An einem Stehtisch im Kinofoyer, sonntags, bei gutem Wetter, ein Magazin über das Gelingen von Erziehung zu lesen, während im abgedunkelten Raum nebenan ein Kinderfilm läuft, ist das nicht absurd? Nein, es war toll. Denn zum ersten Mal blieb es mir erspart, den Film mit anzugucken. Die Jüngste und ihre Freundin schauten vergnügt „Die Biene Maja“, während ich 10 Meter entfernt lesen durfte. Und damit ist diese Erziehungsberechtigte ein glücklicher Mensch gewesen für diese Stunde, was die Voraussetzung für gelungene Erziehung ist, wie mir Jesper Juul im ganz neu erschienenen Geo Wissen sagt: „Es gibt keine glücklichen Kinder ohne glückliche Eltern.“
Das Heft ist wirklich gelungen, um bei diesem Verb zu bleiben. Ich war wenig begeistert von der Ausgabe, die die Redaktion über „Mütter. Wie sie uns ein Leben lang prägen“ gestaltet und mir zugesandt hatte, und die ich drum gar nicht erst hier vorgestellt habe. Aber die Texte und Bilder, die in diesem Geo Wissen über Erziehung auf 162 Seiten für 9,50 geboten werden, sind nicht nur vielseitig, sondern auch nach meinem Geschmack.
Zwar kommen Alleinerziehenden nur auf einer Doppelseite vor, die sehr bildlastig ist, aber immerhin kommen sie vor – und ansonsten gilt ja auch für Alleinerziehende, was für Eltern in der Erziehung gilt, jedenfalls zu großen Teilen. Ich mochte die Struktur des Hefts, das von der Entwicklung des Babys bin hin zu Teenagern geht, einen Text über Großeltern hat, sich mit der Geschwisterbindung beschäftigt, lange und interessante Interviews bietet (wunderbar gelayoutet, jeweils auf einer Doppelseite gegenübergestellt einmal Jesper Juul und zum anderen Triple-P-Gallionsfigur Kurt Hahlweg, das ganze auf 10 Seiten!), und auch Einsichten in ganz andere Lebenswelten liefert, wie im Artikel über die antiautoritären Eltern, deren Erziehungsstil „Erziehung vermeiden“ ist. Im 15-seitigen Dossier kann man seinen Erziehungsstil testen (Erziehungsstress und Konflikte mit dem Partner, ich habe das also ausgelassen), und erhält kompakte Informationen über diverse Erziehungskurse sowie Buchtipps und Verweise auf Webseiten. Erwähnenswert auch der sehr ausgewogene Text über Trennungskinder, in dem scheinbar konträre Forschungsergebnisse so aufgedröselt werden, dass ein stimmiges Gesamtbild entsteht.
Wenn ich etwas zu mäkeln habe, dann dass die Experten, die besonders ausführlich zu Wort kommen, wieder einmal Männer sind, alte Männer gar, aber es gibt nun einmal keine Frau Juul, die dieses Interview hätte führen können, um hier einen Gegenpart zum ebenfalls alten Herrn Hahlweg abzugeben. Ansonsten hat sich die Redaktion Mühe gegeben, auch Frauen als Experten zu Wort kommen zu lassen; ob’s Absicht war, kann ich nur mutmaßen, aber ich nehme es wohlwollend zur Kenntnis. Das Heft wirkt ausgewogen, liebevoll gemacht, von vorne bis hinten ein gutes Produkt. Apropos hinten – dass ganz am Ende Harald Martenstein mit dem Thema „späte Vaterschaft“ ganze drei Seiten Text eingeräumt wurden, fand ich ein bisschen schade. Überflüssig. Zum Glück kam ganz am Ende dann noch die Heftvorschau aufs nächste Geo Wissen, das sich dem Thema „Die Kraft des positiven Denkens“ widmen wird.
Aber zurück zu diesem, dem neuesten Heft: Aus diesem Geo Wissen über Erziehung kann sich der Leser ziehen, was er an Informationen übernehmen möchte, es bevormundet nicht. Die Texte sind vorsichtig formuliert und machen kein schlechtes Gewissen, trotzdem nie vage oder feige. Und das ist gerade beim Thema Erziehung ein Riesen-Kunststück, das hat die Redaktion wirklich toll hinbekommen. Applaus. Von mir gibt’s eine uneingeschränkte Kaufempfehlung.
Disclaimer: Dieser Blog lässt sich nicht für Rezensionen bezahlen, hat keine Kooperationen mit Medienhäusern/Verlagen und ist in seiner Meinung unabhängig.