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Coronaferien und die Isolation als Normalzustand

Eure Coronaferien sind mein Alltag. So lange schon, dass ich gar nicht mehr weiß, wie es sich anfühlt, ein intaktes Sozial- und Familienleben zu haben.

Alles ruhig, antworte ich der Freundin aus Berlin, die sich via WhatsApp erkundigt, wie es uns geht. Und dass sich für uns gar nichts ändert. Wir sind eh immer isoliert. Jetzt sind wir es mit anderen gemeinsam, und das zu erleben macht mich gerade Staunen, wie sehr ich mich offenbar an die Isolation gewöhnt habe und wie arg sie denjenigen zu schaffen macht, die nun ihr Leben runterfahren müssen. Für mich ist das normal.

Es ist eigentlich alles wie immer. Ich sitze alleine Zuhause, die Uhr tickt, aus einem der Kinderzimmer höre ich den Sohn (13) in sein Headset abwechselnd brüllen, reden und blödeln, weil er mit seinen Freunden zockt. Aus dem Zimmer der Jüngsten (11) höre ich mal nichts, mal den Lieblingssong der Woche in Endlosschleife, mal unterhält sie sich angeregt mit Freunden über Discord. Manchmal verlassen die Kinder ihre Zimmer, um aufs Klo zu gehen oder zu fragen, was es zu essen gibt. Die Wohnung selbst verlassen sie fast nie und Besuch bekommen wir auch keinen.

Warum wir so isoliert sind? Es ist kompliziert

Unsere Isolation rührt nicht von einer Quarantäne her und auch nicht von Corona. Im Gegenteil, Corona, die Schulschließungen und die Einschränkungen des öffentlichen Lebens sorgen dafür, dass wir uns im Alleinsein weniger alleine fühlen. Vielleicht auch etwas mehr gesehen.

Über Jahre schon leben wir zurückgezogen. Anfangs hatte das mit meiner Überlastung als Alleinerziehende mit 3 kleinen Kindern zu tun, ich war einfach zu erschöpft, um jenseits von Sozialkontakten mit den jeweils direkten Nachbarn noch Freundschaften zu pflegen und Netzwerke aufzubauen.

Danach kam die Phase der Armut, in der weder Kino, noch Kneipenbesuch, geschweige denn ein Babysitter fürs Ausgehen finanziell drin gewesen wären, und sogar das ermäßigte Ticket für Sozialpassinhaber im Bus eine überplanmäßige Ausgabe darstellte.

Als das vorbei war, trat der Asperger Autismus unübersehbar in unser Leben und stellte alles auf den Kopf – bis meine Jüngste ihre Diagnose hatte, vergingen drei Jahre, die mich nicht nur viel Kraft kosteten, sondern nach und nach dafür sorgten, dass uns niemand mehr besuchte. Zu ungewöhnlich war das Verhalten meiner Tochter, die zudem noch jedem, der hier in die Türe trat, entgegenschmetterte, dass sie ihn nicht möge und sie es hasse, wenn fremde Menschen (dazu zählen auch unsere Nachbarn in ihren Augen) in unsere Wohnung kommen.

Wir sind allein, hier kommt kaum jemand rein und es geht nur selten jemand raus. Wenn, dann bin ich das, und dass ich das tun kann, habe ich mir hart erkämpft. Ich gehe zu politischen Sitzungen und Veranstaltungen, ich reise manchmal, selten, auf Tagungen, und bin in meiner Familie der Mensch mit den meisten Sozialkontakten jenseits des Internets. Menschen, echte Menschen, fehlen mir seit Jahren.

Lagerkoller, Schulausfall und Isolation sind für mich Alltag

Schulausfall? Kenne ich zur Genüge. Jüngste war im vergangenen Jahr 10 Monate unbeschult, weil es keinen passenden Schulplatz für sie gab, und sie war immer Zuhause. Und auch der Sohn ist wegen einer chronischen Erkrankung in den vergangenen Jahren immer wieder mal wochen- bis monatelang Zuhause gewesen, teils gleichzeitig mit seiner Schwester. Der letzte Tag, an dem alle Kinder in die Schule gingen, muss lang vor dem Abi der Großen gewesen sein, im Herbst 2018.

Jetzt hocken die anderen also auch Zuhause – aber rausgehen ist nicht verboten, freut euch, wenn eure Kinder das tun. Manche machen es nämlich nicht, aufgrund von Krankheitsbildern oder Autismus, und das bleibt vielleicht für immer so, nicht nur für die sogenannten Coronaferien.

Die Uhr tickt, die Katzen leisten mir Gesellschaft, und die Kinder werden gleich fragen, was es zu essen gibt. Gemeinsames Essen fällt hier aus, weil meine autistische Tochter sich nur zu Weihnachten, Geburtstagen und Silvester mit an den Tisch setzt. Und Spazierengehen mit mir, gemeinsame Ausflüge, Museumsbesuche oder ähnliches finden nicht statt, auch Brettspiele möchte niemand mehr machen, seitdem die Große ausgezogen ist.

Durch die Coronaferien rückt meine Normalität näher an die der Welt

Derweil lese ich, dass manche sich grämen, weil ihr Fitnessstudio geschlossen ist. Und andere Sorge haben, wie sie ihre Kinder Zuhause beschäftigen sollen, während die Schule geschlossen ist. Dass sie das Gefühl haben, die Decke fällt ihnen auf den Kopf, und dass die Zeit lang wird. Manche von denen, die ich lese, haben Partner, mit denen sie sich unterhalten können – etwas, worauf ich seit 10 Jahren verzichte, weil es sich schlecht mit 3 kleinen Kindern verträgt, und auch schlecht mit 3 größeren Kindern, von denen eins schwerbehindert ist.

Willkommen in meinem Leben, auch wenn Ihr hoffentlich nur relativ kurz damit umgehen müsst. Und willkommen im Leben vieler Alleinerziehender, vieler Armutsbetroffener, vieler Eltern von behinderten Kindern. Wir freuen uns, wenn Ihr uns seht, auch wenn das hier vorbei ist und hoffentlich viele gesund geblieben sind.