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Mein Stadtratsmonat: April und Mai

Die letzten beiden Monate waren für mich weniger sachlich interessant, aber zwischenmenschlich – und indirekt auch gesellschaftlich – sehr lehrreich.

Gerade erst vor ein paar Tagen kam ich mit einem älteren CDU-Gemeinderat ins Gespräch (konkret: ich ging auf ihn zu, weil ich ausloten wollte, wie festgefahren seine Position ist), der mir unmissverständlich zu verstehen gegeben hatte, dass er von Frauen, die sich trennen und hinterher „ihre Probleme mit ihrem Ex-Mann und als alleinerziehende Mutter öffentlich machen“, nichts hält. Das war eine ordentliche Breitseite gegen meine Aktivitäten gewesen, und ich musste schon ein wenig schlucken, als ich die Botschaft las. Andererseits ist mir klar, dass dies eine weit verbreitete Einstellung ist:

Man hat sich nämlich nicht zu trennen, wenn man erstmal verheiratet ist, komme was wolle. Falls es dann doch richtig schief geht, dann hat man den Fehler schon am Anfang gemacht, bei der Auswahl des Partners. Und dann breitet man besser den Mantel des Schweigens über das, was passiert ist. So kann man das natürlich sehen. Wenn man selbst keine Fehler macht oder sich sicher ist, dass sich andere schuldhaft und/oder leichtfertig in schwierige Situationen bringen.

Mit so einer Einstellung ist es natürlich logisch, dass die Ausstattung von Frauenhäusern, die Hilfen für Alleinerziehende und soziale Dienste für Frauen in Not nur untergeordnete Priorität haben – es ist genau die „Selbst Schuld“ Mentalität, die Manuela Schwesig bei „Hart aber Fair“ mit Plasberg vergangene Woche sehr deutlich formulierte, und wofür ich der Familienministerin sehr dankbar bin.

Solange große Teile der Gesellschaft Alleinerziehende als „gefallene Frauen“ sehen und ihre Kinder als Opfer von Müttern, die ihr eigenes Wohl über das der Familie stellen, wird es schwierig sein, politische Mehrheiten für die Besserstellung (und damit meine ich die Beseitigung der strukturellen Nachteile!) von Alleinerziehenden zu finden.

Die Sache ist nur die: In Konstanz ist jeder vierte Haushalt mit Kindern unter 18 ein Alleinerziehenden-Haushalt. Das sind eine Menge Leute, fast 2.000, und das seit Jahren. Wenn davon 90% Frauen sind, wie es bundesweit Durchschnitt ist, sind das 1800 Alleinerziehende und ihre ab 16 Jahren wahlberechtigten Kinder, die gut finden könnten, was ich mache. Das ist keine Randgruppe. Und auch in Konstanz gibt’s, wie im Internet und unter den Bloglesern, viele Nicht-Alleinerziehende mit Sympathien für meine „Öffentlichkeitsarbeit“. Vielleicht sollten die konservativen Kreise ihre Haltung nochmal überdenken.

Alleinerziehende in Konstanz
Statistikbericht 1/2015 des Hauptamts Konstanz, S. 41.

Unterschiedliche Weltanschauungen und zwangsläufig auch religiöse Einstellungen beschäftigen mich auch bei der Wahl des/der neuen Amtsleiter/in des Sozial- und Jugendamts, für die ich gerade im Rahmen einer Findungskommission als Vertreterin meiner Fraktion sitze. Das ist ein so zentrales Amt für die Anliegen, die mich bewogen haben, in die Kommunalpolitik zu gehen, dass es mir sehr wichtig ist, dort jemanden in der Leitungsposition zu haben, der/die sozial und möglichst frei von Vorurteilen denkt. Die jetzige Stelleninhaberin war – leider – großartig, und sie wird nun Sozialbürgermeisterin im benachbarten Singen.

Also sucht der Gemeinderat in einem Auswahlverfahren neue Bewerber aus, die zuerst von der Personalabteilung der Stadt sortiert werden, dann in zwei Sitzungen der Findungskommission enger ausgewählt werden, und am Schluss bleiben zwei Bewerber übrig, die dem Gemeinderat vorgestellt werden und in geheimer Wahl gewählt werden (so war es jedenfalls bei den letzten beiden Schlüsselpositionen, bei denen ich wahlberechtigt war im Rat). Ein sehr demokratischer und auch guter Prozess, wie ich finde.

Friedhof Konstanz
Friedhof Konstanz

Auch gut gefallen hat mir die Sitzung der Friedhofskommission, an der ich Anfang April teilnahm. Da ging es um die Gestaltung neuer Urnengräberfelder und Bestattungsformen. Es war ein wunderschöner, sonniger Tag, und wir hatten eine Begehung mit Fachleuten und der Kommission.

Außerdem wurde anspruchsvoll diskutiert, die anwesenden Fachleute, die Verwaltung und die Räte setzten sich ernsthaft mit Ideen und Wünschen nach zukunftsfähigen Grabfeldern auseinander. Da ich Friedhöfe schon immer liebe und mich auch für deren Ästhetik interessiere hatte ich das Gefühl, etwas sinnvolles zu tun. Das habe ich im Gemeinderat nicht immer.

stadtratsmonat header

Ende April war ich auf dem Bürgerempfang der baden-württembergischen Landesregierung, die in Konstanz tagte und aus diesem Anlass ausgewählte Konstanzer Bürger und auch solche, die sich selbst beworben hatten für diesen Empfang, eingeladen hatte. Der Veranstaltungsort war unser Konzil, es war gut gefüllt – und auch ziemlich viel Security, sichtbar und getarnt, anwesend. Die Minister mal nicht in der Zeitung oder dem Fernsehen zu sehen, hat mir gefallen.

Dass es leckere Häppchen gab und ein Glas Wein, war auch nicht verkehrt, aber am schönsten war die Mittfünfzigerin aus alten SPD-Reihen, die mich ansprach, sie habe meinen Blog gelesen und finde es toll, was ich mache. Der Dame musste ich dann gestehen, dass ich sie nicht kenne, was ihr aber nichts ausmachte – ich habe sie hinterher gegoogelt und festgestellt, dass auch sie eine streitbare, unbequeme Frau ist. Aber total charmant. :)

Sie sehen: viele Männer mit grauen oder wenigen Haaren in Anzügen. Bürgerempfang im Konzil.
Sie sehen: viele Männer mit grauen oder wenigen Haaren in Anzügen. Bürgerempfang im Konzil.

Weniger spektakulär am Rande waren die Aufsichtsratssitzung der Flughafengesellschaft, in der ich sitze, eine Sitzung des Gremiums Forum Altenhilfe, zwei Sitzungen des Arbeitskreises Flüchtlinge (eine Teilnehmerin hatte den Film über mich im WDR gesehen und sprach mich darauf an, seitdem schaut sie etwas freundlicher, wenn sie mich sieht) und die Feier anlässlich „800 Jahre Konstanzer Rat“ nach der Gemeinderatssitzung vom 28. April. Dort gab es einen Vortrag des Stadtarchivars, der sich fast ausschließlich auf die Zeit nach 1945 konzentrierte, was ich schade fand. Interessiert hätte mich eher das Mittelalter und die Anfänge. Aber das ist wohl Zeitgeist.

Ich war in der Straßenbenennungskommission, wo es um die eventuelle Umbenennung einer Passage ging, deren Namensgeber nach heutigen Gesichtspunkten eher kritisch zu betrachten ist, was auch eine spannende Sache war, da dies eine kleine Kommission und und dort nicht so aufgeblasen argumentiert wird. Sogar Leute, die im Gemeinderat durch weitschweifige und selbstverliebte Äußerungen auffallen, sind dort halbwegs sympathisch und konstruktiv. Schön, sie auch mal so zu erleben.

Last not least die Gemeinderatssitzung vom 19. Mai, die spektakulär war: Anstatt wie sonst bis weit nach 22 Uhr zu tagen und zu diskutieren, waren wir vor 20:30 mit allen Tagungspunkten durch. Sogar die Bürgerfragestunde, die immer um 18 Uhr festgesetzt ist, konnte pünktlich (mit Puffer und Pause davor!) stattfinden. Das hatte zur Folge, dass wir früher als sonst den gemeinsamen Absacker trinken gingen und ich drei Stunden „Ausgang“ hatte. Mit sowas rechnet ja kein Mensch – auch langjährige Ratsmitglieder konnten sich nicht erinnern, dass eine reguläre Sitzung jemals so früh geendet hatte. Ein historischer Moment sozusagen. Und ich war dabei! ;)