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Stillen in der Öffentlichkeit. Von Null auf 100.

Eine Entwicklung.

Vor der Geburt des ersten Kindes

Stillende Mütter? Gibt’s die? Habe ich nie gesehen. Ich kenne keine Frauen mit Kindern bis auf die Frau meines Bruders, und die wohnen am anderen Ende Deutschlands. Ich in Hamburg, sie in Freiburg. Und überhaupt, trinken nicht heutzutage alle Babys Milch aus Flaschen, so wie das Baby, das ich als Au-Pair in San Francisco betreute?

Ein Geburtsvorbereitungskurs im Geburtshaus streift das Konzept des Fütterns von Muttermilch. Hm, sollte man vielleicht doch erwägen. Scheint ja Vorteile zu haben. Gedanken mache ich mir keine, das ist ja etwas ganz natürliches. Was soll schon schiefgehen?

2000, mit erstem Kind in Hamburg
2000, mit erstem Kind in Hamburg

Stillen bei Kind 1

Waaah. Das tut ja weh! Ich tropfe, mein Mann hält mich für eine Sexgöttin und ich fühle mich wie eine Kuh, die gemolken wird. Die abrupte Konfrontation mit meiner Körperlichkeit als Mutter wirft mich ziemlich aus der Kurve. Schön ist das nicht.

Aus dem Haus gehe ich nicht gern. Was, wenn das Baby plötzlich Hunger bekommt und ich mitten in Hamburg irgendwo einen Platz zum Stillen finden muss? Ein Mal sind wir bei Ligne Roset am Neuen Wall und kaufen für viel Geld Möbel. Meine Tochter bekommt Hunger und ich setze mich verschämt in eine Ecke, um sie zu stillen. Die hanseatisch feinen Verkäufer starren mich ungläubig an. Ich habe das Gefühl, eine Aussätzige zu sein. Haben die Angst, dass ich kleckere!?

Drei Monate nach der Geburt arbeite ich wieder voll und habe abgestillt.

Stillen bei Kind 2

Ich weiß gar nicht, was ich bei Kind 1 hatte. Stillen ist doch wunderschön! Mein Sohn saugt zufrieden und völlig ungerührt, egal wo er ist. Wir wohnen inzwischen in einer süddeutschen Kleinstadt, wo tagsüber viel mehr Mütter zu sehen sind als damals in der Hamburger Innenstadt.

Da mein Sohn nicht anderes als Muttermilch zu sich nehmen will, bis er 8 Monate alt ist, stille ich überall. Im Freibad, auf einer Parkbank, im Kaufhaus auf einem Sessel, im Restaurant. Es ist Sommer, Stillen ist easy. Gelegentlich schaue ich prüfend in die Gesichter der Passanten, ob sie tadelnd oder angewidert gucken. Die meisten lächeln.

Als der Sohn knapp 3 Monate alt ist, fliegen wir zur Sommersonnenwende nach Island. Der Flug dauert gut 3 Stunden, die Reise insgesamt 8 Stunden von Haus zu Haus. Ich stille unterwegs. Auf der Fähre, im Flugzeug, im Flughafen, in Island sowieso. Niemanden kümmert es, dem Sohn geht es gut. Dass wir im Ausland sind, fällt ihm nicht auf. Alles wie immer.

Stillen auf Island 2006 ,Sommerhütte
Stillen auf Island 2006, Sommerhütte

Meine Oberweite ist von A auf unglaubliche D angewachsen. ich verstehe nun, wie sich Frauen fühlen, denen Männer nie ins Gesicht, sondern nur aufs Dekolletee schauen. Sehr sonderbar. Auf Dauer möchte ich das nicht, auch wenn es ganz unterhaltsam ist, all diese Blicke zu registrieren.

Juni 2006 mit Sohn
Juni 2006 mit Sohn

Nur ein einziges Mal fühle ich mich blöd, als wir beim Spanier im Gartenlokal sitzen und nicht bedient werden, weil ich stille. Vielleicht war der Kellner aber auch nur unsicher oder wollte höflich sein, denke ich heute.

Stillen bei Kind 3

Mir doch egal, was die Leute denken. Mein Kind braucht Milch und ich werde sie ihr geben. Dass man auch im Laufen und Gehen stillen kann, hätte ich auch früher bemerken können, das hätte vieles einfacher gemacht!

Ich halte mein Baby mit dem linken Arm, während es rechts saugt. Und mit dem rechten Arm surfe ich im Internet oder räume die Geschirrspülmaschine aus. Wenn die linke Brust dran ist, muss der rechte Arm das Baby halten und ich entwickle meine Linkshänderskills.

Mein Baby stört das alles nicht. Ich stille und gieße nebenbei Blumen, ich räume beim Stillen auf und erlebe mein persönliches Still-Highlight, als ich mit Baby an der Brust quer durchs Hallenbad renne, weil ich um den Sohn im Nichtschwimmerbecken fürchte, der noch nicht schwimmen konnte. Die Geschichte dazu habe ich hier verbloggt.

Cartoon von Rebecca Harms
Cartoon von Rebecca Harms über meine Geschichte im Hallenbad

Nach 4 Monaten fahre ich wieder ins Büro in die Schweiz und habe ganz in Ruhe teilweise abgestillt (morgens, abends und nachts stille ich weiter), während ich von zuhause arbeitete. Eigentlich hätte ich gerne noch länger voll gestillt. Aber wenn man 12-Stunden-Tage hat und abpumpen nicht funktioniert, geht das nicht.

Jetzt

Das Neugeborene der Freundin auf dem Arm, das mit seinem kleinen Mund „sucht“, also an meiner Haut reibt, weil es so langsam Appetit bekommt. Hach, was für ein Gefühl! Stillen ist toll. Ich könnte glatt vor lauter Empathie nochmal einen Milcheinschuss hinlegen und schmachte das Baby an. Nein, ich will keins mehr. Aber wenn ich meine Freundin beim Stillen sehe, dann bin ich ein bisschen wehmütig vor Glück.

Inspiriert wurde dieser Text von Susanne Mieraus Blogpost über Stillen in der Öffentlichkeit.