Wer neben wem, wer darf ganz vorne sitzen, oder ist die letzte Reihe an der Tür doch cooler? Die Umgebungen ändern sich, die Fragen bleiben. Aktuell steht das Thema Sitzordnung wieder auf der Agenda – und ich nehme euch in dieser Ausgabe von „Stadtratsleaks“ mit hinter die Türen:
Ab Mai werden wir, nach drei Jahren, in denen wir coronabedingt auf andere Sitzungsorte ausweichen mussten, wieder im Ratssaal tagen – und die Verwaltung nutzt diese Gelegenheit, um einen erneuten Vorstoß zu machen, eine neue Sitzordnung zu etablieren. Das ist tatsächlich ein kluger Schachzug, denn durch die wechselnden Sitzungsorte, die wir in der Pandemie hatten, sind alle Räte gezwungen gewesen, etwas flexibler zu werden, was die eigene Verortung im Raum betrifft.
Jaha, das ist nämlich eine große Sache, und nicht zu unterschätzen! Die beiden Fraktionen mit den meisten Mitgliedern, also dem höchsten Stimmenanteil bei den letzten Wahlen, sitzen qua „Das war schon immer so!“ am nächsten an den Bürgermeistern (alle drei männlich) und der Verwaltungsbank dran, was ihre Wichtigkeit unterstreicht. Die großen Fraktionen kommen auch bei Wortmeldungen zuerst dran, das steht so in unserer Geschäftsordnung. Meine kleine, aus 4 RätInnen bestehende Fraktion sitzt folglich immer ziemlich weit weg vom Zentrum der Macht, irgendwo in der Nähe von FDP und den Linken, die mit jeweils 3 Sitzen im Konstanzer Gemeinderat vertreten sind.
Linkes Lager, rechtes Lager – das spiegelt auch die Sitzordnung
Wir haben in Konstanz, anders als man das aus dem Bundestag kennt, kein Halbrund, in dem quasi alle Parteien wie Tortenstücke vor dem Präsidium sitzen, sondern hatten bisher im Ratssaal zwei sich gegenübersitzende Reihen mit Tischen, die gerade aufgestellt waren – wie in der Schule, nur dass man sich in der Schule normalerweise nicht gegenübersitzt.
Also zwei Reihen links (Grüne, SPD, Linke) und zwei Reihen rechts (CDU, FW, JFK, FDP), wobei das sich nicht gänzlich mit der politischen Ausrichtung deckte, denn wir saßen rechts, und waren damit eigentlich falsch platziert. Mit den Konservativen haben wir politisch wenig gemein, aber irgendwie musste man ja die Wahlergebnisse auch in den Raum bringen, und wir sind da nicht so kleinlich – während andere Fraktionen sich sehr echauffieren können über neue Sitzordnungen oder Entwürfe zu selbigen.
Es ist nämlich nicht das erste Mal, dass die Verwaltung, angeführt vom OB, versucht, eine neue Sitzordnung einzuführen. Der Grund ist, dass unser Ratssaal in Konstanz im historischen Rathaus liegt, und er nicht nur relativ klein ist (weswegen wir auch während der Pandemie dort nicht weiter tagen konnten), sondern auch noch mittendrin wuchtige hölzerne Säulen stehen, die die Sicht behindern.
Für uns als einzelne Räte ist das irgendwas zwischen lästig und lustig, denn es gibt durchaus auch Ratskollegen, die der eine oder andere nicht so gerne 6 Stunden lang frontal angucken möchte, aber für die Zusammenarbeit untereinander und die Sitzungsleitung ist es eine Herausforderung.
Nicht jede/r kann Flüstern – egal, wie die Sitzordnung ist
So gab es in der Vergangenheit zu einem Sitzungstermin schonmal probeweise eine völlig andere Sitzordnung, nämlich die Verwaltung und der OB an einer Längsseite platziert, und die 40 RätInnen wie Schulkinder in 5 Reihen zu 8 Leuten hintereinander gesetzt (Oder waren es 4 Reihen mit 10 Leuten?) mit einem Mittelgang zum Durchlaufen. Das kam nicht gut an, wie ich hörte – ich selbst war zu dieser Gemeinderatssitzung verhindert, habe aber durch unsere Rats WhatsApp Gruppe mitbekommen, dass das Gemosere quasi durch die Bank groß war.
Sich entweder nur auf die Hinterköpfe zu gucken oder ganz vorne sitzend den ganzen Saal im Nacken zu haben, stelle ich mir auch nicht sehr angenehm vor, und es hieß, die Akustik sei schlecht gewesen, was ich darauf zurückführe, dass es halt hilft, wenn man das Gesicht des Redners auch sieht, und sei es nur, um bei der Stange zu bleiben und Informationen auch über die Mimik zu empfangen.
Die neue Sitzordnung ab Mai soll ein großes Oval sein, bei dem sich fast alle gegenseitig sehen können (solange die Säulen es nicht verhindern), was den potenziellen Nachteil mit sich bringt, dass wir grundsätzlich deutlich weiter auseinander sitzen.
Normalerweise reden Fraktionsmitglieder auch manchmal leise miteinander über die Tische hinweg, wenn es noch kurzfristig Entscheidungen abzustimmen gibt, das war bei den geclusterten Zweierreihen hintereinander gut möglich, aber teilweise auch recht laut, weil a) nicht alle Menschen gut flüstern können und b) die Tischreihen doch ziemlich viel Abstand zueinander hatten, ich sehe hier also nicht unbedingt eine Verschlechterung. Und meine Fraktion kommuniziert eh in den Sitzungen über Signal, wir verstehen uns auch so.
Zu eng, zu nah, zu weit auseinander – irgendwas ist immer
Ich hatte schon Gelegenheit, die neue Bestuhlung Probe zu sitzen, als Friedhofsbeirat war im März, und ich fand’s gut. Aber ich weiß jetzt schon, dass es wieder Mecker geben wird, denn irgendeine Fraktion wird in der Nähe der Eingangstüre des Saals sitzen müssen, und Einige werden sagen, es ist ihnen zu eng, Anderen ist es garantiert zu weit auseinander, und überhaupt. Man wundert sich, wie viel Gesprächsbedarf es in Sachen Sitzordnung im Rat jeweils gibt, wenn da Änderungen anstehen. Andererseits verbringen wir viel Zeit in diesem Sitzungssaal, da darf man auch darüber reden, wie es sich für alle gut anfühlt – und das werden wir, anders als zu meiner Schulzeit, garantiert ausgiebig tun.
Debatten um die Sitzordnung gab’s damals jedenfalls noch nicht, man rannte zum Schuljahresbeginn auf die freien Plätze los und versuchte, sich eine gute Position zu sichern. Könnten wir ja auch mal ausprobieren für den Gemeinderat, das wäre eine interessante soziologische Studie über Ellenbogen, Sympathien und tiefe Abneigungen innerhalb des Mikrokosmos Rat.
In der Schule saß ich am liebsten in der dritten Reihe, noch eine Mitschülerin zwischen mir und dem Fenster, und machte mich klein, damit ich nicht drangenommen werde. Heute melde ich mich freiwillig, weil ich mitreden will. Insofern ist mir im Grunde jede Sitzordnung recht, solange ich keine Zugluft im Rücken habe – nur neben dem doofen Norbert*, der mir mit seiner Selbstgerechtigkeit seit Jahren auf den Senkel geht, sitze ich auf gar keinen Fall, dass das klar ist!
Die Kolumne „Stadtratsleaks“ erscheint hier exklusiv jeweils am 15. des Monats. Bisher gibt es fünf Folgen. Ich schreibe sie, um die Demokratie etwas erlebbarer zu machen. Wer meine Arbeit unterstützen möchte, kann das sehr gerne unter diesem Paypal Link tun.
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