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Extrem alleinerziehend – just walk a mile in my shoes

Sie verstehen es nicht. Sie können es nicht verstehen, die anderen, diese Menschen, die das nicht erleben oder erlebt haben.

Ich verstehe, dass sie es nicht mal annähernd begreifen können, selbst wenn sie sich Mühe geben und mir zuhören, und das macht mich so müde. Im besten Falle höre ich so etwas wie „Ich könnte das nicht!“, aber oft genug schaue ich in verständnislose Gesichter, Rolläden gehen runter, noch bevor ich überhaupt die Chance habe, durchzudringen, weil „Selbst Schuld“ oder „Die soll sich mal nicht so anstellen“ schon den potentiellen Zuhörer geflutet haben, und weil sich niemand vorstellen kann und möchte, mit einem oder mehreren Kindern auf Jahre komplett auf sich alleine gestellt zu sein. Da ist es natürlich schöner, man denkt sich, die Alleinerziehende habe selbst schuld, oder es selbst in der Hand, diese Situation zu ändern.

Und ein Stück weit stimmt das auch. Es gibt nichts, was man nicht ändern könnte. Aber die Tatsache, dass der Vater der Kinder sich nicht mehr um sie kümmert, gehört eben nicht dazu. Und dass Alleinerziehende wie ich das ganz alleine ausbaden, aufgrund der beruflichen Mobilität oft komplett ohne Familie vor Ort, ist nicht selten.

Frau Finke, Sie sollten dies, das und jenes…

Ich bin heute müde. In den vergangenen Wochen war ich oft bei Ärzten mit den Kindern, wegen verschiedener Sachen, kleiner und großer. Und keiner von denen scheint zu verstehen, dass ich als komplett Alleinerziehende eben nicht mal kurz den Schalter umlegen kann und die vermeintlich klugen Ratschläge der Fachleute befolgen. Mein Problem ist, dass ich das Gefühl habe, überhaupt nicht gesehen zu werden als Mutter in dieser speziellen Situation. Und wenn, dann nur im Rahmen einer Kausalität, à la „Aha, so war das bei der Trennung, und leider leider konnte die Mutter nicht alles auffangen [hier bitteres Lachen einfügen], und als Alleinerziehende ist sie ja eh überfordert.“

Ja, verdammt. Ich habe unglaublich viele Pflichten und trage die Verantwortung für 3 Kinder ganz alleine. Aber ich mache unfassbar viele Dinge gut und richtig. Und nicht alles, was hier nicht klappt, ist auf die Trennung vom Mann zurückzuführen. Manchmal komme ich mir vor wie in einem verstaubten Lehrbuch. Hat denn niemand diese Experten darauf vorbereitet, dass es auch Alleinerziehende gibt, die mitdenken können und sich selbst reflektieren!? Tja, offenbar nicht.

Wo ist mein Spielraum? Habe ich überhaupt einen?

Und so werde ich morgen wieder von vorne anfangen. Und jemandem, der meinen Kindern helfen soll, erklären, dass meine Kapazitäten, Wunder zu tun, begrenzt sind. Dass ich weder bezahlten Urlaub habe, noch krank sein kann, dass wenn ich mal 3 Wochen lang alles sausen lasse und Plan A oder B der klugen Experten durchführe, ich kein Geld verdiene und danach mit den Nerven am Ende bin. Und dass mein Leben Null Spielraum hat.

Das ist natürlich Quatsch. Ich habe mehr Spielraum, als es mir gerade scheint. Aber überhaupt mal zu verstehen, wie eingeengt ich mich fühle, wie hoch die Ansprüche von außen sind (damit meine ich z.B. Therapeuten, die das Beste fürs Kind wollen), und auf welch dünnem Eis ich mich bewege, das wäre so ungemein hilfreich. Stattdessen höre ich aber nur Frau Finke, Sie müssten dies, und Ihren Kindern würde jenes gut tun. Ja, würde es wahrscheinlich. Aber wie soll ich das alles leisten!? Karate wäre gut für die Jüngste, etwas ungeteilte Mama-Zeit für den Sohn mit mir wäre toll, am besten mal ein paar Tage am Stück, und die Große sollte mit ihren 16 Jahren nicht so vernünftig und erwachsen sein müssen.

Supi, dann weiß ich ja, was ich zu tun habe. Theoretisch. Dumm nur, dass ich eigentlich mal an mich selbst denken sollte. Bevor ich irgendwas anderes tue. Aber dazu wird es so schnell nicht kommen. Ist es aber wirklich zu viel verlangt, dass die anderen mal ein bisschen mitdenken? Ich mache das doch auch!?

Grundkurs in Empathie für die Lage Alleinerziehender

Und so schwanke ich zwischen Wut, Verzweiflung und dem Wunsch, nicht nur für mich und meine eigenen Kinder etwas zu verändern. Vielleicht, denke ich mir, wenn ich dem einen oder anderen erklärt bekomme, wie das ist, wenn frau über Jahre komplett alleinerziehend ist, hat es die nächste Frau, mit der dieser Mensch spricht, etwas leichter.

Es wäre so fein, könnte man „extrem alleinerziehend sein“ simulieren, so wie das beim Altern dank besonderer Anzüge kann, die einen beim Anlegen schwerfällig machen und die Bewegungsfreiheit einschränken. So als Modul „Ab hier bist du auf dich alleine gestellt, kümmere dich um 1-4 Kinder und verdiene auch noch Geld!“, das wäre was! Und jeder Arzt, jeder Helfer, jeder Lehrer und eigentlich alle, die mit Kindern zu tun haben, sollte verpflichtet sein, dieses Modul zur Horizonterweiterung zu belegen. Just walk a mile in my shoes.