Morgen ist Karfreitag. Und bei uns, im katholischen Süden, nimmt man das sehr ernst.
„Darf’s noch etwas sein?“, erkundigte sich die kleine Verkäuferin der Bäckerei bei der Kundin, die neben mir stand und dran war.
Es gelang der Angestellten gerade mal so, über die monströs hohe Glastheke zu gucken, die uns Kunden von ihrem Auslagenbereich trennte. Mit den eigenen 1,64 Metern Größe fühle ich mich in vielen Läden mittlerweile wie ein Kind, überall scheinen die Einkaufswagen und Verkaufstheken für Basketballer gemacht worden zu sein, ich finde das fürchterlich. Eventuell muss ich bald mit einem Schemel oder Stelzen einkaufen gehen.
„Das ist alles, vielen Dank“, schüttelte die Frau neben mir den Kopf und griff nach ihrem Portemonnaie. Dann blickte sie kurz auf, weil ihr doch noch etwas eingefallen war: „Haben Sie am Freitag geöffnet?“
Das Lächeln stets sehr freundlichen Verkäuferin, die für jeden Kunden einen netten Spruch parat hat, den Kindern kleine klebrige Bonbons zusteckt, und immer strahlt, fror für eine Sekunde ein. Dann fing sie sich wieder und belehrte die Kundin, so höflich sie konnte: „Karfreitag ist der höchste Feiertag in Deutschland!“, als wäre die Frau neben mir vom Mars, und hätte etwas höchst unanständiges gefragt.
„Aber es hätte ja sein können, dass…“, setzte die Kundin an, doch sie wurde unterbrochen von der Verkäuferin, die entrüstet „Das ist hier schließlich ein christliches Land!“ rief, woraufhin im Laden Stille herrschte. Widerspruch zwecklos.
„Äh, ja. Schönen Tag noch“, meinte die Kundin vor mir, zahlte und suchte das Weite. Blieb also ich stehen, die Atheistin. Ich hatte das Bedürfnis, etwas zu sagen. Aber was? Warum war die Verkäuferin so sauer geworden? Sie schüttelte immer noch empört den Kopf, obwohl die Kundin längst den Laden verlassen hatte.
„Eine Salzseele bitte, und ein Baguettebrötchen“, fing ich an. Und sagte dann: „Es sind ja nicht alle Menschen gläubig in Deutschland, oder Christen. Und man könnte ja auch muslimische Feiertage feiern.“
„Hm, ja“, knurrte die Verkäuferin. Und dann platzte es aus ihr heraus: „Was glauben die Leute eigentlich, wer hier steht!? Das sind Frauen, die Zuhause auch was zu tun hätten. An Weihnachten wird darüber geredet, ob der Einzelhandel am 24. aufhaben soll, obwohl Sonntag ist. Und in der Filiale XY, im großen Einkaufszentrum, da war mal jeden Adventssonntag bis 24 Uhr geöffnet, und wir Verkäuferinnen mussten dann da auch bis Mitternacht stehen. Irgendwann muss doch mal Schluss sein!“
Vielleicht geht es gar nicht so sehr um Christentum und Nicht-Christentum, um Muslime oder Atheisten. Sondern einfach darum, dass von den Menschen so viel verlangt wird, dass es ihnen einfach zu viel wird?
„Und wer entscheidet das?“, setzte die kleine Verkäuferin nach. „Das sind doch alles Männer. Die haben von nix eine Ahnung. Die müssen hier nicht stehen und gucken, wie sie alles geregelt kriegen!“
Da konnte ich dann nicken und ihr beipflichten. Die Bäckereiverkäuferin weiß zwar nicht, dass nur noch gut die Hälfte der Deutschen Christen sind. Und sie weiß auch nicht, dass das, was sie stört, Patriarchat und Neoliberalismus heißt. Ihre Welt ist irgendwie aus den Fugen – und nun wollen die Leute auch noch am Karfreitag frische Brötchen.
Ich zahlte und verabschiedete mich, der immer noch empört dreinschauenden Verkäuferin einen erholsamen Karfreitag wünschend. Da war ihr Lächeln wieder da, der Ärger vergessen. Alles zurück auf normal.
Naja fast, denn mir war irgendwie mulmig. Ich hoffe, sie wählt bei den nächsten Wahlen nicht die AfD.