„Jeder Buchstabe ein Befreiungsschlag“, so heißt ein Kapitel in dem gerade erschienenen Buch, das Meike Büttner unter ihrem Pseudonym „Maike von Wegen“ geschrieben hat, und ich verstehe sie so gut.
Meike betreibt den Blog Mutterseelenalleinerziehend, ist Musikerin, Autorin und Mutter einer 9-jährigen Tochter. Bei mir hätte die Formulierung „Jedes Wort ein Befreiungsschlag“ gelautet, und ich bin Meike/Maike in virtueller Freundschaft via Facebook und unsere Blogs durch unser gemeinsames Anliegen, für die Nöte und Bedürfnisse von Alleinerziehenden Öffentlichkeit zu schaffen, verbunden.
Inhalt des Buchs, kurz zusammengefasst
In „Mutterseelenalleinerziehend. Ein Kind und weg vom Fenster?“ schreibt in dem Maike sehr persönlich ihre Lebensgeschichte auf und rechnet mit ihrer Mutter, dem alleinerziehendenfeindlichen Hartz IV und Familienministerin Schröder ab.
Die Autorin ist Jahrgang 1982, also 16 Jahre jünger als ich, und bekam ihr erstes Kind ungeplant mit 20. Die Liebe zum Vater des Kinds, einem Musiker, den sie nach dem Song „Papa Was a Rolling Stone“, Papa Stein nennt, zerbricht an seiner Unfähigkeit, sich auf das Baby und seine Vaterpflichten einzulassen, und lässt Maike in eine tiefe Depression stürzen, die sie in die stationäre Psychiatrie führt, wo sie durch schlampige Aktenvermerke zu einer Patientin mit einer „durch Drogen initiierte Psychose und auditiven Halluzinationen“ wird.
Das wiederum ist Wasser auf den Mühlen ihrer Mutter, die einige Zeit später entdeckt, dass sie gerne hätte, dass die Enkeltochter bei ihr lebt, und so beginnt ein Ämter- und Gerichteschlacht für Maike, die ihre Tochter für über 1 Jahr nur sporadisch sehen durfte.
Der Teil des Buchs, in dem Maike ihre persönliche Geschichte erzählt, ist für mich der fesselndste, vielleicht einfach deswegen, weil ich sie bisher nur in Andeutungen kannte. Ich finde es sehr mutig, damit so schonungslos an die Öffentlichkeit zu gehen und wünsche mir, dass ich das eines Tages auch kann – allerdings ist da eben ein Kindsvater beteiligt, der mir aufs Dach steigen könnte und natürlich auch meine 3 Kinder, die zwar wissen, warum ich mich getrennt habe, aber bei denen ich doch Stigmatisierung durch ihr soziales Umfeld fürchte, wenn ich tatsächlich ein „Coming Out“ in Buchform wagen sollte. Maike wird sich zusammen mit dem Knaur Verlag abgesichert haben, und ihre Geschichte ist eine andere als meine. Ich bewundere ihren Mut zutiefst.
Die anderen beiden Teile sind eher informativ mit einem Hauch Sarkasmus gehalten, sie bringen Zahlen zur Situation der Alleinerziehenden, Fakten und Erfahrungen zu Ämtern und Anträgen, und am Schluss gibt Maike noch Tipps, wie das Leben als Alleinerziehende halbwegs gut zu überstehen ist. Es ist ein gutes Buch, und vor allem ein Pionierwerk, von dem ich mir wünsche, dass es viele Käufer und in den Medien viel Aufmerksamkeit findet. Ich möchte Maike von Wegen alias Meike Büttner gerne in Talkshows sehen und im Radio hören, und ich bin sicher, dass sie etwas bewegt.
Meine Lieblingssätze und Absätze:
Vielleicht sind die Gefühle das Einzige, woran woran wir uns erinnern können, und die Geschichten dazu sind ausgedacht. Aber ohne, dass wir es selbst bemerken. (S. 38)
Wenn du nichts mehr von ihm erwartest, kann er dich nicht mehr enttäuschen. Und das ist einfach wahr. (S. 40)
Es war, als wäre ich mit dem Eintritt in die Schwangerschaft einen geheimen Vertrag eingegangen, der besagte, dass es nun nie wieder um mich gehen würde, ich aber meinerseits für alles zur Verantwortung gezogen würde. (S. 44)
Ich war die Einzige, die sich um Laura kümmerte. 24 Stunden. Jeden Tag. Es gab in meinem Leben nun endgültig keinerlei Ausgleich mehr. Ich fühlte mich wie eine Gefangene, die ohne Unterlass funktionieren musste… Ich fühlte mich immerzu fremdbestimmt… Alles war immer ein Kompromiss. (S. 48)
Wer will ernsthaft eine Schar frustrierter Mütter, die mit hängenden Mundwinkeln ihre Kindern ins Bett bringen? (S. 60)
Auch ich habe mich so oft hilflos gefühlt… Was tue ich meinem Kind an mit dieser Haltung? (S. 133)
Fazit
So unterschiedlich die Werdegänge von Maike und mir sind – im Gegensatz zu ihr habe ich straight Abitur, Studium, Auslandsjahr mit Stipendium und anschließend die Promotion mit guten Noten abgeschlossen und erst dann drei Kinder bekommen, was meine Situation überhaupt nicht verbessert, weil ich nun als überqualifiziert und zu alt gelte – es eint uns die Wut über die Ausgrenzung und der Wille, etwas auf politischer und gesellschaftlicher Ebene zu verändern.
Dass Alleinerziehende bei Bewerbungen diskriminiert werden, ist durch Studien mit anonymisierten Bewerbungen bewiesen (S. 68), dass sie durch die Arbeitslosigkeit in Armut rutschen, zeigen Statistiken – und dass das zusammen mit der Überlastung der alleinerziehenden Mütter einen prägenden Einfluss auf hunderttausende von Kindern hat, ist logisch. Niemand kann das wollen. Lasst uns das ändern!
Für unsere gesamte Gesellschaft ist es von Interesse, ob wir eine Schar verhaltensgestörter Menschen heranziehen oder glückliche, gesunde Kinder mit Selbstbewusstsein und Verstand.“ (S. 135)
Zwei Zitate aus „Mutterseelenalleinerziehend“ mit Linktipp innerhalb dieses Blogs:
„Wir sind nicht alle bildungsfern, und wir sind auch nicht alle selbst schuld.“ (S. 152) Alleinerziehend – selbst schuld?
„Normalerweise konnte ich abends gar nicht mehr weggehen, weil es mir a) nicht leisten konnte und weil ich b) niemanden kannte, der in so einem Fall auf mein Kind aufgepasst hätte. Ich war ausgeschlossen von so normalen Dingen wie eine Freundin auf ein Bier zu treffen oder mal ins Kino zu gehen.“ (S. 198) Elternabend – alleinerziehend ein Problem
Maike von Wegen. Mutterseelenalleinerziehend. Ein Kind und weg vom Fenster? Knaur Verlag, August 2013. 240 Seiten für 8,99 €. ISBN 978-3-426-78577-5