auf andere Sitzungsorte ausweichen mussten, wieder im Ratssaal tagen – und die Verwaltung nutzt diese Gelegenheit, um einen erneuten Vorstoß zu machen, eine neue Sitzordnung zu etablieren. Das ist tatsächlich ein kluger Schachzug, denn durch die wechselnden Sitzungsorte, die wir in der Pandemie hatten, sind alle Räte gezwungen gewesen, etwas flexibler zu werden, was die eigene Verortung im Raum betrifft.

Jaha, das ist nämlich eine große Sache, und nicht zu unterschätzen! Die beiden Fraktionen mit den meisten Mitgliedern, also dem höchsten Stimmenanteil bei den letzten Wahlen, sitzen qua „Das war schon immer so!“ am nächsten an den Bürgermeistern (alle drei männlich) und der Verwaltungsbank dran, was ihre Wichtigkeit unterstreicht. Die großen Fraktionen kommen auch bei Wortmeldungen zuerst dran, das steht so in unserer Geschäftsordnung. Meine kleine, aus 4 RätInnen bestehende Fraktion sitzt folglich immer ziemlich weit weg vom Zentrum der Macht, irgendwo in der Nähe von FDP und den Linken, die mit jeweils 3 Sitzen im Konstanzer Gemeinderat vertreten sind.

Linkes Lager, rechtes Lager – das spiegelt auch die Sitzordnung

Wir haben in Konstanz, anders als man das aus dem Bundestag kennt, kein Halbrund, in dem quasi alle Parteien wie Tortenstücke vor dem Präsidium sitzen, sondern hatten bisher im Ratssaal zwei sich gegenübersitzende Reihen mit Tischen, die gerade aufgestellt waren – wie in der Schule, nur dass man sich in der Schule normalerweise nicht gegenübersitzt.

Also zwei Reihen links (Grüne, SPD, Linke) und zwei Reihen rechts (CDU, FW, JFK, FDP), wobei das sich nicht gänzlich mit der politischen Ausrichtung deckte, denn wir saßen rechts, und waren damit eigentlich falsch platziert. Mit den Konservativen haben wir politisch wenig gemein, aber irgendwie musste man ja die Wahlergebnisse auch in den Raum bringen, und wir sind da nicht so kleinlich – während andere Fraktionen sich sehr echauffieren können über neue Sitzordnungen oder Entwürfe zu selbigen.

Alte Sitzordnung im historischen Ratssaal – zwei Reihen links, zwei Reihen rechts, hinten die Öffentlichkeit/BürgerInnen

Es ist nämlich nicht das erste Mal, dass die Verwaltung, angeführt vom OB, versucht, eine neue Sitzordnung einzuführen. Der Grund ist, dass unser Ratssaal in Konstanz im historischen Rathaus liegt, und er nicht nur relativ klein ist (weswegen wir auch während der Pandemie dort nicht weiter tagen konnten), sondern auch noch mittendrin wuchtige hölzerne Säulen stehen, die die Sicht behindern.

Für uns als einzelne Räte ist das irgendwas zwischen lästig und lustig, denn es gibt durchaus auch Ratskollegen, die der eine oder andere nicht so gerne 6 Stunden lang frontal angucken möchte, aber für die Zusammenarbeit untereinander und die Sitzungsleitung ist es eine Herausforderung.

Nicht jede/r kann Flüstern – egal, wie die Sitzordnung ist

So gab es in der Vergangenheit zu einem Sitzungstermin schonmal probeweise eine völlig andere Sitzordnung, nämlich die Verwaltung und der OB an einer Längsseite platziert, und die 40 RätInnen wie Schulkinder in 5 Reihen zu 8 Leuten hintereinander gesetzt (Oder waren es 4 Reihen mit 10 Leuten?) mit einem Mittelgang zum Durchlaufen. Das kam nicht gut an, wie ich hörte – ich selbst war zu dieser Gemeinderatssitzung verhindert, habe aber durch unsere Rats WhatsApp Gruppe mitbekommen, dass das Gemosere quasi durch die Bank groß war.

Sich entweder nur auf die Hinterköpfe zu gucken oder ganz vorne sitzend den ganzen Saal im Nacken zu haben, stelle ich mir auch nicht sehr angenehm vor, und es hieß, die Akustik sei schlecht gewesen, was ich darauf zurückführe, dass es halt hilft, wenn man das Gesicht des Redners auch sieht, und sei es nur, um bei der Stange zu bleiben und Informationen auch über die Mimik zu empfangen.

Sitzordnung Stadtrat
Geplante Sitzordnung für den Stadtrat ab Mai

Die neue Sitzordnung ab Mai soll ein großes Oval sein, bei dem sich fast alle gegenseitig sehen können (solange die Säulen es nicht verhindern), was den potenziellen Nachteil mit sich bringt, dass wir grundsätzlich deutlich weiter auseinander sitzen.

Normalerweise reden Fraktionsmitglieder auch manchmal leise miteinander über die Tische hinweg, wenn es noch kurzfristig Entscheidungen abzustimmen gibt, das war bei den geclusterten Zweierreihen hintereinander gut möglich, aber teilweise auch recht laut, weil a) nicht alle Menschen gut flüstern können und b) die Tischreihen doch ziemlich viel Abstand zueinander hatten, ich sehe hier also nicht unbedingt eine Verschlechterung. Und meine Fraktion kommuniziert eh in den Sitzungen über Signal, wir verstehen uns auch so.

Zu eng, zu nah, zu weit auseinander – irgendwas ist immer

Ich hatte schon Gelegenheit, die neue Bestuhlung Probe zu sitzen, als Friedhofsbeirat war im März, und ich fand’s gut. Aber ich weiß jetzt schon, dass es wieder Mecker geben wird, denn irgendeine Fraktion wird in der Nähe der Eingangstüre des Saals sitzen müssen, und Einige werden sagen, es ist ihnen zu eng, Anderen ist es garantiert zu weit auseinander, und überhaupt. Man wundert sich, wie viel Gesprächsbedarf es in Sachen Sitzordnung im Rat jeweils gibt, wenn da Änderungen anstehen. Andererseits verbringen wir viel Zeit in diesem Sitzungssaal, da darf man auch darüber reden, wie es sich für alle gut anfühlt – und das werden wir, anders als zu meiner Schulzeit, garantiert ausgiebig tun.

Debatten um die Sitzordnung gab’s damals jedenfalls noch nicht, man rannte zum Schuljahresbeginn auf die freien Plätze los und versuchte, sich eine gute Position zu sichern. Könnten wir ja auch mal ausprobieren für den Gemeinderat, das wäre eine interessante soziologische Studie über Ellenbogen, Sympathien und tiefe Abneigungen innerhalb des Mikrokosmos Rat.

In der Schule saß ich am liebsten in der dritten Reihe, noch eine Mitschülerin zwischen mir und dem Fenster, und machte mich klein, damit ich nicht drangenommen werde. Heute melde ich mich freiwillig, weil ich mitreden will. Insofern ist mir im Grunde jede Sitzordnung recht, solange ich keine Zugluft im Rücken habe – nur neben dem doofen Norbert*, der mir mit seiner Selbstgerechtigkeit seit Jahren auf den Senkel geht, sitze ich auf gar keinen Fall, dass das klar ist!

Die Kolumne „Stadtratsleaks“ erscheint hier exklusiv jeweils am 15. des Monats. Bisher gibt es fünf Folgen. Ich schreibe sie, um die Demokratie etwas erlebbarer zu machen. Wer meine Arbeit unterstützen möchte, kann das sehr gerne unter diesem Paypal Link tun.

paypal.me/mamaarbeitet

Ich freue mich über jeden Beitrag, egal, wie groß oder klein!

7 Buchtipps zum Thema Autismus für Eltern und Familie

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Bücher zum Thema Autismus gibt es mittlerweile viele. Welche sind empfehlenswert?

Ich schmeiße schlechte Bücher gnadenlos in die Papiermülltonne, und mittelprächtige landen in einer Verschenkekiste an der Straße. Gute kommen in den Keller, und nur solche, die ich wirklich gerne um mich habe, finden einen Platz in meinem Bücherregal im Schlafzimmer. Von daher könnt ihr sicher sein, dass diese Tipps etwas taugen, denn diese Bücher über Autismus zählen zu denen, die ich empfehlen kann:

Diese sieben Buchtipps zum Thema Autismus habe ich mit einem Partnerprogramm gestaltet, wenn du also ein Buch über diesen Link kommend kaufst, erhalte ich eine kleine Provision. Das ist eine gute Möglichkeit, diesen Blog gegenzufinanzieren, für den ich monatlich Ausgaben habe. Ich freue mich, wenn ihr dieses Angebot nutzt. Und wenn euch die Buchtipps gefallen.

1) Aspergirls. Die Welt der Frauen und Mädchen mit Asperger, Rudy Simone

Viele persönliche Einsichten von Autorin Simone, die selbst eine Asperger Diagnose hat, garniert mit eingestreuten Happen, in denen Autistinnen aus ihrem Erleben berichten. Jedes Kapitel wird gefolgt von praktischen Tipps für die betroffenen Mädchen/jungen Frauen und auch für die Eltern.

Kein sehr wissenschaftliches Buch, das manchmal stark verallgemeinert und einen Hang zum Übersinnlichen hat (was Rudy Simone „Intuition“ oder „Anima“ nennt), aber durchaus gut lesbar und interessant. Aus aktueller Sicht spannend auch das Kapitel zum Thema Geschlechterrollen und Identität. Dieses Buch ist guter Einstieg in das Thema Asperger Autismus – nicht nur Mädchen betreffend.

2) Szenen aus dem Herzen, Greta & Svante Thunberg, Beata & Malena Ernman

Ein Buch bestehend aus 92 Szenen, das speziell die Sicht von Gretas Mutter sehr eindringlich auf den Punkt bringt – auch wenn die ganze Familie Thunberg/Ernmann als Autoren auftritt. Wesentlich inhaltsreicher, als man vermuten könnte und an vielen Stellen drastisch ehrlich. Am Beispiel von Gretas Schwester Beata wird gut nachvollziehbar, wie schwierig das Aufwachsen in der Familienkonstellation als Geschwisterkind von Autisten sein kann.

Die Bekanntheit von Greta Thunberg spielt dabei eher eine Nebenrolle, es ist in erster Linie ein Buch über Autismus und die Herausforderungen, die das Leben mit Autismus für Familien und die Betroffenen bringt. Man muss sich weder für Klimaschutz interessieren noch Greta Thunberg verehren, um dieses Buch spannend zu finden.

3) Warum ich euch nicht in die Augen schauen kann. Ein autistischer Junge erklärt seine Welt, Naoki Higashida

Der 13-jährige Autist Naoki, der kaum mit anderen Menschen kommunizierte, schrieb aus eigenem Antrieb 58 Antworten auf Fragen auf, die für ihn die Hauptmissverständnisse zwischen Autisten und ihren neurotypischen Mitmenschen ausmachen. Ein absolut faszinierendes Buch, in dem man wirklich viel über die Empfindungen und Gedankenwelt von Autisten lernen kann.

Im ausführlichen Vorwort erklärt der Herausgeber, wie sehr er und seine Frau, die das Buch aus dem Japanischen übersetzt hat, als Eltern eines autistischen Kinds von dem Wissen profitierten, das darin versammelt ist. Zum Beispiel die Frage, warum viele Autisten es nicht ertragen, wenn man ihnen in die Augen schaut – oder die, wieso Autisten oft immer wieder dieselben Fragen stellen. Mehr Innensicht geht nicht.

4) Wir Wochenendrebellen. Ein ganz besonderer Junge und sein Vater auf Stadiontour durch Europa, Jason und Mirco von Juterczenka

Jason ist Asperger Autist und kommt eigentlich recht gut klar – für einen Autisten. Klar gibt es manchmal Probleme, wenn zum Beispiel sein Platz im Schulbus schon besetzt ist oder das Essen im Speisewagen der Bahn nicht streng separiert ist, die Nudeln und die Soße dürfen sich nämlich nicht berühren. Trotzdem bedeutet das Leben mit ihm für seine Mutter, ziemlich viele Zugeständnisse zu machen und auf seine Bedürfnisse zu achten, was wiederum für Jasons kleine Schwester oft schwierig ist.

Deswegen machen Jason und sein Vater sich auf, etwas als Vater-Sohn Gespann gemeinsam zu erleben – es wird eine Stadiontour quer durch Europa, die jeweils am Wochenende stattfindet. Dabei erfährt der Leser eine Menge über Autismus und die Herausforderungen, die diese neurologische Besonderheit (die auch eine Behinderung sein kann und das auch häufig ist) für Eltern mit sich bringt. Lehrreich und unterhaltsam zu lesen.

5) Iris Grace. Bilder malen tausend Worte. Die Geschichte meiner autistischen Tochter, Arabella Carter-Johnson

Iris Grace spricht nicht und ist so anders. Sie schläft kaum, sie weint viel, und sie zeigt kein Interesse an Interaktion mit Menschen. Als die Eltern nach vielen gescheiterten Anläufen endlich selbst herausfinden, dass ihre Tochter im Autismus-Spektrum ist, haben sie einen Ansatzpunkt dafür, wie sie ihr helfen können und welche Diagnostik nötig ist. Mit viel Geduld und Liebe schaffen sie es, dem Mädchen einen Weg zu ebnen, in der Welt so gut es geht zurechtzukommen. Die entscheidende Rolle spielen dabei Kunst, Pinsel und Farben – und eine Katze.

Ein kleines Juwel, das sehr wenig Beachtung gefunden hat. Wunderschön gestaltet und mit bezaubernden Bildern von Kunstwerken der autistischen Tochter, sowie etichen Fotografien und liebevollen Illustrationen.

6) Der Junge, der zuviel fühlte. Wie ein weltbekannter Hirnforscher und sein Sohn unser Bild von Autisten für immer verändern, Lorenz Wagner

Wunderbar nacherzählte Erkenntnisreise, wie nämlich ein Wissenschaftler, der Vater wurde, seine bisherigen Annahmen als Hirnforscher über Autismus komplett auf den Kopf stellte, und wie dieser Vater durch den Alltag mit seinem Sohn einen komplett neuen Ansatz und Blick auf Autismus entwickelte.

Der Autor Wagner hat, um dieses hinreißende Buch zu schreiben, die Familie Markram über Monate begleitet und ein wirklich berührendes Buch geschrieben. Eins der besten Bücher auf dem Markt, was die Verbindung von Wissenschaft und Nacherzählung einer Lebensgeschichte betrifft. Sehr lehrreich und voller Aha-Momente für Angehörige.

7) Verstörungstheorien. Die Memoiren einer Autistin, gefunden in der Badewanne, Marlies Hübner

Packend geschriebene Erzählung, die autobiografisches Erleben und Fiktion mixt. Die junge Erwachsene Elisabeth blickt auf ihre Kindheit und Jugend, und auf den langen Weg zur Diagnose Autismus.

Vor allem bestechend wegen der drastisch beschriebenen Innenwelt, die im Kontakt mit der Außenwelt regelmäßig in Überforderung und totale Irritation gerät. In die Handlung, die sich in Zeitsprüngen bewegt, sind immer wieder Fakten über Autismus eingestreut, sodass die Leserin auch nebenbei etwas lernt.

Geheimniskrämerei im Stadtrat? Die Krux mit der Nichtöffentlichkeit

Beratungen hinter verschlossenen Türen: Nichtöffentlichkeit hat oft einen schlechten Ruf. Trotzdem braucht man sie manchmal im Stadtrat.

Es ist der 26.02.2023, als ich auf WhatsApp folgendes lese: „Hi Räte: Gut unterrichtete Kreise reden von einem Einstieg der Thüga bei den SWK (25%). Ist da was dran?“ (SWK=Stadtwerke Konstanz, Thüga ist ein Energie-Konzern). Nanu, dachte ich, und gleichzeitig: Obacht! Wahrscheinlich haben sich auch die anderen drei RätInnen meiner Fraktion, die in dieser Gruppe Mitglieder sind, gleichzeitig auf die Zunge gebissen, denn derjenige, der fragte, ist ein langjähriger politischer Vertrauter. Jemand, dem man eigentlich gerne Auskunft gibt.

Und trotzdem war für mich klar, dass wir in diesem Wunsch nach Insider-Informationen nicht nachkommen konnten, zu heikel war das Thema zu dem damaligen Zeitpunkt, und bisher ist von offizieller Seite meines Wissens kein Statement zu dem Artikel abgegeben worden, der vor einigen Tagen im Konstanzer Lokalmedium Karla erschien, und der genau dieser Frage nachging.

Stadträte geloben Verschwiegenheit bei Nichtöffentlichkeit

Somit gilt nach wie vor, dass wir unsere „Kenntnis von geheimzuhaltenden Angelegenheiten“ nicht weitergeben dürfen, egal, wie die Antwort ausgefallen wäre. Wir geloben nämlich als Stadträte zu Beginn einer jeden Amtsperiode, dass wir unsere „Geschäfte uneigennützig und verantwortungsbewusst führen“, wie die Gemeindeordnung von Baden-Württemberg es in §17 festhält. Und dazu gehört eben auch, Nichtöffentlichkeit zu respektieren – auch nach dem Ende der jeweiligen Amtszeit. Bei uns in Konstanz lautet Eidformel:

Ich gelobe Treue der Verfassung,
Gehorsam den Gesetzen
und gewissenhafte Erfüllung meiner Pflichten.

Insbesondere gelobe ich, die Rechte der Stadt Konstanz gewissenhaft zu wahren
und ihr Wohl und das ihrer Einwohnerinnen und Einwohner nach Kräften zu fördern.

Und wir unterschreiben feierlich, dass wir das auch ernst meinen. Bei einem Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht drohen Bußgelder bis zu 1000 €, was angesichts des potenziell anzurichtenden finanziellen Schadens eher gering, ist, aber vor allem wäre damit ein enormer Gesichtsverlust für den/die betroffenen Räte verbunden, denn sowas macht man nicht. Es mag Situationen geben, wo man à la Julian Assange Whistleblowing machen muss, um Schaden von der Allgemeinheit abzuwenden, aber zu so einer Situation ist es in meinen bisherigen Amtszeiten noch nicht gekommen, und ich bin schon seit 2014 dabei.

Vereidigung für 2. Wahlperiode (2019) mit OB Uli Burchardt, Beitrag im Insta-Feed

Geheime Wahlen sind bei einigen Formalien Standard

Was es aber doch ziemlich häufig gibt, sind nichtöffentliche Tagesordnungspunkte und auch geheime Wahlen. Letztere klingen sehr geheimnisvoll, allerdings ist es bei Wahlen (z.B. neue Amtsleiter, Dezernenten oder andere wichtige Posten) per Default vorgesehen, sie geheim abzuhalten. Konkret sieht das dann so aus, dass eine Verwaltungsmitarbeiterin durch die Reihen der Räte läuft und Stimmzettel verteilt – ja, auf Papier, nix digital! -, die daraufhin gleich wieder eingesammelt werden, indem jedes Ratsmitglied seinen Wahlzettel in den Schlitz einer hölzernen Urne wirft, die von Sitzplatz zu Sitzplatz getragen wird. Die Wahlurne erinnert mich immer ein bisschen an einen Brotkasten und an Klassensprecherwahlen in der Schule, aber es hat durchaus etwas Feierliches an sich, so zu wählen.

Danach verkündet der Sitzungsvorsitzende, meist der OB, welche zwei Stadträte er zum Auszählen nach vorne bittet, und das sind häufig zwei RätInnen der größten Fraktionen, damit auch alle davon überzeugt sind, dass es mit rechten Dingen zugeht. Dieses Prozedere findet teils sogar zwei Mal direkt hintereinander statt, weil nämlich gelegentlich vor einer geheimen Abstimmung zuerst geheim abgestimmt wird, ob diese nachfolgende Abstimmung geheim sein soll. Davor steht wiederum der Antrag auf eine geheime Abstimmung, die eine Fraktion stellt, und über den als allererstes durch normales Handheben abstimmt wird. Findet der Antrag eine Mehrheit, dann werden die Holzkiste und die vorbereiteten Stimmzettel herausgeholt und es geht los mit der geheimen Abstimmerei.

Es gibt auch Überraschungen – und manches bleibt rätselhaft

Manchmal kommen dabei dann Ergebnisse raus, mit denen niemand gerechnet hat, wie kürzlich bei der Wahl des Amtsleiters des neu geschaffenen Amts für Klimaschutz in Konstanz, nachzulesen ist das Ganze hier beim Karla Magazin. Die geheime Wahl ermöglicht eine echte Gewissensentscheidung frei von Fraktionszwang und psychologischem Druck, und ist auch für den Ausgang der Wahl sinnvoll, denn es kann das Verhältnis belasten, wenn sich herumspricht, wer z.B. bei einer Personalsache gegen jemanden gestimmt hat, wenn man später viel miteinander zu tun hat.

Oft fragt man sich hinterher, wer da aus welcher Fraktion wie abgestimmt hat, weil das Ergebnis der geheimen Wahl scheinbar keinen Sinn macht, aber wie bei so viele Dingen wird man das am Ende nie erfahren.

Wann die Nichtöffentlichkeit Sinn macht

Was sind denn nun geheimzuhaltende Angelegenheiten, und warum das Ganze? Zum einen gilt Nichtöffentlichkeit für Personalangelegenheiten, und das ist wahrscheinlich auch relativ gut nachvollziehbar. Die Stadt hat 1300 MitarbeiterInnen, und wie in jedem großen Betrieb gibt es manchmal richtig unschöne Situationen, hässliche Arbeitsgerichtsprozesse, Probleme mit Führungskräften, die das gestörte Abläufe im Amt oder anderen Unbill nach sich ziehen, und auf der positiven Seite Bewerbungsprozesse und Vorstellungsgespräche für Leitungspositionen. Aber auch manche strategischen Erwägungen und z.B. die Pläne, wie wir bei eventuellen Stromausfällen im Winter 2022/23 reagiert hätten, werden nichtöffentlich besprochen, um die Interessen der Stadt zu beschützen.

Grundsätzlich sind Gemeinderatssitzungen jedoch immer öffentlich, und speziell meine Fraktion hat sich Transparenz auf die Fahnen geschrieben, sodass wir immer wieder neu überlegen, ob und wann Themen wirklich als nichtöffentlich zu behandeln sind. Man muss da wirklich etwas aufpassen, nicht betriebsblind zu werden, denn nach vielen Jahren als Gemeinderat kommen einem manche Dinge dann schlichtweg als normal vor, auch wenn man sie noch hinterfragen sollte.

Eine Mauer des Schweigens – das klappt nur selten

Die Frage, die eingangs in der WhatsApp Gruppe gestellt wurde, gehörte aber nicht dazu – es kam von keinem der in der Gruppe mitlesenden Räte eine Antwort, und das fand ich eigentlich ganz gut.

„Trotz guter Kontakte zu verschiedenen städtischen Gremien stieß unsere Redaktion auf eine Mauer des Schweigens“, steht in einem aktuellen Artikel von Karla zum Thema Stadtwerke Konstanz und deren zukünftige strategische Ausrichtung. Da war ich als ehemalige Journalistin gleichermaßen traurig wie froh, aber einen Ticken eher froh, denn es passiert oft genug, dass nichtöffentliche Informationen trotz Verschwiegenheitspflicht weitergereicht werden. Und ob die Stadtwerke irgendwas mit der Thüga planen oder nicht, bleibt weiterhin eine unbeantwortete Frage, zu dem auch dieser Artikel sich in Schweigen hüllt. Habe ich ja schließlich feierlich gelobt!

Nichtöffentlichkeit in Signal Ratsgruppe

Legende aus der Signal-Ratsgruppe: Blau hinterlegter Text ist von mir, meine Ratskollegen aus der Fraktion, Verena und Matthias, haben in grau geantwortet.

Und am allergeheimsten ist….

Übrigens, das Allergeheimste im Stadtrat ist der Ausschuss für geheimzuhaltende Angelegeheiten, dem ich für meine Fraktion angehöre, und der quasi Nichtöffentlichkeit hoch drei ist. Er hat noch nie getagt, seit ich dabei bin, und ist so geheim, dass nicht mal sein Termin oder das Thema der Sitzung im Ratssystem erscheinen würden. Ich schätze, das ist für den Fall des Atomkriegs oder so, und ich hoffe, wir werden ihn nie brauchen.

Die Kolumne „Stadtratsleaks“ erscheint ein Mal im Monat hier im Blog, immer um den 15. des Monats herum.

Stille Stunde für Autisten im Edeka Konstanz

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Frappierende Dunkelheit im Eingangsbereich. Die und ein großer Aufsteller mit der Info, dass heute von 15-17 Uhr „stille Stunde“ sei, empfingen uns heute im Edeka.

Das wussten wir allerdings schon, weil wir die Vorbereitungen dafür mitbekommen hatten und auch auf Insta auf diversen Accounts, denen ich folge, die Info geteilt worden war, dass es wirklich und wahrhaftig so etwas für Konstanz geben würde. Versuchweise, und zum ersten Mal. Wie spannend!

Ich schnappte mir einen Einkaufswagen, passierte die automatisch öffnende Schranke vor dem Obst- und Gemüsebereich, und guckte aus den Augenwinkeln neugierig auf mein autistisches Kind, das auch sonst beim Einkaufen in diesem Supermarkt eigentlich immer bei mir ist. Wie würde sie die stille Stunde finden?

Aufsteller Eingangsbereich für stille Stunde

Kleiner Spoiler vorab: Ich fand’s großartig, ich hätte die ganze Zeit „Wow!“ rufen können, aber das widerspricht ja dem Konzept. Und um mich geht es gar nicht, denn obwohl ich mich durchaus als sensibel bezeichnen würde, bin ich nicht die Zielgruppe für diese stille Stunde. Wobei – als Begleitperson einer Autistin schon.

Denn auch mich stresst es deutlich mehr, wenn laute Rollwagen mit neuer Ware oder leeren Kartons durch den Edeka donnern, während mein Kind dabei ist, denn jegliche Reize, die für sie überfordernd sind, machen das gemeinsame Einkaufen etwas schwieriger.

Das Licht kann man ausschalten, Gerüche nicht

Aber hauptsächlich geht es bei dem Konzept natürlich um die Betroffenen, Autisten und andere sehr reizoffene Menschen. Und um die Frage, wie die „normalen“ Kunden und die Mitarbeitenden das Ganze finden. Denn ohne Akzeptanz der Stammkundschaft ist so ein Projekt natürlich zum Scheitern verurteilt. Was also sagen die Leute, und was sagt mein Kind zur stillen Stunde?

Obst- und Gemüseabteilung in der stillen Stunde

In der Gemüseabteilung sagte mein Kind dasselbe wie immer, nämlich „Ich gehe zum Eis“, also den Eistruhen, um nach der Lieblingseissorte zu gucken, die es leider seit geraumer Zeit nicht mehr im Edeka gibt. Das hat auch damit zu tun, dass sie von den Gerüchen in dieser Abteilung extrem überwältigt wird, selbst wenn dort das Licht aus ist, und daran kann auch niemand etwas ändern.

Stille Stunde: Das Problem mit der Beleuchtung

Danach kam ein eher hellerer Bereich, der am Ende in sogar für meine Augen relativ grell erleuchtetem Käseregal, Fleischtheke und Fischregal mündete. „Uh“, klagte meine Tochter und hielt sich die Hand vor die geblendeten Augen, „Das tut mir weh. Dann sollen sie es lieber lassen und überall gleich hell machen. Warum ist es hier so furchtbar hell!?“ (Auflösung etwas weiter unten.)

Ich mutmaßte irgendwas mit Technik und Kühltruhen, und Schaltkreisen, aber andererseits konnte ich mir nicht vorstellen, dass im Edeka die ganze Nacht das Licht an ist, um die Kühltruhen bei +2° C zu halten. Das Kind runzelte die Stirn.

Dann die Ecke mit dem Fischregal, die besonders hell hervorstach, und nach der Fisch- und Käsetheke wieder ein total dunkler Bereich auf der rechten Seite (Weinabteilung und Getränke), während das Zahnpastaregal links wie eine angeleuchtete Freiheitsstatue strahlte. Auch die letzten Meter vor der Kasse waren sehr hell ausgeleuchtet, was mein Kind störte.

Zahnpastaregal in der stillen Stunde

Endlich einkaufen ohne nervige Musik!

Richtig gut fand meine Tochter, dass in der Nähe der Weinabteilung keine beschwingte Musik lief, die empfindet sie nämlich normalerweise fast als Körperverletzung. Und noch etwas ist ihr positiv aufgefallen: „Da waren heute mehr Menschen mit Kopfhörern als sonst“, meinte sie beim Rausgehen. Das muss man vielleicht erklärten: Menschen mit Kopfhörern sind potentiell eher solche, die sich vor zu vielen Reizen abschirmen wollen, und wenn man viel mit Autisten zu tun hat, dann kann man sich oft zusammenreimen, dass der eine oder andere Mensch wegen bestimmter Verhaltensweisen, Kleidung und Accessoires (es macht die Gesamtheit aus) wahrscheinlich auch Autist ist. Von daher kann man wahrscheinlich folgern, dass die angepeilte Kundschaft auch erreicht wurde, und dass der Inklusionsmoment geglückt ist.

Auch wenn es an der Kasse dann nochmal schwierig wurde, denn das Piepen der Scanner war in der stillen Stunde zwar leiser als sonst, aber halt aus praktischen Erwägungen noch vorhanden (die Kassiererinnen hören so, ob die Ware erfasst wurde), und es war dort ausnehmend hell.

Was sagt das Personal zur stillen Stunde?

„Die Leute haben sich beschwert“, erklärte mir die Kassiererin, als ich nachfragte, wie das Experiment denn aus ihrer Sicht laufe. „Und vorhin war es so dunkel hier, dass ich gar nicht sehen konnte, wieviel Geld ich rausgebe.“

Das ist natürlich nicht so gut, und so erklärt sich auch die Helligkeit. Dimmen scheint nicht möglich zu sein, es gibt offenbar nur „an“ oder „aus“ bei den Leuchten, und das macht es schwierig, die Helligkeit so zu regeln, dass sie für alle passt.

Dass die Kasse nur leise piepte, fand die Kassiererin schwierig – logisch, denn das Piepen sagt ihr ja, dass die Ware ordnungsgemäß vom System erfasst wurde. Und ich kann mir vorstellen, dass sich das leise Piepen irgendwie falsch anfühlt, wenn man es ganz anders gewohnt ist. Für meine Tochter hingegen machte es keinen großen Unterschied, ob die Kassen laut oder leise piepen beim Scannen, sie findet das Geräusch ab einer ziemlich geringen Lautstärke bereits furchtbar, da gibt’s dann keine große Steigerung mehr.

Bereich vor den Kassen

Und das Fazit meiner autistischen Tochter? „Ich bräuchte eigentlich nur eine Self-Checkout Kasse, das mit dem Licht ist für mich nicht so wichtig“, meinte die. Dass aber generell jemand versucht, auf die Bedürfnisse von Autisten einzugehen, findet auch sie gut. Und ihr ist klar, dass andere Autisten andere Bedürfnisse haben, auch wenn alle die Reizempfindlichkeit eint.

Das Fehlen von Musik hat ihr sehr gefallen (sie liebt Musik, aber nur ihre eigene), und mir ist positiv aufgefallen, wie bedächtig sich die Mitarbeiterinnen im Laden selbst bewegten – fast ein bisschen, als seien sie zu Gast im eigenen Laden. Ich fand das sehr rücksichtsvoll und angenehm als Begleitperson eines autistischen Menschen.

Wie geht’s weiter mit der stillen Stunde im Edeka Konstanz?

Das mit dem Self-Checkout würde ich dem Edeka-Chef gerne als Wunsch mitgeben – denn für viele Autisten ist der soziale Kontakt am Ende des Einkaufs ein Haupt-Stressfaktor. Die Waren im Einkaufswagen selbst einzuscannen und mit Karte zu bezahlen, würde da eine merkliche und einfach umzusetzende Verbesserung bringen, denn bei Ikea und Rossmann geht das ja auch.

Mein Fazit: Es macht alleine schon froh, dass überhaupt jemand versucht, neue Wege zu gehen und Inklusion zu leben. Es sagt sich nämlich leicht, dass man behindertenfreundlich und inklusiv sein möchte, aber danach zu handeln ist ziemlich anspruchsvoll. Vielen Dank für die Bereitschaft, sich auf dieses Experiment einzulassen, und ich hoffe, es bleibt nicht nur bei dem einen Mal.

Ach, und es fehlt noch die Auflösung zur Frage, warum es bei der Beleuchtung in der stillen Stunde so große Kontraste gab: Das hatte tatsächlich etwas mit Schaltkreisen und Technik zu tun. Das erfuhren wir am Ende, wo jemand vom Edeka Team mit einer Reporterin von Radio 7 stand, und mit denjenigen, die die Initiative ergriffen hatten, um Edeka von diesem Experiment zu überzeugen. Kann also sein, dass man meine Frage morgen im Radio hört. Ich hatte nämlich nichts dagegen, dass die aufgezeichnet wird, und die Reporterin war froh über O-Töne. So haben wir auch noch eine gute Tat getan und nebenbei Öffentlichkeitsarbeit gemacht.

200 Euro Einmalzahlung für Studierende beantragen – mega umständlich

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Demnächst soll es endlich losgehen: die von der Bundesregierung versprochene 200 Euro Einmalzahlung für Studierende kann beantragt werden. Bald, noch nicht sofort. Aber es ist ja noch Zeit, es hieß seitens der Regierung „bis zum Ende des Winters“, und der dauert laut der zuständigen Forschungsministerin Stark-Watzinger bis zum April.

Die Sache ist nicht zuletzt deswegen kompliziert, weil Bildung eigentlich Ländersache ist, aber der Bund aufgrund von Gesprächen mit den Ländern sich bereit erklärt hat, die Antragsplattform zu entwickeln. Ein schickes Pilotprojekt fürs digitale Deutschland hätte das werden können, mit Betonung auf „hätte“. Denn der Plan war wohl, die digitalaffine Jugend zum Vorreiter in Sachen „digitale Anträge auf Geldleistungen“ zu machen.

Eigentlich eine gute Idee; denn wer, wenn nicht die Generation der heute grob 18-25-Jährigen, kann richtig gut mit dem Internet und all seinen Möglichkeiten umgehen?

Praxistest: „Mal eben“ die 200 Euro Einmalzahlung für Studierende beantragen

Genau, zum Beispiel die 22-jährige Studentin, die gestern an meinem Wohnzimmertisch saß. Sie klappte ihren Laptop auf und verkündete optimistisch, dass sie das mit der Einmalzahlung jetzt erledigen würde. Sie hatte zwar von Kommilitonen gehört, dass der Prozess irgendwie umständlich sei, war aber guter Dinge, dass sie das hinkriegen würde.

Das war etwa um 11:45 Uhr. Die Webseite, auf der die 200 Euro Heizkostenzuschuss vom Bund beantragt werden können, war leicht gefunden. Die Studentin freute sich. Doch dann runzelte sie die Stirn. „Mama, was ist denn eine BundID? Hast du sowas?“ Ich guckte von meinem Kaffee auf und schüttelte fragend den Kopf. BundID? Nie gehört. Und sie seufzte: „Hier steht, ich brauche eine BundID und zusätzlich ein Elster-Zertifikat oder einen Online-Ausweis. Ich glaube, das habe ich alles nicht. Orr.“

Das war erst der Anfang. Denn die Studentin, die diese 200 Euro Einmalzahlung wirklich haben möchte, weil sie den Bafög-Höchstsatz erhält und auf das Geld angewiesen ist, machte sich nun daran, die ominöse BundID zu beantragen. Das könne ja nicht so schwer sein, dachte sie.

Der mühsame Weg zur BundID mit der AusweisApp2

Hahaha, weit gefehlt! Um es kurz zu machen, die Sache war nach 20 Minuten immer noch nicht erledigt, und das nicht, weil die Studentin so dumm ist. Inzwischen saßen der Partner, ebenfalls Student und 24 Jahre alt, und der Bruder (16), sehr PC-affin, staunend neben dem Laptop und kommentierten den Antragsprozess bzw. versuchten herauszufinden, wie man die AusweisApp2, die sowohl auf dem Handy als auch auf dem Laptop vorhanden sein muss (zwei Downloads, das ging relativ schnell), um schließlich mittels Koppelungscode gekoppelt zu werden, damit der via NFC-Funktion des Personalausweises eingelesene Identitätsnachweis von der App auf dem angekoppelten Laptop akzeptiert wird. Falls Ihnen jetzt etwas schwindelig wird beim Lesen, keine Sorge, es ging uns allen vieren auch so.

200 Euro Einmalzahlung
Bild von Pixabay

NFC-fähiges Handy ist Voraussetzung für die 200 Euro Einmalzahlung für Studierende

Auf dem Weg zur Registrierung für die BundID wurde verwirrenderweise auch nach der DE-Mail gefragt. Erste Vermutungen der Studentin, es handele sich einfach um eine Mail-Adresse, die nicht auf .com, .de oder Anderes ende, erwiesen sich leider als nicht zutreffend. Die DE-Mail wird von verschiedenen Providern angeboten, und man muss sich, um so eine Adresse zu erhalten, mit dem Online-Ausweis und der oben schon erwähnten Ausweis-App 2 dafür registrieren.

Dafür braucht man die persönliche 6-stellige Pin, die zum Ausweis gehört – falls man so eine Pin beantragt hat. Falls man keine PIN für den Ausweis hat, kann man online beim Innenministerium einen „Rücksetzbrief“ bestellen, wofür man, da waren wir, schon den Ausweis via NFC-Funktion mit der Ausweis-App einlesen muss. (Alternativ bleibt einem nur der Gang aufs Bürgeramt.)

Allerdings war die DE-Mail optional, man kann die BundID auch mit herkömmlichen E-Mail Adressen anlegen, wie wir im Nachgang feststellten. Aber so oder so musste der Ausweis via AusweisApp2 vom Handy auf den Laptop gekoppelt werden, das stand noch aus. (Und hier lag auch eins der Probleme mit diesem Verfahren: es wurde ab einem gewissen Punkt unfassbar unübersichtlich.)

Was, zum Teufel, ist denn eine CAN? Und Finger weg vom Handy beim Koppeln!

Doch genau hier ging es nicht weiter. Die Meldung: „Ein unbekannter Fehler ist aufgetreten“ half auch nicht wirklich bei der Ursachensuche und so machten sich drei junge Menschen daran, diverse Webseiten erneut auf Informationen hin durchzuforsten, auf dass ihnen weitergeholfen würde.

Leider fand sich in den umfangreichen FAQs der Seite des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zu der 200 Euro Einmalzahlung der entscheidende Hinweis nicht – nämlich das Handy die ganze Zeit auf dem Ausweis liegen zu lassen, also nicht nur das Vibrationssignal abwarten, das das Lesen quittiert, sondern Finger weg von beidem, bis der Koppelungsprozess abgeschlossen ist!

Ach, und noch eine Sache ist hilfreich zu wissen: Die sogenannte „CAN“, die man eingeben muss, damit die Verifikation des Ausweis via AusweisApp2 akzeptiert wird, befindet sich auf dem Ausweis unten rechts.

Extrem umständlicher Prozess für Beantragung des Gelds an die Studierenden

Das war der Moment, an dem meine Tochter innehielt, lachte, und sich verwirrt fragte: „Was wollte ich nochmal eigentlich!?“, und das war so bezeichnend für diesen ganzen, irre komplizierten Prozess, dass wir alle los kicherten. Gleichzeitig entspann sich eine kleine Diskussion, warum dieser extrem umständliche Prozess den Studierenden zugemutet wird, und wie wenig niederschwellig das alles ist. Das müsste doch einfacher gehen – ich bin gespannt, wie viele von den 2,95 Mio antragsberechtigten Studierenden sich die 200 Euro Einmalzahlung tatsächlich überweisen lassen (plus 450.000 Fach- und Berufsschüler).

Jedenfalls hat das mit dem Bestellen des Rücksetzbriefs für den Online-Ausweis geklappt. Und wenn der da ist, dann kann die junge Studentin die DE-Mail bei ihrem Provider beantragen, und sie kann auch das benötigte Benutzerkonto für eine BundID erstellen. Und danach, heureka, kann sie auf der Antragsseite des Bundes die 200 Euro Einmalzahlung für Studierende beantragen. Bis dahin sollte das Formular auch online sein, es hieß, das sei ab Mitte März der Fall.

Die BundID, DE-Mail, Online-Ausweis, AusweisApp2 – und am Ende doch auf einen Brief warten

Die Studentin wartet jetzt jedenfalls auf Post vom Amt. Die soll innerhalb von etwa 7 Werktagen bei ihr eintreffen. Und falls alle Stricke reißen, kann ich ihr zeigen, wie man ein Elster-Zertifikat erhält, das habe ich als Selbstständige nämlich, und es war relativ einfach. Im Grunde hätte sich der Staat den aufwändigen Designprozess dieses haarsträubenden User-Interfaces einfach sparen können und den Studis mitteilen können, dass sie sich gefälligst bei Elster registrieren sollen, falls sie Geld wollen. Das hätte wahrscheinlich viel Zeit, Geld und Nerven gespart.

Um 12:15 klappte meine Tochter den Laptop zu und befand, dass sie an diesem Tag offenbar nichts weiter tun könne. Ab nun heißt es abwarten, bis der analoge Briefträger kommt. Fast wie früher.

Hinter den Kulissen: Philharmonie Konstanz – die Affäre Pijanka

Es hat ordentlich gerumpelt in der Philharmonie Konstanz, und Intendantin Pijanka stand massiv in der Kritik. Was ist passiert, und warum hat sie nun einem Aufhebungsvertrag zugestimmt? Kaum jemand blickt mehr durch, und die Berichterstattung gibt meines Erachtens die Vorgänge nur unzureichend wieder. Deswegen ist diese Kolumne aus meiner Sicht als Stadträtin ein echter Insider!

Die Sache hat nur einen Haken: Über nicht-öffentliche Dinge, die das Gemeinderatsmandat betreffen, dürfen wir Gemeinderäte und Rätinnen nicht reden, und uns daran zu halten, ist Teil des Amtseids. Es ist einigermaßen heikel und wird eine Gratwanderung sein, euch in dieser aktuellen Ausgabe der Kolumne Stadtratsleaks mitzunehmen, ohne meine Pflichten zu verletzen.

Ich will es trotzdem versuchen, weil mir die Angelegenheit keine Ruhe lässt und ich denke, Transparenz hilft der Demokratie – vielleicht auch, weil irgendwann ein Personaler, der nach Insa Pijanka im Internet sucht, hier einen Beitrag findet, der eine andere Geschichte erzählt als das, was bisher an die Öffentlichkeit gelangt ist.

Auftakt: Ein Zeitungsbericht über einen vermeintlichen Skandal in der Philharmonie Konstanz

Das Jahr war noch jung, und wir in der Kommunalpolitik eigentlich in der Sitzungspause, als in der ratsinternen Telegram-Gruppe des Jungen Forum Konstanz am Abend des 3. Januar 2023 folgende Nachricht auftauchte:

Chat RatsgruppeIn dieser Gruppe tauschen sich die vier Mitglieder unserer Fraktion regelmäßig aus, wenn es kurzfristig etwas zu besprechen oder zu organisieren gibt. Früher waren wir bei WhatsApp, Telegram ist auch nicht optimal, ich weiß, und ich bin auch in Signal-Gruppen, das datenschutzrechtlich am besten zu sein scheint, wie ich höre.

Jedenfalls nutzen wir seit einer Weile diese Gruppe, um Rücksprache zu halten, wenn wir Abstimmungsbedarf haben. Der zweite Screenshot aus dieser Gruppe stammt vom Tag darauf, als wir über die Antwort zu einer Presseanfrage beratschlagten:

Chat RatsgruppeLegende:

Matthias Schäfer ist unser Fraktionsvorsitzender und Gründungsmitglied vom Jungen Forum Konstanz, genau wie ich. Außerdem sind in der Gruppe noch die Rätin Verena Vögt und Gaby Weiner, wir sind also zu viert. Die in grün hinterlegten Antworten stammen von mir. Und Karla ist nicht eine Person, sondern ein neues, gemeinnütziges Lokalmagazin – von denen auch ein Artikel zur Philharmonie erschien, aber leider erst im Nachgang, und es ging eher um die Meta-Ebene und politische Implikationen für die Zukunft als um konkrete Aufklärung der vermeintlichen Affäre.

Mein erster Gedanke, als ich den Artikel im Südkurier (in den Online Medien heißt die Ausgabe Konstanz „Seegeflüster“, daher der Name im Chat) über den „drohenden Skandal“ bei der Philharmonie Konstanz kurz nach seinem Erscheinen gelesen hatte, war: Da versucht jemand, zu Ende zu führen, was ihm oder ihr vor 3 Jahren nicht gelungen ist: nämlich die Intendantin Insa Pijanka, „vom Hof zu jagen“.

Damals waren Gerüchte gestreut worden, sie spreche zu sehr dem Alkohol zu, und überhaupt, sie sei Raucherin. Diese Gerüchte hatten diverse Medien dankbar aufgenommen, und auch in den sozialen Netzwerken wurden die böswilligen Unterstellungen reichlich geteilt und kommentiert, wie das heute so ist.

Die Vorgeschichte: Es gab bereits 2019 eine Kampagne gegen die Intendantin

Immerhin ein Redakteur des Südkuriers, nämlich Benjamin Brumm, hielt in einem Meinungsstück dagegen und nahm die Intendantin im Mai 2019 in seinem Kommentar in Schutz; Brumm wies auch ausdrücklich auf den sexistischen Aspekt der Anwürfe hin, sie trinke öffentlich zu viel Alkohol und rauche, was die Mitarbeiter „besorge“. Er konstatiert:

„…diese Angelegenheit würde Pijanka auch nicht vorgeworfen, hieße sie nicht Insa zum Vornamen, sondern Peter oder Klaus…. Insa Pijanka beteiligt sich am insbesondere im kulturellen Umfeld besonders ausgeprägten Ritual vom Gläschen danach. Ihr deshalb ein Alkoholproblem anzudichten – auf nichts anderes laufen die Gerüchte um besorgte Mitarbeiter hinaus – ist niederträchtig und  unsachlich. Die gebürtige Mannheimerin hat Fehler begangen seit ihrem Start in Konstanz. Offenbar sind sie nicht schwerwiegend genug für jene, die sie gerne noch vor Ende der Probezeit im Sommer ersetzt sehen würden. Denn der jetzige Klatsch und Tratsch wirkt wie eine Verzweiflungstat und sagt mehr über diejenigen aus, die ihn vorbringen, als über Insa Pijanka.“

Es hatte also schon vor dem Ablauf der Probezeit Versuche gegeben, der Intendantin zu schaden. Der Gemeinderat zeigte sich relativ unbeeindruckt, Insa Pijanka blieb im Amt. Aber nur ein Jahr später kam es im Juni 2020 zu einem weiteren Eklat, nämlich einem öffentlich ausgetragenen Disput zwischen dem in Konstanz immer noch sehr einflussreichen und sehr gut vernetzten, damaligen Intendanten des Theaters Christoph Nix und der neuen Konstanzer Intendantin der Philharmonie, der von außen betrachtet nach „Viel Lärm um Nichts“ aussah, aber ordentlich Wellen schlug.

Damals hatte ein Mitarbeiter der Philharmonie anonym eine betriebsinterne Mail der Intendantin an Christoph Nix weitergeleitet, der sich durch den Inhalt der Mail, in der er erwähnt war, beleidigt fühlte und seinen Ärger öffentlich machte, worüber dann der Südkurier ausführlich berichtete. (Jemand hatte sich die Mühe, gemacht, diese Mail auszudrucken und anonym in den Briefkasten des Theaters zu werfen, adressiert war das Schreiben an Christoph Nix persönlich laut Südkurier.)

Wenn zwei dassselbe tun, ist es noch lange nicht das gleiche

Ungefähr um diesen Dreh herum musste die Intendantin sich auch im Gemeinderat äußern, da es in absehbarer Zukunft auch um die Frage gehen würde, ob ihr Vertrag verlängert werden sollte. Ich erinnere mich noch gut, wie ich sie im Hinterzimmer des Gemeinderats traf, wo es vor Corona noch Häppchen, Tee und Kaffee gab, als ich während der bereits laufenden Sitzung kurz etwas zu Essen holen wollte. Sie kam mir ziemlich erschüttert vor, und ich habe das zum Anlass genommen, ihr meine Solidarität zu versichern, denn mir ist klar, dass wenn ein Mann und eine Frau dasselbe tun, es in der Gesellschaft noch lange nicht gleich bewertet wird, und ich hielt und halte die Vorwürfe gegen sie für total an den Haaren herbeigezogen.

An dieser Stelle ein kleiner Zeitsprung: Frau Pijankas Vetrag als Intendantin der Philharmonie Konstanz wurde im April 2022 nach erheblichen nichtöffentlichen Diskussionen verlängert, und die Abstimmung zu ihren Gunsten fiel einigermaßen deutlich aus. Es schien erstmal Ruhe im Karton zu sein. Bis eben zu jenem Tag Anfang Januar.

Philharmonie Konstanz
Philharmonie Konstanz. Foto: Christine Finke

Woher hatte die Lokalzeitung ihre Informationen?

Hüpfen wir also wieder in die Gegenwart: Am 04.01.2023 folgte eine Anfrage an sämtliche Fraktionen durch die Lokalzeitung, die den Stein ins Rollen gebracht hatte mit der Berichterstattung über die Philharmonie Konstanz und die vermeintlich gravierenden Verfehlungen ihrer Intendantin – was, wie wir Räte und Rätinnen hinterher erfuhren, offenbar aufgrund einer Pressemitteilung der CDU Fraktion gestartet wurde, in der Anschuldigungen erhoben wurden bzw. Fragen gestellt wurden (Diese PM liegt mir nicht vor, aber es ist bekannt, dass es sie gibt.)

Eine Presseanfrage zur „Affäre“ um die Philharmonie Konstanz versandet

Unser Fraktionsvorsitzende Matthias Schäfer, der für unsere Fraktion im Orchesterausschuss sitzt, antwortete nach Absprache in der Ratsgruppe einem Redakteur der Lokalzeitung auf seine Anfrage, wie wir die Vorgänge bewerten, via Mail folgendes:

„Vielen Dank für die Anfrage. Ihrem Teaser lässt sich entnehmen, dass Sie Dokumente vorliegen haben, zu welchen die Intendatin schon Stellung genommen hat. Ausserdem haben wir in Konstanz ein Rechnungsprüfungsamt und wir sind sicher, wir werden von neutraler offizieller Seite dazu informiert, wenn die Sitzungszeit wieder begonnen hat. Über weitere Vermutungen äußern wir uns nach Rücksprache mit meiner Fraktion nicht, auch weil es in der Vergangenheit schon mal eine sehr unschöne Kampagne gegenüber der Intendantin gegeben hat [Fettung von mir] und wir deswegen auf die uns offiziell vorgelegten Fakten warten. Darüber hinaus ist uns bezüglich der Zuschussmillionen viel wichtiger, dass wir eine zukunftsfähige überregionale Philharmonie haben, wozu wir uns bald mit einem Antrag an die Stadt wenden werden.“

In der Berichterstattung der Lokalzeitung taucht unser Statement dann so, und im Grunde sinnentstellend verkürzt auf: „Matthias Schäfer erklärt für das Junge Forum Konstanz, man warte offizielle Informationen ab.“ Das war alles. Die Kernaussage, dass wir eine erneute Kampagne für möglich halten, fand leider keinen Eingang in den Artikel.

Am Ende wird klar: Alles nur heiße Luft

Es folgten einige Beiträge über die Philharmonie Konstanz in diversen Medien, die an den Verfehlungen der Intendantin festhielten. Bis wir dann am 26.01.2023 in einer nichtöffentlichen Gemeinderatssitzung aufgeklärt wurden, was das Ergebnis der internen Prüfung des Rechnungsprüfungsamtes denn ergeben habe: Im Grunde nur heiße Luft. Aber das wollte die Stadtverwaltung so nicht kommunizieren (logisch, ist ja auch peinlich!). Es hieß, man rede noch mit den Anwälten, und arbeite an einer Pressemitteilung, die in Absprache mit Frau Pijanka herausgegeben werde, was Usus ist bei strittigen Personalentscheidungen, speziell, wenn jemand einen Auflösungsvertrag vereinbart oder gekündigt wird.

Insgesamt war das für viele von uns Stadträten eine zutiefst unbefriedigende Situation. Wir wussten, dass hier einer weiblichen Führungspersönlichkeit übel mitgespielt worden war. Aber wir durften wegen der Nichtöffentlichkeit der Informationen nichts nach außen tragen, was die Intendantin entlasten könnte. Von daher beschloss meine Fraktion, einen Antrag zu stellen, den Bericht des Rechnungsprüfungsamts öffentlich zu machen – wir hatten ihn gerade ausformuliert, als vergangenen Mittwoch im Seemoz ein Artikel erschien, der genau dies abliefert, nämlich eine erneute offizielle Mitteilung der Stadt, die den Großteil der Vorwürfe öffentlich entkräftet und zeigt, dass eine Frau in Führungsposition zu Unrecht niedergemacht wurde. Da war uns die FGL, die Freie Grüne Liste zuvorgekommen, was mich aber nichtsdestotrotz freute. Das ging in die richtige Richtung, nämlich eine echte Aufklärung!

Wie konnte es dazu kommen, dass Insa Pijanka so übel mitgespielt wurde?

Ein weiterer Artikel im Seemoz vom 09.02. kritisierte, in meinen Augen völlig zu Recht, den Konstanzer Kultur- und Sozialbürgermeister Dr. Andreas Osner, der sich eben nicht schützend vor die Intendantin stellte, solange die Vorwürfe ungeklärt waren, sondern der als ihr Vorgesetzter beharrlich schwieg. Seemoz schreibt, was viele hinter den Kulissen denken: „War es ihm [dem Sozialbürgermeister] vielleicht sogar ganz recht, Insa Pijanka, gegen deren Wiederwahl er sich ausgesprochen hatte, in der Schmuddelecke zu sehen?“

Und am 10.02. steht für den Seemoz fest: „Das Ergebnis des gestrengen RPAs: Es hat keine relevanten Verfehlungen gefunden (die etwa einen Rauswurf Pijankas gerechtfertigt hätten).“

Dieser Deutung kann ich mich anschließen, und ich habe es wirklich von Anfang an so kommen sehen. Ärgerlich, dass hier eine kompetente Frau aus der Führungsposition gemobbt wurde, dass die Verwaltungsspitze das nicht verhindert hat, und dass es zwischendurch auch seitens der Lokalzeitung, die das Thema aufgrund einer Pressemitteilung der CDU Fraktion erst aufgebracht hatte, hieß, die Stadträte hätten als Aufsichtsorgan versagt. Verloren haben am Ende alle: Die Lokalzeitung hat ein Riesenfass aufgemacht, wo nix war, die Verwaltung hat Vertrauen verspielt, und führende Mitarbeiterinnen fragen sich, wer die nächste ist, der sowas passieren kann, und Insa Pijankas Karriere liegt vorerst in Scherben.

Die Gerüchteküche sagt, es steckte etwas Persönliches dahinter

Und am Schluss noch etwas aus der Gerüchteküche, das nicht nur ich gehört habe: Gut informierte Kreise sagen, es gebe nicht zuletzt persönliche Motive für diese Diffamierungskampagne. Hintergrund soll sein, dass eine ehemalige Mitarbeiterin der Philharmonie, die gute Kontakte zu den Medien habe, noch Groll gegen Insa Pijanka gehegt habe, und es ihr zu verdanken sei, dass das Ganze so hochgekocht sei. Die Pressemitteilung der CDU kam da natürlich sehr zupass.

Wie sagte mein Papa immer: Ich bekomme so viel Gehalt, weil ich im Prinzip jederzeit gefeuert werden kann. Insa Pijanka ist jetzt erstmal freigestellt, mit Gehalt. Und hat wenig Chancen, in ihrer Branche zeitnah wieder Fuß zu fassen. Wie die Führung der Philharmonie in Zukunft aussehen soll, und wer sich nun noch auf diesen Schleudersitz bewerben mag, das steht in den Sternen. Hier hat sich echt niemand mit Ruhm bekleckert. Das sind Momente, in denen es wirklich gar keine Freude macht, Stadträtin zu sein. Ich wünsche Insa Pijanka alles Gute.

Die Kolumne „Stadtratsleaks“ erscheint ein Mal im Monat hier im Blog, immer um den 10. des Monats herum. Diese etwas später, da ich noch mit den anderen Räten meiner Fraktion abstimmen wollte, ob das so in Ordnung ist.

Ein Hoch auf die Sitzungspause! Kolumne Stadtratsleaks

Der Kolumnistin ist langweilig. Halt, das stimmt nicht. Sie ruht sich von den intensiven Sitzungswochen aus und sammelt Kraft für die Kommunalpolitik.

Wir haben Sitzungspause, das ist sowas wie Sommer- oder Winterferien für Schüler, und es ist auch kein Zufall, dass sich die Sitzungspausen bei uns in der Stadt Konstanz mit den Schulferien decken, denn die Hauptbegründung dafür, dass es Sitzungspausen gibt, ist dass VerwaltungsmitarbeiterInnen mit schulpflichtigen Kindern die Gelegenheit haben sollen, Ferien machen zu können.

Hier muss ich etwas ausholen und einen kurzen Einblick darin geben, wie so eine Sitzung funktioniert: Die Verwaltung bereitet „Vorlagen“ vor, das sind meist mehrseitige Dokumente mit Informationen und oft auch vielen Anlagen, die uns als Gemeinderäten als Entscheidungsgrundlage dienen.

Diese Vorlagen zu erstellen, ist mitunter sehr arbeitsintensiv, wie uns Räten immer wieder erklärt wird (Und ich habe keinen Grund, dies nicht zu glauben), und der/die Vorlagenerstellerin und ihre Vorgesetzte sind in der Regel in der Sitzung anwesend, um für eine kurze Einleitung und für Rückfragen zur Verfügung zu stehen. Wie man Vorlagen zu lesen hat, wo die Fallstricke sind und wie damit politisch gelenkt wird, drösele ich in einer späteren Kolumne mal auf, falls euch das interessiert. Es hat jedenfalls immer mit Framing zu tun, dies als Spoiler schon vorab.

Viel Korrespondenz in den Sitzungswochen

So, zurück zur Sitzungspause. Denn die genießen nicht nur die Verwaltungsmitarbeiter, sondern auch wir Räte und Rätinnen sehr. In den Sitzungswochen sind unsere Termine oft dicht getaktet und wir lesen pro Woche nicht nur Hunderte Seiten Vorlagen inklusive Anhängen, sondern werden je nach im Gemeinderat anstehenden Themen auch mit Mails von Bürgern, Interessensgruppen, Lobbygruppen und allerlei Anfragen zwischendurch geflutet.

Das können pro Tag durchaus 30-50 Mails sein, was für uns Stadträtinnen im Ehrenamt schon eine gewisse Arbeitsbelastung darstellt. Nicht alles beantworten wir persönlich, aber wir geben uns Mühe. Idealiter hat man dafür auch eine gute Fraktionsassistenz, die solche Dinge filtert oder an die man einige Anliegen zur Beantwortung weiterleiten kann – leider ist das bei uns nicht der Fall, denn unsere letzte Fraktionsassistenz, die das ganz hervorragend gemacht hat, wurde zur Gemeinderätin gewählt, und ein dauerhafter Nachfolger konnte trotz vieler Bemühungen nicht gefunden werden. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass wir halt keine Partei sind, denn oft machen diesen Job in anderen Fraktionen junge Menschen im Minijob, die das als Einstieg in eine größere Karriere sehen.

In der Sitzungspause bleibt das Postfach leer

Die Sitzungspause ist mir persönlich sehr willkommen, ich habe nämlich danach zuverlässig wieder Lust auf Sitzungen und darauf, die Kolleginnen und Kollegen im Gemeinderat und in meiner Fraktion wiederzusehen, und ich freue mich auch über ein nahezu leeres E-Mail Posteingangsfach zur Abwechslung mal sehr.

Nicht alle Kommunen machen aber Sitzungspausen, ich habe auch von Städten/Gemeinden gehört, die quasi durcharbeiten – es liegt im Ermessen einer jeden Kommune, dies selbst festzulegen. Wir hatten auch aufgrund steigender Arbeitsbelastung für Konstanz mal darüber gesprochen, ob wir im August Sitzungen stattfinden lassen wollten, dies dann aber mehrheitlich abgelehnt und uns stattdessen fürs in Kauf nehmen streckenweise hoher Termindichte entschieden.

Der Kopf wird frei und Abstand tut gut

In der Sitzungspause höre und lese ich von meinen Fraktionskollegen höchstens Neujahrsgrüße oder Privates, und auch das nur spärlich. Es gibt keine oder kaum Spatenstiche, feierliche Eröffnungen, sehr wenige repräsentative Termine – also Zeit zum Durchatmen. Ich finde, man kriegt den Kopf frei dadurch. Auch, wenn für etliche von uns Stadträten die Sitzungspause vor allem bedeutet, dass sie sich mit ganzer Kraft dem Beruf widmen können, der in Sitzungswochen oft gemeinsam mit familiären Verpflichtungen bzw. Sorgearbeit irgendwie im Terminkalender vereinbart werden muss.

Wir machen das ja schließlich im Ehrenamt, und auch wenn es für Angestellte ein Recht auf unbezahlte Freistellung für Sitzungen gibt, so muss man sich dies a) finanziell leisten können und b) es am Arbeitsplatz und vom Chef auch positiv aufgenommen werden, wenn man öfter mal fehlt (Und c) arbeiten so viele Menschen aus Konstanz in der Schweiz, dass auch dies ein Hindernis sein kann, denn dort gelten andere Regeln.) Das ist übrigens einer der Gründe, warum im Stadtrat und Gemeinderat so viele Rentner, wohlhabende Selbstständige und Lehrer zu finden sind, für sie ist die politische Teilhabe wesentlich einfacher zu verwirklichen.

Sitzungspause ist nicht gleich Sitzungs-Pause

Bevor ich wieder in der Sitzungspause dem Müßiggang fröne, soweit das als Freiberuflerin und alleinerziehende Mutter möglich ist: Es sei noch darauf hingewiesen, dass die Sitzungspause nicht zu verwechseln ist mit der Sitzungs-Pause, also der 10-15 minütigen Pause, die wir in langen Sitzungen machen. Die dient nämlich, wie die große Pause in der Schule, zum Füße vertreten, Schwätzchen halten, Rauchen und auch Brötchen am kleinen Buffet holen. (Wobei wir auch zwischendurch essen dürfen, aufs Klo gehen sowieso, und die Regeln nicht so streng sind. Weiteres Kolumnenthema, es gibt nämlich durchaus ungeschriebene Regeln!)

Und noch etwas anderes ist die Sitzungsunterbrechung, die in Situationen stattfindet, in denen z.B. die Fraktionen oder die Verwaltung noch internen Abstimmungs- oder Klärungsbedarf haben vor einer wichtigen Entscheidung. Sitzungsunterbrechungen kommen eher selten und in spannenden politischen Momenten vor. Denn genau wie in der Schule sind Sitzungen zwar manchmal langweilig und zäh, aber es gibt durchaus Augenblicke, in denen es richtig hoch hergeht.

Zum Gück sind wir nicht mehr in der Schule

Bei allen drei Arten von Pausen, der Sitzungspause, der Sitzungs-Pause und der Sitzungsunterbrechung haben wir als Stadträte ein Mitspracherecht, was die Sache dann schon auf ein anderes Level hebt als den Schulbesuch, denn wir agieren als gewählte Volksvertreter mit der Verwaltung auf Augenhöhe. Ich empfinde das, bei allen politischen Katz- und Maus-Spielchen, als recht gut funktionierendes System, das meist zu vernünftigen oder zumindest tragbaren Entscheidungen führt.

Für mich geht’s ab Mitte Januar wieder los, mit zuerst einem Neujahrsempfang, dann ist Fraktionssitzung am Montag, danach Arbeitssitzung für die Vorbereitung des internationalen Frauentags bzw. der Aktionen dazu im Monat März, und einem Vernetzungstreffen für Räte und Rätinnen – damit sind drei Abende belegt. Die Woche darauf wieder Fraktionssitzung, dann Sozialausschuss, schließlich eine Gemeinderatssitzung, und es werden sicher noch weitere Termine dazukommen. Ich freue mich drauf. Und damit das so bleibt, bin ich jetzt wieder weg. Tschüssi!