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Jonas war im Kleid in der Schule! #Gender

Als meine Großmutter Elisabeth eine junge Frau war, tat sie etwas ganz unerhörtes: Sie schnitt sich die Haare ab und trug Hosen. Das tat man nicht 1933. Absolut gar nicht. Es war ein Riesen-Tabubruch, und meine 25-jährige Oma schaut sehr vergnügt aus mit ihrem Dandy-Look. Ich glaube auch nicht, dass das Rauchen von Zigarren damals für Frauen Usus war.

Dass Frauen früher keine Hosen tragen durften, findet der 8-jährige Jonas* (der in Wirklichkeit einen anderen Namen trägt) total schräg. Er lacht ungläubig, und kann sich das nur schwer vorstellen. Denn Jonas hat gerade erst ausprobiert, wie es sich anfühlt, wenn man etwas tut, was gesellschaftlich nicht akzeptiert ist. Und es hat mit Hosen und Kleidern zu tun.

Elisabeth Duve 1933
Elisabeth Duve 1933

Jonas‘ Tag mit dem Kleid in der Schule

Mama hat am Morgen gesagt „Du weißt schon was dann passiert!?“, erzählt der 8-jährige Jonas. „Aber ich wollte wissen, ob es in der Schule so ist, wie ich mir das gedacht habe.“ Und deswegen ging Jonas an einem Tag im Herbst 2013 im Kleid zur Grundschule. Jonas ist schlau, freundlich und beliebt in der Klasse – er ist sogar ziemlich schlau. Er musste drum auch nicht lange mit seiner Mutter diskutieren, denn wusste genau, dass ihr Sohn sich im Klaren darüber war, dass ein Junge im Kleid in der Grundschule nicht nur auffällt, sondern auch mit Kommentaren rechnen muss.

„Ich trage öfter mal Kleider zuhause im Sommer, das ist luftig und bequem“, sagt der Zweitklässler. Und einmal, so berichtet er, habe er schon auf einem Ausflug zu einer Burg ein Kleid angehabt, und niemand habe daran Anstoß genommen. Das, so weiß auch Jonas, kann aber gut daran liegen, dass die Leute ihn mit seinen halblangen blonden Haaren, wie sie viele Jungs heute tragen, einfach für ein Mädchen gehalten haben.

In der Schule hingegen kannten alle Jonas als Jungen. Und es hagelte Fragen, Blicke und auch dumme Kommentare. „Ich habe auch manchmal einen Zopf, da sagen die Leute auch schon immer was. Dabei hat der Bruder meiner Mutter auch ganz lange Haare!“ wundert der Junge sich über die Engstirnigkeit seiner Mitschüler. „Die Lehrer haben nicht viel gesagt, außer ’schönes Kleid‘ oder so.“

Was in der Klasse schon schwierig war, weil alle wissen wollten, warum Jonas ein Kleid trug, wurde in der großen Pause zum Spießrutenlauf: „Besonders die Jungs aus der dritten Klasse haben sich lustig gemacht. Die Mädchen haben eigentlich nur geguckt.“ Richtig doof fand Jonas, dass einige Kinder begannen, „Da kommt das Mädchen!“ zu rufen.

Der Tag ging irgendwie herum, aber wohl war dem mutigen Grundschüler nicht in seinem Kleid. „Als ich am Nachmittag auf meinem Roller nach Hause fuhr, habe ich mich blöd gefühlt.“ Er würde das nicht wieder machen, sagt er.

Mein Sohn war total beeindruckt

Schade, dass Jonas gar nicht mitbekommen hat, wie stark er meinen Sohn mit seiner ungewöhnlichen Aktion beeindruckt hat. Der kam nämlich aus der Schule und platzte gleich damit raus: „Mama, der Jonas war heute mit einem Kleid in der Schule! Der war so cool, der hat gar nichts zu allen gesagt, ob wohl ihn fast alle ausgelacht haben!“ „Wow“, staunte ich. „Und was hast du gemacht?“ Der Sohn gestand, dass er erst gar nichts getan, nur gestaunt habe. Aber dann habe es ihn geärgert, dass alle seinen Freund so aufzogen, und er habe gesagt, sie sollten das lassen. „Der Jonas hat so getan, als wäre nichts. Er hat sich einfach weiter ganz normal benommen. Das hätte ich mich NIE getraut! Der ist SO mutig!“, bewunderte mein Sohn den Klassenkameraden mit einem Hauch von Neid.

Raspelkurze Haare bei kleinen Mädchen gehen übrigens auch nicht, wie wir im Frühsommer ausprobiert haben. Damals wollte die Jüngste eine Jungsfrisur, richtig kurz wie sie die Buben tragen. Auch ich tat mich etwas schwer damit, das zu erlauben, war danach aber froh. Auch und gerade weil die Umgebung so schockiert reagierte. Wir haben das nun durch, ich hab’s nicht verboten, und mein Kind ist immer toll, egal, was die Leute denken. Vielleicht ist das der Gedanke, den auch Jonas‘ Eltern hatten, als sie ihn im Kleid zur Schule gehen ließen.

Elisabeth Duve mit Otto
Elisabeth Duve mit Otto

Ich find’s gut, dass Jonas sich das getraut hat, und ich habe das Jonas‘ Eltern und auch ihm persönlich gesagt. Und ich kann mir nur an den Kopf fassen, wie beschränkt, kleinkariert und taktlos viele meiner Mitmenschen sind, wenn’s um Rollenbilder geht.

Vielen Dank für das Interview, mutiger Jonas!

Linktipp innerhalb des Blogs:

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