Norddeutsche als Spezies – an diesen Fakten können Sie sie erkennen:
Vorkommen und Lebensraum
Fakt 1 Norddeutschland beginnt bekanntlich gleich hinter Frankfurt, jedenfalls von Baden-Württemberg aus betrachtet. (Während Süddeutschland gleich südlich von Hannover liegt, von Schleswig-Holstein aus gesehen.)
Fakt 2 Im Norden gehen die Menschen nicht „ans Meer“, „an die See“, oder „an die Ostsee“, sondern „ans Wasser“. Dort vergnügen sie sich bei jedweden Temperaturen und Wetterverhältnissen, ab 18° C und Schleierbewölkung im Bikini. Wind bis Stärke 4 empfinden Norddeutsche als leichte Brise. An Süddeutsche in Windbreakern, Fleecejacken und Jeans hat sich die norddeutsche Urbevölkerung gewöhnt und übersieht deren Verweichlichung großmütig. Sollte es ausnahmsweise einmal nicht windig sein, beklagt sich der Norddeutsche ausgiebig über „die drückende Luft“.
Ernährung
Fakt 3 Getränk der Wahl im Norden ist Bier, vorzugsweise eines, das beim Öffnen ploppt. Der Kartoffelkonsum ist um ein vielfaches höher als im Süden, und neben Gewürzgurken im Glas und frischen Salatgurken kann man auch dickliche, hellgrüne Schmorgurken kaufen. Diese scheinen in Süddeutschland unverkäuflich.
Gleiches gilt für Lakritze, das in jedem Supermarkt auf etlichen Regalmetern in erklecklicher Auswahl angeboten wird. Ihren Kopfsalat essen die Norddeutschen mit gezuckertem Jogurtdressing, das mit Zitrone „verfeinert“ wird. (Für Süddeutsche, die herzhafte Essig-Öl Dressings zu Feldsalat verspeisen, eine völlig indiskutable Vorstellung.)
Sprache und Sozialverhalten
Fakt 4 Um im Wind nicht zu viel Wärme zu verlieren, hat der Norddeutsche eine besondersökonomische Form des Deutschen entwickelt, bei der die Lippen nur wenig geöffnet werden und lang gezogene Vokale dominieren. Diese im präpalatalen Bereich (vorderer Gaumen, dort, wo das „t“ gebildet wird) angesiedelte Variante des Deutschen ist durch enorme Sprechgeschwindigkeit gekennzeichnet und wird ohne hörbare Unterbrechungen zwischen den einzelnen Wörtern artikuliert, um Süddeutsche zu verwirren.
Fakt 5 Den Bedarf des täglichen Lebens deckt der Norddeutsche bei Läden namens „Sky“, „Ernsting’s Family“, „Aldi Nord“ und „Rossmann“, zu denen man auf ausbesserungsbedürftigen Straßen mit sehr hellem Teer gelangt. Dort reagieren Einheimische auf versehentliches Anrempeln mit dem Einkaufswagen oder „rechts vor links“-Konflikte zwischen den Regalreihen auf das reflexartige „Oh, Entschuldigung!“ des Süddeutschen mit einem knurrigen „Nix passiert!“, wobei keinesfalls der Blick durch ein Lächeln oder freundliche Intonation getrübt werden darf.
Fakt 6 Als Gruß genügt dem Norddeutschen ein angedeutetes Nicken. Besonders gut gelaunte Exemplare lassen sich zu einem „Moin“ hinreißen, falls man sich schon länger kennt. Verwandte, selbst entfernte Verwandte, fallen sich jedoch freudig um den Hals, wenn sie sich treffen. (Wobei im süddeutschen Raum gelegentlich Kusins/Kusinen per Handschlag begrüßt werden und als kaum noch verwandt betrachtet werden.)
Fakt 7 Einen Plausch mit wildfremden Menschen zu halten, kommt dem Norddeutschen nicht in den Sinn. Gesprächige Süddeutsche betrachtet er mit Misstrauen und sucht schnell das Weite. Der Austausch von kürzeren Sätzen ist nach etwa 3-4 Monaten Bekanntschaft denkbar, wenn man miteinander warm geworden ist.
Fakt 8 Kumpelhaftes, geselliges Gebaren ist dem Norddeutschen zutiefst fremd. Und insofern empfindet er offenherzige, zutrauliche Süddeutsche als nicht artverwandte Wesen. Hat man jedoch durch Blutsverwandtschaft oder Einheiraten Zugang zu einer norddeutschen Sippe gefunden, zeigt sie ihre warmherzige Seite: da wird gelacht, getrunken und getanzt.
Freundschaften mit Norddeutschen sind eine Sache fürs Leben, wenn man sie erst einmal geschlossen hat. Schnelllebigkeit und Oberflächlichkeit sind hier kein kulturelles Allgemeingut. Es ist ein bisschen wie mit Lakritze mit den Norddeutschen: bittersüß, nicht leicht zu konsumieren, und nicht jedermanns Geschmack.
Bonusfakt: Bedankt man sich bei Norddeutschen, wird dies mit abfallend intoniertem „Da nich für“ beantwortet (niemals mit „Gern geschehen!“ und einem Lächeln).
Dieser Text stammt von einer am südlichsten Ende von Deutschland lebenden Tochter von gebürtigen Kielern, deren Vorfahren auf der Insel Fehmarn, in Lübeck, in Haselau westlich von Hamburg und in Eckernförde heimisch waren. Die Autorin wurde von ihren Eltern 1968 im Alter von knapp 2 Jahren aus ihrem Geburtsort Hamburg nach Freiburg im Breisgau verschleppt und verbringt gerade ihren Sommerurlaub an der Ostsee.