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Das Alleinerziehenden-Camp. Eine Persiflage auf IBES.

Wir befinden uns in der RTL Sendezentrale. In einem Meetingraum sitzen die besten kreativen Köpfe des Fernsehsenders. Espressoduft liegt in der Luft, ein Beamer surrt leise. Der Programmdirektor mit silbrigen Schläfen richtet das Wort an die anwesenden Drehbuchautoren und den Marketingchef.

Programmdirektor: „Wie Sie alle wissen, meine Herren, droht unser Format `Dschungelcamp´ in die Bedeutungslosigkeit abzurutschen. Seit 2011 stagnieren die Zuschauerzahlen bei 7-8 Millionen. Eine fatale Enwicklung. Wir müssen uns etwas Neues ausdenken. Einen richtigen Schocker!“

Marketingchef: „Absolut. Das sehe ich genauso wie Herr Programmdirektor. Wir brauchen Innovationen, zündende Ideen, müssen neue Zielgruppen erschließen! Was haben Sie uns denn für Ideen mitgebracht?“

Kreativer 1: „Hmmm. Also…..“

Kreativer 2: „Könnte uns Frau Becker nicht noch einen Espresso bringen?“

Programmdirektor, eine Taste auf dem Tischtelefon drückend: „Frau Becker, 8 Espressi, bitte! Und für jeden einen Mate-Drink, ja?“

Kurz darauf betritt die Sekretärin den Konferenzraum, ein Tablett mit Espressi und Mate-Drinks balancierend. Sie wirft einen prüfenden Blick in die Runde, sieht dabei aus den Augenwinkeln die an die Wand gebeamte Präsentation zur dramatischen Lage des`Dschungelcamps´, und denkt beim Abstellen des Tabletts auf dem Glastisch kurz nach. Beim Rausgehen wirft sie eine Bemerkung in den Raum.

Frau Becker: „Meine Schwester ist alleinerziehend mit 3 Kindern. Das ist das härteste, was es gibt. Machen Sie doch mal ein Alleinerziehenden-Camp! Sowas, wo Promis sich im Haushalt der Alleinerziehenden bewähren müssen. Mit echten Mutproben, dafür brauchen Sie Nerven wie Stahl!“

Die Tür schließt sich sanft hinter Frau Becker. Am Konferenztisch herrscht Stille. Dann sprechen auf einmal alle Drehbuchautoren gleichzeitig.

Kreativer 1: „Das ist genial!“

Kreativer 2: „Die Idee hätte von mir sein können! Wir schicken die Alleinerziehenden in den Urlaub und lassen die Promis ihren Job machen, oder?“

Kreativer 3: „Genau das hätte ich vorschlagen wollen. Das ist der Hammer.“

Kreative 4, 5 und 6 sind hellauf begeistert. „Suuuper! Da können wir dem Zuschauer richtig etwas bieten: Schlafentzug für die Promis, Einkaufen gehen mit Kindern und knapper Kasse, ständige Rufbereitschaft, und wenn wir richtig Glück haben, bekommt noch eine Familie Magen-Darm und der Promi darf kotzende Kinder übers Klo halten, Bettwäsche wechseln und wird noch selbst krank. Oder jemand bringt die Läuse mit aus der Kita. Und dann noch die ganzen Termine, das Gehetze zwischen Arbeit und Kindern, Hausaufgaben, Elternsprechtag, der Haushalt, keine ruhige Minute, die lassen wir nicht einmal auf dem Klo allein – wir könnten Wetten anbieten, wer wie lange durchhält!“

Programmdirektor: „Ich weiß nicht. Wen sollen wir denn da einladen? Und in welche Familien? Wie stellen Sie sich das vor?“

Kreativer 2 (springt auf und sprudelt): „Dieser Däne, wie heißt er noch, der immer alles besser weiß?“

Marketingchef: „Japser Juhl? Der mit den Büchern?“

Kreativer 6: „Juul, der heißt Jesper Juul. Brilliant. Den schicken wir zu der Bloggerin, die ihre drei Kinder alleine großzieht und noch ihre schwer kranken Eltern pflegt. Mama motzt heißt die. Wo ist nochmal die Liste mit den Bloggerinnen, die wir mal im Trash-TV vorstellen wollten? Äh, ich meine, auf deren schwere Situation im Alltag wir im Reportageformat aufmerksam machen wollten?“

Programmdirektor, Knopf am Telefon drückend: „Frau Becker, ich brauche die Liste mit den Bloggern – die für das Format `Im Stich gelassen und kurz vor dem Kollaps´, Sie wissen schon. Drucken Sie uns das mal eben aus?“

Nachdem Sekretärin Becker die Ausdrucke an alle Anwesenden verteilt hat, herrscht eitle Geschäftsamkeit. Die Herren beugen sich über ihre Zettel und brainstormen.

Kreativer 4: „Lasst uns auch noch diese Frau mit den altmodischen Ansichten, die immer für AT Kearney 361 Grad schreibt, ins Boot holen. Die polarisiert so schön. Wenn die bei einer alleinerziehenden Familie richtig scheitert, bringt das ordentlich Quote. Wo schicken wir die hin, Leute?“

Marketingchef: „Sie meinen Birgit Kelle? Ja. DAS ist gut. Die will ich in dem Format sehen. Die Leute werden es lieben! Oder Eva Herrmann? Die wäre auch gut!“

Kreativer 5: „Lieber die Kelle. Die ist mehr in den Medien präsent. Die schicken wir zu Mama arbeitet, da kann sie zeigen, was sie drauf hat. Wie viele Promis und Familien brauchen wir denn? Oder wollen wir mehrere Promis in eine Familie schicken, und die werden dann rausgewählt?“

Kreativer 3: „Nee, dann wird’s da zu voll. Da wird die Rechtsabteilung uns kein grünes Licht geben. Es ist ja nur interessant, wenn die Besserwisser sich im Alltag bewähren müssen. Wir können nicht alle in ein Camp schicken. Aber als Namen für das Sendungsformat würde ich trotzdem beim Camp bleiben, das ist griffig, die Zuschauer haben Gefallen daran gefunden.“

Kreativer 1: „Nennen wir es doch `Das Alleinerziehenden-Camp. Ich bin ein Experte, holt mich hier raus´!“

Kreative 2, 4 und 6 nicken. „Wahnsinn, das wird gut, richtig gut!“, ruft Kreativer 2.

Kreativer 4 grübelt: „Gut, ich würde sagen, wir suchen fürs erste 8 Experten und 8 Alleinerziehende. Das wird dann unsere erste Staffel. Zwei haben wir. Wer kommt noch infrage als Promi, der sich in die Höhle des Löwen wagt? Vorschläge?“

Kreativer 2: „Was ist mit dem Kinderarzt, Renz-Pluster? Oder ist der zu sympathisch?“

Marketingchef: „Och, das schadet nix – Sie meinen Herbert Renz-Polster. Den Juul mögen die Leute doch auch. Jedenfalls viele. Doch, ja. Den könnten wir zu Alexandra Widmer, der Ärztin, die den starkundalleinerziehend Blog betreibt, schicken. Das passt wie Faust aufs Auge!“

Kreativer 3: „Zu dumm, dass Meike Büttner nicht mehr bloggt. Die war immer besonders direkt. Wisst Ihr, die mit dem Mutterseelenalleinerziehend Blog, für den sie gerade eine Nachfolgerin gesucht hat?“

Kreativer 5: „Ja, die wäre gut gewesen. Aber wir sollten auch einen Mann dabei haben, einen alleinerziehenden Vater. Schließlich ist ja einer von 10 Alleinerziehenden ein Mann! Ich denke gerade an Jörg von alleinerziehender Papa, der hat sogar eine behinderte Tochter. Das muss so ein Promi erstmal wuppen!“

Kreativer 6, sich die Hände reibend: „Fein. Fragen wir den Jörg an. Und paaren ihn mit unserer Familienministerin Schwesig. Die kann da ordentlich Punkte bei den Wählern machen, wenn sie sich gut anstellt.“

Mit heißen Ohren und voller Elan werfen die Männer nun Ideen in den Raum. Als sie spät abends, lange nachdem die Sekretärin gegangen ist, den Konferenzraum verlassen, sind sie sehr zufrieden mit sich und ihrem Ideenreichtum. Und sich gewiss: dieses neue Format wird der Knüller. Der Programmdirektor stellt den Beteiligten eine Gehaltserhöhung in Aussicht. Und Frau Becker kauft er einen Blumenstrauß bei Aldi. Sie ist halt eine Perle.