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Das Geisterhaus

Wie gleichermaßen verkehrt und richtig dies alles war. Sie saß im Wohnzimmer der Ex-Schwiegereltern am robusten Tisch aus alter Eiche, ihre Kinder spielten auf dem ebenfalls antiken Teppich, die Geschirrspülmaschine surrte leise aus der Küche.

Es war ein bisschen fußkalt, wie immer, wenn sie die Schwiegereltern in ihrem Haus besuchte. Musik, egal ob Radio oder CD, lief dort nie. Und den Wein holten sie nur aus dem Keller, wenn sie mit den Kindern zu Besuch war. Das war nicht oft, denn es war weit, viele Stunden über die Autobahn, und anstrengend, dorthin zu fahren. Sie tat es trotzdem gern, denn es war wichtig. Weniger für sie selbst als mehr für die Kinder, die wissen sollten, wer die andere Hälfte der Familie war, ein Teil ihrer Identität, der ihnen sonst fehlen würde, war doch schon der Vater quasi nicht vorhanden.

Es kam ihr vor, als würde er gleich die Tür zum Wohnzimmer aufstoßen, wo sie noch am Tisch zusammensaßen nach dem Abendbrot. Er würde barfuß laufen, wie er das in seinem ehemaligen Elternhaus immer machte, und sie verliebt umarmen. Wenn er zuhause war, dort, wo er gemeinsam mit seinen Geschwistern aufgewachsen war, dann war er auf in der Außenwelt völlig unbekannte Art jungenhaft leicht, gelöst, geerdet. Oft waren sie hier gewesen, als das erste Kind noch ein Baby war, weil sie damals nur eine 2-stündige Autofahrt entfernt wohnten.

 

Sie sah sich als jüngere Version ihrer selbst am Tisch sitzen, das nun große Kind, das ihr gegenübersaß, damals als Baby im Arm haltend. Nach anfänglicher Skepsis über die studierte Frau aus Berlin hatte man sie in der Familie freundlich aufgenommen, man kam gut miteinander aus. Bis auf die Zeit, in der der Sohn, der nun ihr Ex-Mann war, den Kontakt zu seinen Eltern abgebrochen hatte. Das war, als das dritte Kind unterwegs war, und sie hatte nie ganz verstanden, worum es bei dem Bruch ging, außer dass es mit Geld und Eifersucht zu tun hatte. Damals war es ihr schwer gefallen, den Schwiegereltern keine Geburtsanzeige mit Foto zu schicken, so wie sie es mit allen Freunden und Verwandten getan hatte. Aber er hatte das nicht gewollt, von Vertrauensbruch und „zu ihm halten“ gesprochen, so dass sie sich fügte und den Kontaktabbruch mittrug.

Später, nach der Trennung, fasste sie sich ein Herz und sandte den Schwiegereltern ein Foto des Babys, das nun schon ein 1-jähriges Kind war. Das war der Anfang von sehr vorsichtigen Telefonaten, in denen sie versuchte, möglichst nicht über die Ehe und den Grund des Scheiterns zu sprechen, um kein weiteres Öl ins Feuer zu gießen. Irgendwann, als das Baby 2 Jahre alt war, besuchten die Schwiegereltern sie dann, ohne den eigenen Sohn, der im gleichen Ort wohnte, zu sehen. Sie hatte Angst, dass er unangemeldet und wutentbrannt vor der Türe stehen würde und es ein Drama geben könnte, wie das aussehen würde, wusste sie aus der Zeitung. Aber alles ging gut.

Seitdem hatte sie die nun offiziell Ex-Schwiegereltern heißenden ehemals angeheirateten Verwandten 3 Mal besucht, mit Kindern und der Kinder wegen. Und es erstaunte sie, wie sehr er noch im Haus seiner Eltern herumgeisterte. Sie sah ihn als kleinen Jungen, der mit Feuer spielte und als Kind, das im Garten tobte, während ihre eigenen Kinder im Garten tobten, aber nicht mit Feuer spielten. Er ging zum Kühlschrank, um sich Wein nachzuschenken, lachte herzhaft über etwas, das sie gesagt hatte, und zwinkerte ihr zu. Gleich würde er sie anschauen und sie würden sich wortlos verstehen. Aber er war ja nicht mehr da. Der Junge und der junge Mann, der er gewesen war, spukten nur noch in ihrem Kopf herum, und nur hier. Ein paar Besuche noch, dann würde sich das mit neuen Erinnerungen überlagert haben.

Vielleicht aber würde er auch so lange in diesem Haus herum irren, bis er endlich Ruhe gefunden hatte. Für ganz ausgeschlossen hielt sie das nicht.