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Was Alleinerziehende brauchen – eine Umfrage

Gestern wollte ich ranten, heute will ich informieren. Manchmal ist eine Nacht drüber schlafen ja doch gut, wenn die Botschaft ankommen soll. Was mich so auf die Palme gebracht hatte? Eigentlich nichts besonderes, wenn man meine Lebenssituation betrachtet. Es war ein sehr gutes Feature im Deutschlandradio über Alleinerziehende und ihre Lebensrealität.

Zu Gast waren Meike Büttner, die Bloggerin und Autorin des Buchs „Mutterseelenalleinerziehend“, Professorin Anne Lenze (Familien-, Jugendhilfe- und Sozialrecht an der Hochschule Darmstadt) und Antje Beierling vom „Verband allein erziehender Mütter und Väter NRW e.V.“

Während ich die kurzweilige, 70 Minuten dauernde Sendung als Podcast nachhörte, bemerkte ich, wie es in mir zu gären begann. Derweil stellten die Kinder die Wohnung auf den Kopf und, wie ich später feststellte, verzierte die Jüngste den Gartentisch mit Permamentmarker. Es tat, obwohl ich die Fakten, die in der Sendung erwähnt wurden, allesamt kannte – bis auf die erstaunliche Tatsache, dass Alleinerziehende in England ihr komplettes Bruttogehalt behalten dürfen und noch etwas Geld vom Staat obendrauf bekommen! – ziemlich weh, das geballte Elend in einer Sendung zu hören. Vielleicht besonders, weil sie so sachlich war und alle Beteiligten eigentlich frohgemut klangen.

Screen-Deutschlandfunk

Und trotzdem – diese unglaubliche soziale Ungerechtigkeit, die Alleinerziehende in Deutschland erfahren, ist noch viel zu wenig bekannt. Und darum möchte ich die Ergebnisse einer Umfrage, die mir Tina Nebel, Studierende der FH Köln im Fachbereich Soziale Arbeit zur Verfügung gestellt hat, gerne als Illustration nehmen dafür, wie es ganz vielen Frauen geht, die in Deutschland alleine Kinder aufziehen. Tina Nebels Umfrage ist im April 2014 innerhalb ihres Bachelor-Studiums enstanden, 243 Teilnehmer antworteten. Ich bin mitten im Thema als seit 4,5 Jahren Alleinerziehende, und trotzdem hat es mich erschüttert zu lesen, wie normal das ist, was ich erlebe, und wie schwer es diese Frauen haben.

Alleinerziehende, sagten mehrere Stimmen in der Sendung im Deutschlandradio, fühlten sich oft wie ein Klotz am Bein der Gesellschaft, sozial isoliert, benachteiligt, ständig ge- und überfordert und litten unter Armut und Ausgrenzung. Besonders selbstständige Alleinerziehende (wie ich) erzählten, sie müssten sogar funktionieren, wenn eigentlich gar nix mehr geht. Und dass es ungerecht sei, dass die Erziehungsleistung in der Rente nicht anerkannt würde. Ja, das kann ich alles unterschreiben. Auch dass die Besteuerung in Deutschland Alleinerziehende benachteiligt, kam zur Sprache.

Warum ist das so? Und was müsste passieren, damit die Kinder der 1,6 Millionen Alleinerziehenden, die zu 90% bei Frauen aufwachsen, nicht mehr in Armut bei Müttern kurz vor dem Burn-Out groß werden? Fangen wir mal dort an, wo Tina Nebels Umfrage aufhört:

Was wünschen sich Alleinerziehende?

  • Alleinerziehende sollten einen finanziellen Bonus bekommen und jedes Jahr eine Mutterkindkur, die zu ihren Bedürfnissen passt.
  • „Letztendlich werden nicht nur Kita-Plätze benötigt, sondern aktive und flexible Hilfen für Alleinerziehende im Alltag.“
  • Es sollte eine zentrale Anlaufstelle in jeder Kommune geben, die als Schnittstelle zwischen Ämtern fungieren soll.
  • Abschaffung der Lohnsteuerklasse 2 und steuerliche Besserstellung (Kinderfreibetrag zu gering, um Existenzminimum abzudecken).
  • „Das Geld für die Kuren sollte lieber in Alltagshilfen investiert werden (Haushaltshilfe, Babysitter), damit es gar nicht erst zu Überlastung kommt.“
  • „Mitleid mag ich nicht, aber ich hätte gerne mehr Verständnis vom Umfeld, dass es manchmal schwierig ist mit zwei kleinen Kindern, alleine perfekt Termine einzuhalten und wünschte, es würde weniger Druck kommen, die Kinder strenger zu erziehen.“
  • „Es fehlt ganz klar an den nötigen gesetzlichen Rahmenbedingungen. Da, wo Väter keine Betreuung leisten können oder wollen (Gewalt, Missbrauch, o.ä.) und diese leistungsfähig wären, müssten sie den Teil, den Mütter „auffangen“ müssen, auch finanziell entschädigen.“
  • „Wenn ich etwas ändern könnte, dann den gesetzlichen Rahmen. Mütter schützen, sozial absichern, Renten sichern, Täter-Väter verurteilen zu Schadenersatz und sofortigem Sorgerechtsentzug.“
  • Geeignete, bezahlbare Wohnungen in einem sicheren Wohnumfeld.
  • „Bundesweite Einführung von funktionierenden Notmütterdiensten (die die Kinder daheim, auch über Nacht versorgen, statt Dorfhelferinnen oder Inobhutnahmen), wenn Alleinerziehende verunfallen oder im Krankenhaus sind.“
  • „Mehr Be/Achtung bezüglich Familie, Kindern, insbesondere alleinerziehenden Frauen.“
  • „Eine Gesellschaft, die Erziehungsarbeit als solche anerkennt… dass hingesehen wird, dass Notlagen meist keine Ursache in persönlichem Versagen oder Faulheit haben, sondern dass durch die Trennungskonflikte katastrophale Situationen entstehen können.“

Was finden Alleinerziehende gut an ihrem Leben?

Selbstbestimmung, Freiheit, mehr Ruhe, keine Streitereien oder nervige Partner, Entscheidungsfreiheit – eine Teilnehmerin schreibt, sie fühle sich von ihrem Ex befreit, eine andere ist froh, nicht mehr dem Lebenschaos „dieses Menschen ausgeliefert“ zu sein.

Aus den Antworten, die hier gegeben werden, klingt sehr viel Traurigkeit mit – und ich kann das so gut verstehen, weil es unglaublich hart ist, sich zuerst in einer schrecklichen Ehe zu finden und dann auch noch die Trennung mit all den Schwierigkeiten meistern zu müssen, um dann hinterher ständig für alles zuständig zu sein, bei nur mäßig guten beruflichen und privaten Perspektiven und kaum Zeit zum Innehalten. So ist das Positive stets von der negativen Vergangenheit geprägt. Sollte ein selbstbestimmtes, gewaltfreies Leben nicht selbstverständlich sein? 

Worunter leiden die Alleinerziehenden am meisten?

Überlastung (42,5%), ständige Einsatzbereitschaft, und gesundheitliche Folgen: Müdigkeit (80,1%), Verspannungen (64,1%), Rückenschmerzen (66,5%), Erschöpfungssyndrom (50%!) und depressive Verstimmungen (50,7%), auch viele posttraumatische Belastungsstörungen, Schlafstörungen (53,5%) und 58,2 % berichten von Ängsten.

Ein schlechtes Gewissen, weil so wenig Zeit für die Kinder bleibt, der Alltag hektisch und dicht getaktet ist, und trotzdem so wenig Geld übrig bleibt, macht auch etlichen Alleinerziehenden das Leben schwer. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stellt sie vor unglaubliche logistische Herausforderungen, viele sind allerdings frustriert, weil sie mangels passender Kinderbetreuung keine oder nur schlecht bezahlte Arbeit finden (Probleme mit Schichtdienst, Schulferien, kranken Kindern, Überstunden, Schließtagen der Kita).

Außerdem berichten die Umfrageteilnehmer, der Tag sei zu kurz um alles zu schaffen, der Haushalt leide darunter, es sei sehr anstrengend, alles unter einen Hut zu bekommen. Manch eine hat sogar das Gefühl, sie selbst sei abhanden gekommen: „Alleinerziehend zu sein hat mich stark gemacht und gleichzeitig zerstört. Ich möchte meiner Tochter ein gutes Vorbild sein und deswegen funktioniere ich. Mich selbst gibt es schon lange nicht mehr.“

Liest man das, ist eigentlich erstaunlich, dass die Alleinerziehenden überhaupt noch funktionieren. Und es sollte uns zu denken geben, dass hier eine ganze Generation von Alleinerziehendenkindern mit psychisch beeinträchtigten Müttern aufwächst. Armut ist das eine, aber psychische Überlastung bei Eltern hinterlässt tiefe Spuren in Kinderseelen – wie kann das dieser Staat einfach übersehen?

Scheidung und Streit aus Kindersicht
Scheidung und Streit aus Kindersicht

Warum sind die Alleinerziehenden allein?

Erstaunlich viele Umfrageteilnehmerinnen berichten, dass die Trennung wegen gewalttätiger Ex-Partner erfolgt sei, Alkohol, Drogen, ständiger Unfrieden und Gewalt den Alltag vor der Trennung unerträglich machten. Oft genannt wurden auch Midlife-Crises des Mannes und Untreue. Eine Teilnehmerin schreibt „Mein Exmann war eines Tages einfach weg.“ Und so ist es logischerweise auch die Aufgabe der Mutter, die posttraumatischen Belastungsstörungen der Kinder aufzufangen, mit oder ohne psychologischer Hilfe.

 Worüber Alleinerziehende wütend sind

  • „Die Kosten für Kinder sind Privatsache – warum eigentlich? Meine Kinder werden Rentenbeiträge bezahlen für diejenigen, die jetzt keine Kinder aufziehen und ich gucke in die Röhre, Altersarmut ist vorprogrammiert.“
  • „Es ist eine Schande, wie der Staat Mütter von der Berufstätigkeit fernhält.“
  • Viele Rechte für Väter, nur Pflichten für Mütter: „Ich finde das ganze Umgangs- und Sorgerecht schreiend ungerecht, und zwar zum Nachteil der Mütter. Diese haben eigentlich nur Pflichten und keine Rechte – ganz im Gegensatz zu den Vätern.“

Noch ein paar Fakten zur Abrundung

Gut die Hälfte der Umfrageteilnehmerinnen (56%) erhält keine oder nur unvollständige Unterhaltszahlungen, 55% beziehen Hartz IV, ALG oder Wohngeld, weitere 30% Unterhaltsvorschuss vom Staat.

73,4% der Befragten werden in der Betreuung und Erziehung nicht vom Kindsvater unterstützt. 95,4% der Umfrageteilnehmer waren weiblich, zum Großteil zwischen 30 und 39 Jahre alt (45,7%), ansonsten 21-29 (21,8%) und 40-49 (28,8%).

33,9% der Umfrageteilnehmerinnen haben wöchentlich keine, NULL Stunden Freizeit. 28,5% haben immerhin 1-2 Stunden Zeit für sich, und nur 21% 3-5 Stunden. Das sollte jedem, der sich mit dem Thema Alleinerziehende beschäftigt, zu denken geben.

Auch ich habe so gut wie keine Freizeit. Und das zehrt. In meiner Freizeit, wenn die Kinder in der Kita sind, arbeite ich. Und wenn die Kinder da sind, habe ich nicht frei, sondern fahre eine harte Schicht, die viel mehr schlaucht als mein Job. Und trotzdem bin ich froh, nicht mehr mit meinem Mann leben zu müssen. Ganz, ganz selten habe ich Zeit, mir einzugestehen, wie traurig es ist, dass ich mich darüber immer noch am meisten freue, wenn ich auf mein Leben als Alleinerziehende gucke. Und nach der Nacht, die ich darüber geschlafen habe, weiß ich auch, dass mir genau deswegen die Sendung im Radio so weh getan hat.

Die vollständige Studie erhalten Interessierte bei tina.nebel@smail.fh-koeln.de

Linktippp innerhalb des Blogs: „Alleinerziehend – steuerlich betrachtet.“