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„Schnellstarterin“ – 3 Monate nach der Geburt wieder im Beruf?

Linoleumgeruch, blitzeblanke lange Flure, eine Wartezone mit Ficus Benjamini und unbequemen Plastikstühlen. Das Arbeitsamt in Hamburg-Mitte war hässlich, aber ich hatte nichts anderes erwartet. Draußen novembergrau, drinnen ich mit dem nagelneuen dunkelblauen Kinderwagen. Ich fror und ich war müde, die ersten Wochen mit dem Baby waren anstrengend gewesen.

Pünktlich zum vereinbarten Termin klopfte ich an der Tür der Sachbearbeiterin und trat ein. Sie sah missbilligend auf das Baby auf meinem Arm, bot mir einen Platz an, fragte ein paar Daten ab, und sagte dann den Satz, den ich auch 15 Jahre später nicht vergessen habe: „Sie wollen doch gar nicht arbeiten. Bleiben Sie mit dem Kind zuhause.“ Das war wie eine Ohrfeige für mich. Ich war schlagartig wach. Und ich war wütend. Was bildete sich diese Frau ein!? Klar, wenn ich mich nicht arbeitslos melde, spart der Staat Geld, das konnte mich mir denken. Aber zum einen mussten wir ja von irgendetwas leben, und zum anderen war ich bis zu diesem Tag überhaupt nicht auf die Idee gekommen, nach dem Mutterschutz nicht gleich wieder zu arbeiten.

Bewerbungsfoto für das Praktikum bei Familie&Co, Hamburg im Spätherbst 2000
Bewerbungsfoto für das Praktikum bei Familie&Co, Hamburg im Spätherbst 2000. Ich bekam den Job.

 

Ich fand die Idee absurd, zuhause zu bleiben. Elternzeit gab es damals noch nicht, Modelle für gelungene Vereinbarkeit von Familie und Beruf kannte ich nicht, weil ich trotz des hohen Alters (ich war 34 bei der Geburt des ersten Kindes) keine Paare mit Kindern im Freundeskreis hatte. Zuhausebleiben!? Das meinte die Sachbearbeiterin ernst, ihr drohender Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel zu. „Ich kann Ihre Arbeitslosmeldung nur aufnehmen, wenn Sie mir schriftlich geben, dass Sie jemanden haben, der sich um Ihr Baby kümmert“, schob sie noch hinterher, und ich versicherte ihr, dass mein Mann das tun würde, so sei es besprochen. „Das brauche ich schriftlich“, wiederholte die gnadenlose Frau vom Amt. Gut, das sollte sie bekommen, ich würde diese Betreuungsbestätigung nachreichen, kündigte ich an.

Während ich ob dieser Behandlung zwischen Wut, Bestürzung und dem Wunsch, in Tränen auszubrechen schwankte, schaukelte ich sanft mein Baby, was wahrscheinlich mich in diesem Moment mehr beruhigte als mein Kind, und dann verließ ich so schnell wie möglich diesen schrecklichen Ort, und nahm mir vor, möglichst wenig mit Arbeitsämtern zu tun zu haben wollen. Es war sowieso nur dazu gekommen, weil ich schwanger die Journalistenschule besucht hatte und quasi direkt nach dem Erwerb des Abschlusszertifikats das Baby auf die Welt gekommen war. Ich war also nicht in der halbwegs bequemen Position, aus einem Job heraus wieder in den Beruf zu starten, sondern musste neu anfangen, in einer Stadt, in die ich für meine Ausbildung gezogen war.

Vollzeit arbeiten und sich dabei pudelwohl fühlen – Säugling hin oder her

Über die Empfehlung einer Freundin fand ich dann noch vor dem Ende des Mutterschutzes einen festen Vollzeitjob, den ich gut 4 Monate nach der Geburt meines Babys angetreten habe. Es handelte sich um einen gut bezahlten Job, für den ich perfekt qualifiziert war: Leitende Online Redakteurin der englischsprachigen Version einer Event-Webseite, und ich freute mich darauf. Vorher machte ich noch einen Monat lang ein Praktikum bei Familie & Co, die damals noch in Hamburg waren, ich ging also direkt nach dem Mutterschutz wieder voll arbeiten, 3 Monate nach der Geburt. Früh kam mir das nicht vor, ich fand das selbstverständlich.

Mir hat auch mein Kind tagsüber nicht gefehlt, im Gegenteil, ich war froh, etwas tun zu können, worin ich gut bin, unter Leuten zu sein im Büro, und gutes Geld zu verdienen. Niemand dort, in der Firma, fragte mich, ob ich das Kind nicht vermisste, nur meine Mutter rief öfter Mal bei uns zuhause an, wo der Mann sich ums Baby kümmerte und nebenbei seine Firma gründete. Und ulkigerweise war meine Mutter bei jedem Anruf bass erstaunt, dass ich bei der Arbeit war, obwohl sie das eigentlich genau wusste. Ich ärgerte mich zuerst darüber, dann fand ich es lustig und zuckte die Schultern. Meine Mutter war ihr Leben lang Hausfrau, natürlich passte mein Verhalten nicht in ihr Weltbild.

schnellstarterinnen
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 04.10.2915

Der Fortschritt ist eine Schnecke

Dass aber heute noch verwundert nachgefragt wird, wenn Frauen „schon“ 3 oder 6 Monate nach der Geburt wieder arbeiten wollen, finde ich schon etwas anachronistisch. „Die Schnellstarterinnen“ titelt die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung heute, und lässt dort 3 Frauen zu Wort kommen, die relativ schnell wieder in den Beruf einstiegen. Keine von den dreien berichtet davon, dass sie diese kurze Auszeit normal fand. Alle erzählen von einem gewissen Druck im Berufsleben, nicht von dem eigenen Wunsch, zu arbeiten. Auch vom schlechten Gewissen ist die Rede. Ja, bin ich denn total sonderbar!? Ich hatte kein schlechtes Gewissen, wenn ich arbeitete, nie.

Dabei habe ich nicht nur ein Kind, sondern drei. Beim zweiten Kind habe ich 14 Tage nach der Geburt schon wieder Interviews am Telefon geführt und frei geschrieben, und ich fand das großartig. Dafür leistete ich mir einen Babysitter und zahlte jeden Euro gern. Denn nur Windeln und Spazierengehen, das füllte mich nicht aus. Und als das dritte Kind kam, war ich fest in der Schweiz angestellt, mit einer 42-Stunden-Woche; da gab’s keinen Mutterschutz vor der Geburt per Gesetz, nur hinterher 14 Wochen, in denen die Frau nicht am Arbeitsplatz erscheinen darf. Für diese Zeit habe ich eine freie Journalistin als Vertetung organisiert und eingearbeitet, mich aber bereits eine Woche nach der Geburt wieder um meine Mails gekümmert und stundenweise auf der Webseite, die ich betreute, nach dem Rechten geschaut. Nach 14 Wochen war ich wieder voll im Job, weil ich es wollte, und auf die Kinder passte mein Au-Pair auf. Es ging allen gut.

Ich habe immer gearbeitet, weil ich es wollte. „Das ist borniert!“, hatte mir mal ein Freund vorgeworfen, der als Werkzeugmacher schwer malochte, und der mich darauf aufmerksam machte, dass viele Leute nur des Geldes wegen arbeiten und ihren Job hassen. Diese Leute tun mir leid, und ich bin froh um meine gute Ausbildung, das Studium, die Auslandserfahrung, die Dinge, die ich lernen konnte. Lernen ist toll. Und arbeiten auch, jedenfalls, wenn man etwas tun kann, das man liebt. Als Schnellstarterin habe ich mich nie gesehen. Ich finde den Begriff an dieser Stelle albern – nein ärgerlich. Nur weil ich ein oder mehrere Kinder austrage und gebäre, eventuell auch stille, bin ich doch kein anderer Mensch. Den Vätern sagt ja auch niemand, „Oh, Sie wollen schon direkt nach der Geburt/nach 2 Monaten Elternzeit wieder arbeiten? Trauen Sie sich das denn zu?“

Es hat sich offenbar wenig getan in den vergangenen 15 Jahren, zwischen der Geburt meines ersten Kindes und jetzt. Im Gegenteil, bei Alleinerziehenden, wie ich es seit 6 Jahren bin, scheinen Arbeitgeber davon auszugehen, dass frau eh nicht zuverlässig bei der Arbeit erscheine oder besser bei den Kindern aufgehoben sei. Wenn ich keine Arbeit mehr bekomme, dann schaffe ich sie mir eben selbst, habe ich mir bockig gesagt. Und arbeite seit 3 Jahren selbstständig von zuhause aus. Jetzt bin ich nicht nur Schnellstarterin, sondern auch noch Spätstarterin. Und zeige denen, die meinen, als dreifache Mutter könne eine Frau nicht arbeiten, eine lange Nase. So viel Genugtuung darf sein.

Link zum Artikel in der FAS, online seit 10.10.2015