Ich habe gerade eine Geschichte verfälscht. Meine Jüngste (3) schleppte ein Kinderbuch aus meinem reichhaltigen Fundus an Büchern an, das „“Ein toller Tag auf der Baustelle“ heißt. Soweit sehr passend, denn wir leben ja auf der Baustelle.
Und dann kam gleich auf der ersten Seite der Satz „Heute fahren Mama und Papa zur Baustelle.“ Ich las „Heute fährt Mama zur Baustelle“, und verfremdete den ganzen Rest des Buches auch so, dass kein Papa vorkommt.
Denn der Papa ist ein genderideologisch beladenes Problem in deutschen Kinderbüchern, und auch im Fernsehen – von Caillou bis zu Lauras Stern, überall gucken meinen Kindern glückliche Familien mit kleinen Differenzen entgegen, die sich schnell in Luft auflösen.
Nicht einmal in der offiziellen Trennungsliteratur für Kleinkinder – ich habe sie alle gekauft – wird auch nur halbwegs adäquat eine Familie gespiegelt, wie wir sie leben. Es mag kurzen Streit geben, die Mama weint ganz doll, und der Papa zieht aus – aber am Ende haben sich alle ganz gern und essen Eis miteinander. Es haben auch nicht alle getrennten Kinder ein schönes zweites Kinderzimmer beim Vater, wie etliche Bilderbücher suggerieren. Da könnte ich, entschuldigt die Wortwahl, kotzen. So ein Buch müsste den Titel „Wir wohnen jetzt mit Mama woanders“ tragen, oder „Mama mag nicht mehr mit Papa wohnen.“
In meinem Wohnblock kenne ich innerhalb von 5 Metern Luftlinie 3 Frauen, die alleinerziehend sind, wo der Papa sich nicht so vorbildlich verhält wie in diesen Büchern geschrieben. Den Papa sehen die Kinder auch nicht am Wochenende, wie einem die Trennungsbücher erzählen, sondern unregelmäßig.
In keinem der Trennungsbücher, die ich kenne, trennt sich die Frau von dem Ehemann, obwohl das statistisch die Regel ist, und stets beteuern alle Protagonisten, dass sich durch die Trennung der Eltern an der Beziehung zu den Kindern nichts ändert.
Klingt toll, ist aber nicht so. De facto verlieren innerhalb eines Jahres nach der Trennung viele der Kinder den Kontakt zum Vater. Pustekuchen mit alle haben sich lieb, obwohl sie woanders wohnen. Das einzige Buch, das ich kenne, das ein realistisches und positives Bild von Alleinerziehenden vermittelt, ist „Lotte will Prinzessin sein“ von Doris Dörrie. Da kommt der Papa erst gar nicht vor, und den beiden Mädels geht es gut. Ich überlege gerade angestrengt, wer mir das geschenkt hat. Es steht schon lange bei uns im Bücherregal, definitiv bevor der Sohn 2006 zur Welt kam. Irgendjemand ahnte wohl, dass meine Tochter und ich alleine besser dran sind. Anna, warst du das?
Nachtrag, Juli 2014:
Dank eines Kommentars hier wurde ich auf das 2013 erschienene Bilderbuch „Julian und die Wutsteine“ aufmerksam. Geschrieben hat es Marion von Vlahovits, und es ist das bisher beste Buch, das ich zum Thema „Nicht einvernehmliche Trennung und Riesenschlamassel“ gesehen habe.
Meine Jüngste, die jetzt 5 ist, bittet mich seit Tagen immer wieder, dieses Buch noch einmal vorzulesen. Es hat eine ausdrucksstarke Bildersprache, die meine Tochter vollkommen in den Bann zieht, und genau wie es im Nachwort der Autorin und der Illustratorin im Buch beschrieben wurde, zum Nachdenken und Reden einlädt.
Ich finde das kindliche Unglück sehr gut dargestellt in diesem Buch, die Einsamkeit und eben diese große Wut, die sich als Schuldgefühl beim Kind gegen sich selbst richten kann und bei dem Protagonisten Julian dazu führt, dass ihm das Herz wehtut. Der Knoten löst sich, als eine ältere Nachbarin die Not des Kindes sieht und es mittels ihres Hundes schafft, den Jungen zu erreichen. Das ist mein Lieblingssatz im Buch: „Sie hatte keine Angst vor Julian. Sie hatte Angst um Julian.“ Am Ende des Buchs ist zwar alles wieder gut, aber nur auf Julians Ebene.
Es wird nicht vermittelt, dass sich die Eltern vertragen hätten, sondern nur die Gefühlswelt des Jungen betrachtet. Von solchen Trennungsbüchern hätte ich gerne noch ein paar. Es ist, wie Autorin Vlahovits im Nachwort schreibt, ein Buch für Kinder, deren Eltern eben nicht nach der Trennung gemeinsam für das Kind weiterhin da sind. Und davon gibt es leider ziemlich viele.
Ein gutes Bilderbuch für 3 bis 6-Jährige (meine Einschätzung), das ich wirklich empfehlen kann.
Linktipps:
Bloggerin Frau Kreis über „Wie heil muss die (Kinder)welt sein?“
Bloggerin mamahatjetztkeinezeit über Kästners unheile Kinderwelt
beides Reaktionen auf diesen Blogpost