Mein Kind (und ich lasse hier bewusst offen, welches von den dreien) hat alles richtig gemacht. Als der Mann dem Kind und dessen Freundin in den Hausflur folgte, die Hose runterließ, und verlangte, dass die Kinder seinen „Pimmel“ anfassen.
Sie haben laut geschrien, sich gewehrt, versucht wegzulaufen. Aber er hat ihnen den Weg versperrt. Als ich dazukam, weil ich mich über das anhaltende Geschrei im Hausflur wunderte, lief der Mann weg, ich habe ihn nicht mehr gesehen. Ich fand zwei verstörte Kinder vor. Und rief die Polizei, die auch sehr schnell kam. Der Mann wurde nie gefunden, es war ein Fremder. Was untypisch ist, meist sind es Bekannte, Freunde, Angehörige, von denen Kinder sexualisierte Gewalt erfahren.
Ich war froh, dass mein Kind keine Scheu hatte, über dieses Erlebnis zu reden. Es war empört, und wir sprachen (wenn es von sich aus kam) immer wieder über diesen Übergriff in den Wochen danach, denn mein Kind hatte einiges aufzuarbeiten. Das andere Kind war viel scheuer im Umgang mit diesem Erlebnis – ich wunderte mich auch über die Reaktion der Mutter, die ich auch sofort anrief. „Am besten, wir erzählen das keinem“, sagte sie reflexartig. Den Kindern würde sowieso niemand glauben, meinte sie. Ich war erschüttert. Und dachte mir meinen Teil, warum eine erwachsene Frau so etwas sagt, wenn das eigene Kind eindeutig Opfer sexuellen Missbrauchs wurde.
Doch, darüber muss man reden. Das fand ich. Und das sagte ich auch meinem Kind, es dürfe, wenn ihm danach sei, allen erzählen, was vorgefallen war. Nichts ist schlimmer als herunterschlucken und Geheimnisse, das sagt auch das Buch von Irmi Wette, die mit ihrer Konstanzer Puppenbühne seit vielen Jahren Präventionsarbeit leistet. Über 47.000 Kinder bundesweit haben ihr Puppenspiel zum Thema sexualisierte Gewalt schon gesehen, und stets wird diese Arbeit sorgfältig von Pädagogen und Elterngesprächen begleitet. Die Kooperationspartner dieses Buch- und Theaterprojekts sind beeindruckend: Weisser Ring, Polizei, Terre des Femmes, Hänsel + Gretel, profamilia, Grauzone e.V., Frauen helfen Frauen in Not e. V., Unicef, Wildwasser Stuttgart e.V., Caritas und DonnaVita.
Nicht minder beeindruckend ist Irmi Wette, die ich kürzlich auf ein Stück Kuchen traf. Die Künstlerin zeichnet, engagiert sich für Flüchtlinge, macht seit mehr als 17 Jahren Puppentheater mit einer Vielzahl selbst erschaffener Figuren, und ist in Konstanz ein kleiner Star, aber auch bundesweit mit dem Theaterstück „Pfoten weg!“ in Kooperation mit dem Weißen Ring unterwegs. Demnächst auch im schleswig-holsteinischen Tönning, am 6. September um 15 Uhr (siehe Plakat mit Details unten).
Das Buch, das sie selbst nach ihrem Stück geschrieben hat, ist liebevoll gelayoutet und fühlt sich hochwertig an – da es inklusive CD verkauft wird, auf der das Puppentheaterstück von einer großartigen Sprecherin* vorgetragen wird, ist der Preis von knapp 22,50 € sehr angemessen. Nein, günstig. Außerdem geht 1 € des Verkaufserlöses an N.I.N.A.
Und die Geschichte ist nicht gruselig, sondern einfach genau richtig für Kinder ab 4, an die sie sich richtet. Da erleben kleine Katzengeschwister einen Onkel und eine Tante, die übergriffig sind. Explizit sexuell wird das Buch nicht, das würde die kleinen Zuhörer auch sicherlich überfordern, aber da ist die Rede von „Anfassen, das wehtut oder eklig ist“ und unerwünschten Berührungen und Engegefühlen.
Die Kinder sollen lernen, „Nein!“ zu sagen, ihre Gefühle ernst zu nehmen und sie auch auszudrücken, und dass es keine Geheimnisse mit Anfassen zwischen Erwachsenen und Kindern geben sollte, dass ihr Körper ihnen alleine gehört und sie Hilfe einfordern dürfen.
Dass die Art und Weise, wie CD und Buch gemacht sind, Kinder anspricht, konnte ich übrigens – ganz ohne es geplant zu haben – feststellen: während ich im Wohnzimmer am Schreibtisch die 35 Minuten lange Begleit-CD hörte und das Buch dazu betrachtete, kam eins der beiden Besuchskinder, die heute zu Gast waren, neugierig zu mir, hörte aufmerksam zu und stellte interessiert Fragen. Alles richtig gemacht, Irmi Wette!
* Als ich Irmi Wette den Text zum Gegenlesen gab, klärte sie mich auf, dass SIE die Sprecherin auf der CD ist. Schande über mich. Dabei saß ich einen ganzen Nachmittag mit ihr zusammen. Sehr talentierte Frau. Hui.
Irmi Wette. Pfoten weg! Bilderbuch mit 64 Seiten inkl. Audiobuch für 22,50 €, erschienen 2014. 27,5 x 21,5 cm. ISBN 9-783000-467-912. Nur im Buchladen, über www.irmi-wette.de oder den Südkurier Konstanz.
Linktipp innerhalb des Blogs: Interview mit Bê Ignacio: Musikerin & Mutter aus Konstanz