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Twitterer im Interview: Akkordeonistin

I. Ein Portraitversuch

Ein paar Eckdaten sind klar: sie lebt in der Ostschweiz, sie arbeitet (oder arbeitete?, denn kürzlich hat sie den Job gewechselt) als Lektorin, und sie hat einen Sohn, der 23 Jahre alt ist und der Philosophie studiert. Für ihr Headerbild hat sie ein Caféhaus gewählt, woraus ich folgere, dass sie diese Orte liebt. Ich glaube, sie trinkt Tee. Earl Grey vielleicht? Andererseits zeigt ihr Ava eine rauchende Frau. Dazu würde dann doch ein Schümlikaffee besser passen.

Zur Arbeit fuhr sie bisher stets mit dem Regionalbus, und mit ihren zwischenmenschlichen Beobachtungen und Stimmungsbildern aus dem Bus hat sie ihre Follower bestens unterhalten, auch bezaubert, denn oft sind diese Tweets aus dem Bus voller Poesie, Alltags-Poesie, ohne kitschig zu sein.

Seit Juli 2011 schickt uns die Akkordeonistin Grüße aus ihrem Alltag. Manchmal Nachdenkliches, manchmal Lustiges, gelegentlich Natur- und Nebelfotos, aber auch komplett unverhersehbare Motive. Sie ist nicht festgefahren, das dachte ich in den letzten Monaten öfter, als ich das Gefühl hatte, der Account wandelt sich. Es scheint mir, dass die Akkordeonistin in diesem Jahr offener wurde, neue Sachen machte, und weniger zurückgezogen lebte.

Twitter-Avatar der Akkordeonistin
Twitter-Avatar der Akkordeonistin

Anfangs dachte ich, das Akkordeon im Namen und im Ava habe vielleicht mit „Akkord“ zu tun, aber seitdem ich einen Soundcloud (oder ähnliches) Ausschnitt gehört habe, in dem ihre musikalischen Künste zu hören sind, weiß ich, dass sie wirklich Akkordeon spielt. Es gibt sogar ein Foto ihres Instruments. Dass sie damit täglich Bus fuhr, glaube ich nicht, ich schätze eher, es ist ihr Hobby. Aber sie spielt auf hohem Niveau.

Ungefähr mein Alter, Ende 40, wird sie sein, auch dazu gibt’s zwei Tweets, die mich auf diese Fährte setzen (in einem kommt der Jahrgang 1968 vor). Und wenn ich mir ihre Kindheitsbilder anschaue, von denen ich zwei auf Twitter fand, dann stelle ich mir eine schöne Frau mit ebenmäßigen Gesichtszügen, braunen Augen und leicht gewelltem Haar vor.

Ich glaube, dass sie alleine lebt, aber viele Freunde hat und unter den Kollegen sehr beliebt ist. Gelegentlich klingt ein romantisches Element in den Tweets durch, vielleicht sind das kleinere Schwärmereien oder Verliebtheiten. Ich stelle mir vor, dass sie eher ruhig und zurückhaltend ist, einem auf den zweiten Blick auffällt, und dann aber nachhaltig in Erinnerung bleibt. Schüchtern ist sie nicht, aber sie spielt sich nie in den Vordergrund. Selbstsicher auf eine angenehme Art.

Die große Zahl der Favs, über 91.000, zeigt, wie intensiv sie diejenigen mitliest, denen sie folgt. Das sind nur 439 Leute, während ihr selbst mehr als 6.200 Leute folgen. Sie hat mit nur 1137 Tweets eine enorme Zahl an Followern angezogen. Gäbe es Kennzahlen für das Verhältnis von Anzahl der Tweets zu Followern, dann läge sie sicherlich ganz vorne. Das ist bei der großen Zahl von Favs um so sympathischer. Von Elitegehabe keine Spur. Die Akkordeonistin ist nahbar.

II. Das Interview

1) Wie nahe bin ich Ihnen mit dieser Beschreibung gekommen?

Ich muss schon sagen, ich bin überrascht, wie viele (exakte) Eckdaten aus meinen Tweets herauszulesen sind. Tatsächlich bin ich Jahrgang 1968, mein Sohn wurde eben 23, und auch das mit der Philosophie stimmt. Dass ich täglich mit dem Regionalbus fahre, war natürlich nicht zu überlesen, und auch dass ich alleine lebe, haben Sie richtig interpretiert.

Dann gibt es wiederum Stellen – wie beispielsweise zu meinem Aussehen -, die mich beim Lesen laut auflachen liessen. Und wenn wir gerade beim laut Lachen sind: Ich bin nicht so ruhig, wie sie glauben! Ich kann sehr gesellig sein, rede gern und viel und lache viel zu laut. Daneben – und das glauben mir manche Menschen gar nicht – bin ich aber eine ausgeprägte Einzelgängerin. Ich bin ausgesprochen gerne für mich. Ich glaube, ich fühle mich recht wohl mit mir.

Meine romantischen Tweets: Ja, ich habe diese Seite – wie auch eine sehr sentimentale. Ich neige dazu, die Dinge zu verklären. Aber ich lebe ganz gut mit meiner Sicht der Dinge.

2) Welche Rolle spielt das Akkordeon in Ihrem Leben?

Das Akkordeon und überhaupt die Musik spielen eine entscheidende Rolle in meinem Leben. Als Kind habe ich unzählige Stunden mit Musik verbracht. Besonders die Lieder von Mani Matter habe ich gerne auf der Gitarre gespielt. Später versuchte ich mich an Bachs Inventionen auf dem Klavier. Dann lieh ich mir kurze Zeit ein Cello aus und schloss daraufhin überraschend Freundschaft mit einem Akkordeon. Dabei bin ich dann geblieben.

Bei jedem Spaziergang geht mir eine Melodie durch den Kopf. Fast immer summe ich. Dann meinen die Leute oft, ich hätte sie gegrüsst. Dann grüssen sie ebenfalls, und ich grüsse wieder zurück. Ein Riesendurcheinander!

3) Was tun Sie, wenn Sie nicht arbeiten oder Akkordeon spielen?

Ich lese, ich spaziere, ich beobachte die Leute, ich besuche Freunde und ich schreibe meine Gedanken auf. Aber sehr oft sitze oder liege ich auch einfach nur so da und denke nach.

4) Werden Sie weiterhin mit dem Bus zur Arbeit fahren?

Ich habe einen neuen Job, bei dem ich zurzeit gerade oft mit dem Zug fahren muss. Aber es wird danach bestimmt wieder genügend Gelegenheit geben, Bus zu fahren, da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.

5) Juckt es Ihnen als Lektorin nicht ständig in den Fingern, die Leute auf twitter zu verbessern?

Nein, überhaupt nicht. Natürlich hat die korrekte Orthografie eine gewisse Ästhetik. Zum Beispiel tut es mir immer ein bisschen weh, wenn jemand nach Satzzeichen keinen Abstand macht. Aber so ernst nehme ich das Ganze nicht. Nur im Beruf.

6) Ein Leben ohne twitter wäre….?

… machbar. Aber Twitter hat seinen Reiz für mich noch nicht verloren. Ich lese nach wie vor gerne mit, entdecke auch gerne neue Twitterer, und ich habe drei neue Freunde über Twitter gefunden. Allein schon dafür hat sich das Anmelden tausendmal gelohnt.

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