Ich bin neidisch. Was die beiden Autoren und Eltern Stefanie Lohaus und Tobias Scholz haben, hätte ich auch gerne gehabt: nämlich eine gleichberechtigte Beziehung auf Augenhöhe, die trotz und mit Kind nach dem 50-50 Prinzip funktioniert.
Lohaus ist Journalistin, Gründerin des Missy Magazins und Autorin für die ZEIT, und Scholz arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni, sie sind von der Ausbildung und vom Weltbild her alleine schon ziemlich auf Augenhöhe, das war in meiner Ehe ganz anders – ich habe einen Handwerker geheiratet, der mit mittlerer Reife das Gymnasium verließ, und völlig anders sozialisiert war als ich. Lohaus und Scholz sind auch fast gleich alt, es trennen sie nur zwei Jahre (bei meinem Mann und mir waren es 8 Jahre, die ich älter war. Hat auch nix genützt; er war wesentlich konservativer als ich.)
Aber weg von mir, hin zu diesem Buch, das ich euch wärmstens empfehlen will. Das Paar Lohaus/Scholz hat sich vor der Geburt seines Sohns hingesetzt und überlegt, wie sie zukünftig mit ihren Kapazitäten als Eltern, Arbeitnehmer und Mensch umgehen wollen. Und zwar mit einer Konsequenz und Weitsicht, die nur wenige Eltern aufbringen. Angeregt hat diesen Prozess Stefanie Lohaus, aber Tobias Scholz musste nicht überredet werden, es entsprach seinen Vorstellungen, sich bewusst mit der Elternschaft und auch mit gesellschaftlichen Gegebenheiten auseinanderzusetzen.
Die beiden Eltern erzählen abwechselnd in Kapiteln, wie ihre Geschichte als emanzipierte 50-50 Eltern begann, und streuen immer wieder Wissensschnipsel und Verweise auf Studien und Fakten ein, die die Relevanz dessen, was sie pionierhaft tun, untermauern. Sie nehmen dabei kein Blatt vor den Mund (nehme ich an, genau wissen das ja nur die zwei Autoren), es wird kein Frust ausgespart, die Themen Sex, Schlaf, Geld, Freizeit, Putzen und Haushalt, Schwierigkeiten beim Stillen bzw. Fläschchengeben, der Wiedereinstieg von Stefanie in den Beruf 3 Monate nach der Geburt in Teilzeit, die Hürden, die sich unversehens vor Vätern auftürmen, wenn sie in der Firma längere Elternzeit einreichen, all dies wird behandelt. Auch das Thema Elterngeld und am Schluss des Buchs noch ein Blick in andere Länder sind dabei (Norwegen! Das Paradies für berufstätige Eltern, kenne ich von meinen 4 Jahren im Kinderbuchverlag recht gut), und die kritische Auseinandersetzung mit männlichen Sozialhorden – korrekt „homosoziale Männergemeinschaften“ – und deren Auswirkungen auf die Karrieren von Frauen, Stichwort „gäserne Decke“ und Frauenquote.
Das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf steht zwar nicht im Vordergrund, ist aber unterschwellig immer präsent, obwohl die Autoren ausdrücklich sagen, sie wollen nicht die große Karriere machen, sondern einfach ihrem Beruf nachgehen und Geld verdienen, das Ganze aber familienorientiert. Was schon schwierig genug ist, wenn man Kinder hat, wie viele Leser wissen.
Der Leser wird mitgenommen, bis der Sohn ein gutes Jahr alt ist, und bekommt ein gutes Bild davon, wie eine gleichberechtigte Partnerschaft mit Kind aussehen könnte, ohne dass diese beschönigt wird. Und wie gesagt, ich bin neidisch. Das haben die beiden richtig gut hinbekommen. Genauso wie dieses Buch, dessen Untertitel „Wie Paare Kind, Job & Abwasch unter einen Hut bekommen“ ist. Tatsächlich aber ist es viel mehr als das, es ist gelebte Gleichberechtigung. Aber das hätte als Titel unglaublich dröge geklungen. Respekt, Frau Lohaus und Herr Scholz, ich finde, Sie sind Vorbilder!
Stefanie Lohaus und Tobias Scholz, Papa kann auch stillen. Goldmann Verlag Februar 2015. Taschenbuch mit 222 Seiten für 8,99 €. ISBN 978-3-442-15831-7