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Interview mit Bê Ignacio: Musikerin & Mutter aus Konstanz

Intro

Während ich mir die Fragen für dieses Interview überlegte, lief der ZDF Fernsehgarten, in dem Betina vor ein paar Tagen auftrat. Vor kurzem war sie bei Frank Elstners „Menschen der Woche“ zu Gast, ich habe sie im Morgenmagazin gesehen und bekomme über Facebook mit, wie sie geradezu kometenhaft aufsteigt diesen Sommer.

Ich gönne ihr das so sehr, denn Betina ist für mich vor allem die sympathische, talentierte und warmherzige Mutter von J., einem Mädchen, mit dem meine älteste Tochter seit über 10 Jahren befreundet ist. Während die Mädchen wachsen und wachsen, wird Betina aber überhaupt nicht älter, sondern nur immer berühmter. :)

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Holger Hage, ©DEAG music/Sony music

In Konstanz war sie schon, als ich vor vielen Jahren hierher zog, ein kleiner Star. „Die Mutter von J. macht so tolle Musik, die musst du dir mal auf einem Konzert anhören!“, sagte mir eine andere Mutter aus dem Kindergartenzirkel der Altstadt, in der wir damals lebten. Und sie hatte Recht: Obwohl diese lateinamerikanische (?) Musik, wie Betina und ihr Mann Markus sie damals spielten, überhaupt nicht mein Ding ist, schwingt sich Bê mit ihrer Musik ins Herz. Dass man den Blick kaum von ihr lassen kann, weil sie so schön ist, hilft sicher – aber vielleicht war es auch der Karriere ein bisschen hinderlich; ich hatte anfangs gedacht, dass vielleicht hinter dieser schönen Fassade nur Leichtigkeit zu Hause sei.

Weil wir vor einigen Jahren Gelegenheit hatten, uns tiefergehend und länger zu unterhalten über das Leben, die Liebe und das Kinderkriegen, bin ich ein echter Fan von Betina. Sie ist warmherzig, sie arbeitet hart, hat Musik studiert und beherrscht etliche Instrumente (ich glaube, es war nach der Prüfung im Fach Klavier, dass wir in meiner damaligen Wohnung in der Altstadt ins Reden kamen, wozu sonst nie Zeit war), und ich wette, bei dieser WM gelingt ihr der Durchbruch zum Promi.

Bevor sie nun gar keine Zeit mehr für Interviews hat, frage ich sie lieber gleich, was mich im Rahmen meines Blogs interessiert, und zwar Bê als Künstlerin und Mutter. Wie steht’s mit der Vereinbarkeit von Künstlerinnen-Dasein und Familie?

 

Betina, seit wie vielen Jahren machst du mit deinem Mann Markus nun schon Musik? Und wann fing’s an, dass eure Bekanntheit über den Raum Konstanz hinaus ging?

Also unser erster gemeinsamer „Gig“ war meine Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule Stuttgart! Denn Markus hatte gerade die Abschlussprüfung und hat die Bewerber um die wenigen Plätze im Gesangstudiengang begleitet. Eigentlich haben wir dann ziemlich schnell angefangen zusammen zu spielen. Er kannte sehr viel brasilianische Musik und das half natürlich, gleich ein schönes Repertoire zusammenzustellen. Wir haben dann ein paar Jahre hauptsächlich für Firmen an ihren Events gespielt, brasilianische Bossa Novas und Jazz.

2007 sind wir dann fast ein halbes Jahr in Brasilien gewesen und haben unser erstes Album angefangen. Ich habe gesagt: entweder wir spielen unsere eigene Musik oder gar nichts. Ich hatte aufgehört zu modeln und wollte tun, was ich wirklich wollte, und das war: eigene Songs singen, denn ich kann mich nicht so gut verstellen und fremde Lieder singen, ich kann auch nicht schauspielern oder mir einen Text merken, den ich dann bei Interviews oder bei Ansagen zwischen den Liedern sagen soll! Bei meinen eigenen Songs habe ich Bilder im Kopf, Gefühle, Gerüche, Erinnerungen an das, über was ich singe, und dann ist ALLES anders!

Eigentlich ging es gleich los, dass wir auch über die Grenzen von Konstanz hinaus wollten. Wir wollten gleich im Jahr 2008 eine Tour durch Deutschland machen… Als uns keiner buchen wollte, haben wir uns einfach tolle Clubs ausgesucht, gefragt ob wir dort spielen dürfen und ob sie uns engagieren wollen… und wenn sie nicht wollten, klar, mich kannte ja niemand :-) , dann haben wir den Club kurzerhand gemietet und selber veranstaltet! Das heißt dann aber auch: die Zeitungen anrufen, Banner ins Internet setzen, Telefonieren ohne Ende und teilweise haben wir dann zu zweit nachts irgendwo in Bremen oder Köln Plakate geklebt!

Aber so haben wir gleich in den tollsten Locations wie dem Stage Club in Hamburg oder der Kulturbrauerei Prenzlauer Berg in Berlin oder dem Alten Pfandhaus in Köln gespielt! Da kamen teilweise nur 30 oder 50 Leute, aber beim zweiten Mal dann schon doppelt so viele und die Clubbesitzer haben das gemerkt und dann mitveranstaltet, uns geholfen und mit den meisten haben wir bis heute ein tolles Verhältnis.

Der richtig große Schritt passierte aber erst 2013, als der Song „Sununga“ deutschlandweit in die Radios und dann in die Verkaufscharts kam, und wir 10 Wochen lang unter den ersten drei der SWR3 Hörercharts waren und einen kleinen Sommerhit hatten. Was jetzt grade abgeht ist noch ein bisschen mehr… Wir werden sehen!

Du hattest deine Tochter oft dabei bei Auftritten, auch als sie noch ein Kindergartenkind war, stimmt’s?

Natürlich! Als Baby hatten wir sie in den Hotels dabei, als ich noch in München, Mailand und Düsseldorf gemodelt habe. Ich habe angefangen, sie abzustillen als sie 4 Monate alt war und wieder gemodelt. Später bei den Konzerten war sie ein richtiges kleines „Zigeunerkind“; sie war sehr gern unterwegs, hat sich pudelwohl gefühlt zwischen den Musikern auf der Bühne beim Soundcheck, trieb sich bei den Konzerten immer zwischen den Vorhängen oder sogar unter dem Flügel rum, hat die Aufmerksamkeit genossen, die ihr überall entgegenschlug wenn sie mit dabei war, und hat sich immer sehr bestimmt zurückgezogen, wenn’s ihr zuviel war, hat sich ein Eckchen gesucht und dann zum Beispiel in der Backstage hinter oder unter der Bühne auf einer Matratze und mit ihren mitgebrachten Kuschelkissen und Decken friedlich geschlafen, obwohl der Bass dröhnte und die Wände zum Vibrieren brachte!

Sie liebt diese ganze Stimmung und das Drumherum bis heute, ist immer dabei wenn es geht, und es geht ziemlich oft, denn die meisten Konzerte sind ja am Wochenende. Hast du gesehen, dass sie sich beim Abspann im Fernsehgarten einfach mit auf die Bühne geschlichen hat und mit uns mitgetanzt und mitgeklatscht hat? Sie hat auch ganz ohne groß nervös zu sein ihre beiden ersten Auftritte am Keyboard gleich live im Fernsehen letztes jahr bei der Abendschau in München und beim ZDF Morgenmagazin gehabt, sie hat das grandios gemeistert und fehlerlos gespielt…

Haben die Leute dich deswegen komisch angesehen oder angeprochen?

Es ist seltsam – mir direkt wurde nie etwas gesagt, ich wurde auch nie auf irgendwas in dieser Richtung angesprochen. Hintenrum aber kamen ziemlich viele solche Dinge an mich ran. Öfters wurden zum Beispiel meine Schwiegereltern angesprochen, wie das denn sei, wann sich denn mal die eigene Mutter um das Kind kümmern würde und ob das arme Kind seine Eltern überhaupt noch kennt undsoweiter. Oder in die andere Richtung: „Ja, muss ihre arme Tochter jetzt schon wieder durch ganz Deutschland fahren?“

Was mich aber immer wieder sehr aufgeregt hat, war als mir meine Tochter erzählte, dass SIE öfters von anderen Eltern „bemitleidet“ wird, also Bemerkungen wie „Du arme Kleine, du siehst deine Mutter ja so selten“ oder „Wo ist sie denn nur jetzt wieder?“, oder „Dir gehts ja bestimmt schlecht, jetzt wo deine Mutter schon wieder nicht da ist.“ Das war schlimm und traf mich teilweise hart, denn ich tat wirklich alles, um zuviel Abwesenheit zu vermeiden und eine „gute Mutter“ zu sein!

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Holger Hage, ©DEAG music/Sony music

Irgendwann etwas später, als sie acht Jahre alt war, hat sie dann mal zu mir gesagt: „Weißt du, ich will gar nicht, dass es bei uns so ist wie bei meinen Freundinnen, da sind die Eltern zwar zu Hause aber eigentlich sind die irgendwie trotzdem gar nicht da und außerdem immer nur müde“.

Und es stimmt, ich habe meine Tochter noch nie angeflunkert um sie vor einer unangenehmen Wahrheit zu schützen, wir haben immer gesagt wenn wir z.B. 10 Tage weg waren, dann haben wir zusammen einen Plan gemalt wo wir jeden Tag sind und was wir da machen, und sie hat sich das eingeteilt und die Zeit mit den Großeltern genossen. Wir leben ja quasi in einem 3 Generationen Haushalt mit ihnen, anders wäre das nicht möglich! So haben wir in dem Sinn keine „Babysitter“ oder mussten unsere Tochter in fremde Betten ausquartieren!

Und wenn wir gemerkt haben oder sie gesagt hat, dass es jetzt trotzdem zuviel wird, dann haben wir zurückgesteckt und einfach ein paar Sachen gestrichen. Ein anderer wichtiger Grundsatz ist, dass wir die Zeit, die wir zusammen sind, sehr intensiv miteinander verbringen, über alles reden, Wichtiges und Unwichtiges, zusammen spazieren, ins Kino gehen, oder zu Hause Filme anschauen, Musik hören, manchmal Blödsinn und toben. Außerdem auch mal einfach 2 Tage abhauen, am liebsten in die Berge.

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Holger Hage, ©DEAG music/Sony music

Wie haben dein Mann und du die Balance zwischen dem wilden Künstlerdasein mit langen Nächten und dem Elterdasein hinbekommen? Das stelle ich mir gerade in den ersten Jahren als ganz schönen Spagat vor?

Also soo wild à la  „sex drugs & rock’n roll“ ist das auch nicht! Naja gut, manchmal ist’s schon wild, aber da genießen wir einfach die Kontraste, die dieses Leben so schön machen! Es ist doch eigentlich klar, nach 2 Wochen auf Tour sehnt man sich total nach Zuhause, nach der Geborgenheit und Schmusen mit der Tochter, die Rolläden runterzumachen und sich wie in einer Murmeltierhöhle einzukuscheln! Die Müdigkeit muss man eben durchstehen aber ich hatte immer das Gefühl, dass meine Tochter genau diese meine ehrliche Lust auf das Zusammensein mit ihr gespürt hat und nie dieses Gefühl hatte, dass die Eltern jetzt mit dem Kopf ganz woanders sind oder eigentlich schon leicht nervös sind weil sie etwas anderes tun sollten.

Heute geht sie immer noch gern mit, gerade war sie auch mit uns in Mainz und Berlin und wir hatten auch auf den langen Autofahrten Spaß. Allerdings muss sie auch ein bisschen Teenie sein und ist nicht mit uns um 4 Uhr morgens zum ZDF Morgenmagazin aufgebrochen… Als wir um 11 wieder ins Hotel kamen hat sie immer noch tief geschlafen! :-)

Ihr verbringt das Winterhalbjahr immer in Brasilien – war es schwierig, das mit der Schule von eurer Tochter zu regeln? Wie findet sie das?

Glücklicherweise haben wir einen sehr verständnisvollen und weltoffenen Direktor, der auch schon Vorsteher einer internationalen Schule in Singapur war. Es besteht ja Schulpflicht für deutsche Kinder, egal wo man sich auf der Welt befindet, und so geht sie eben dann einfach dort in die brasilianische Schule. Die Fächer entsprechen sich leider überhaupt nicht, sodass das eher einen sozialen Effekt hat und ihr die Vorzüge einer deutschen Schule bewusst werden. Aber gelernt hat sie mehr nach den skype-Anleitungen ihrer Freundinnen mit den deutschen Schulbüchern, konnte so den Stoff mitlernen und wieder in die selbe Klasse kommen, da die Leistungen gestimmt haben!

Wie sie das findet? Was für eine Frage! Natürlich erstmal genial, 2 Minuten entfernt von einem Traumstrand und weit weg von der üblichen Routine. Allerdings ist es nach ein paar Monaten auch wieder gut, nach Deutschland zurückzukommen, die Freundinnen nicht nur auf dem Bildschirm zu sehen und die Vorteile an Deutschland, die sie vorher gar nicht gesehen hatte, eine Zeit lang bewusst wahrzunehmen… Allerdings ist dieser Effekt auch schnell wieder weg und man nimmt hier alles selbstverständlich… dass der Bus pünktlich kommt, der Unterricht stattfindet, dass man allein zur Schule kann ohne Angst zu haben, dass es Fahrradwege gibt und, und, und.

Komponierst du immer noch selbst? Welcher ist dein Lieblingssong, den du selbst geschrieben hast?

Klar, ich komponiere immer noch selber, schon immer zusammen mit Markus, aber seit letztem Jahr auch zusätzlich noch mit unseren Produzenten, denn wenn sie am Song mitarbeiten ist es besser, wenn sie ihrer Kreativität freien Lauf lassen können, ich bin dann auch offen für einen neuen Refrain oder Vers. Das ist auch sehr bereichernd.

Einen einzigen Lieblingssong habe ich nicht, da ist jeder sehr speziell und zu jedem gibt es eine Geschichte, egal ob er im Radio kam oder nicht! Zur Zeit ist es aber tatsächlich die aktuelle Single „Ayo Aye“, weil ich es so liebe, wenn ich merke, dass die Leute dabei sind, mitmachen und sie etwas spüren können, was ich im Song zu vermitteln versuche.

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Holger Hage, ©DEAG music/Sony music

Und wenn ich dann sogar beim ZDF Fernsehgarten Gänsehaut beim Auftritt bekomme, weiß ich, dass es richtig ist.

Extro

Betina ist sozial stark engagiert, weil sie als in einer Favela aufgewachsene Frau die Verhältnisse in Brasilien genau kennt und sehr kritisch beobachtet. Deswegen veröffentliche ich hier gerne ihren Spendenaufruf:

„Liebe Leute!

Am Freitag war die Veröffentlichung von meiner Single „Ayo Aye“ und ich brauche deine Unterstützung! Bitte lade den Song runter (er kostet „nur“ 0,69 oder 1,29 Euro) und empfehle ihn an soviel Freunde und Bekannte wie es geht weiter.

Es ist mir sehr, sehr wichtig, weil ich meinen gesamten Anteil am Verkauf der ersten beiden Wochen an das Slum (favela) Projekt Monte Azul in Sao Paulo, wo ich aufgewachsen bin, spenden möchte. Ich danke euch sehr sehr herzlich und wünsche eine Super WM und einen tollen Sommer!

Liebe Grüsse, beijo, Be.“

Download bei Itunes: https://itunes.apple.com/de/album/id884025909?i=884025914

 

FB-Seite-Betina

 

Nachtrag: So lernte ich sie als Musikerin kennen, und das ist eine ganz schöne Erinnerung – den Song in einer lauen Sommernacht, im Konstanzer „Klein Venedig“, einen Cocktail in der Hand, direkt am Ufer des Bodensees. Es war umsonst und draußen.