„Meinst du, sie erkennt mich noch?“, überlegte meine Große skeptisch, nachdem sie zuerst geschockt auf dem Sofa gesessen hatte und wiederholt „Du verarscht mich, Mama. Oder?“, gestammelt hatte. Dabei hatte ich sie, die Wirkung der zu machenden Mitteilung voraussehend, nach der Schule erst beiseite genommen und dann gebeten, sich hinzusetzen.
Denn am Morgen hatte das Telefon geklingelt, ich las gerade Mails und war in Gedanken. Die angezeigte Nummer kannte ich nicht, also beschloss ich, dass es so wichtig nicht sein konnte, und arbeitete weiter. Und dann hörte ich die Nachricht auf dem AB ab. „Hallo Frau Finke, hier ist XY vom Tasso e.V. Ihre Katze Annika ist gefunden worden. Sie können Sie bei Frau B., abholen, die Sie unter folgender Rufnummer erreichen….“ Wie bitte!?
Die Katze war im August vergangenen Jahres entlaufen. Ein Riesendrama, speziell für meine älteste Tochter, für die das Tier fast wie ein Kind war. Sie hatte sie von ihrem Vater geschenkt bekommen, das war noch vor der Geburt der Jüngsten, als ich im 8. Monat war. Meine Große war damals 8 Jahre alt, und die Katze wurde ihr ein und alles. Als ihr Leben bröckelte, weil ich mich trennte, weil wir aus dem schönen großen Haus mit Garten umzogen in den Sozialbau, als alles anders wurde, war Katze Annika diejenige, der sie alles erzählte, und im Gegenzug ließ sich die Katze nur von meiner Großen streicheln und mied den Rest der Familie. Die beiden waren unzertrennlich.
Und dann war sie weg. Meine Große Tochter weinte bitterlich. Sie trauerte Monate, sie trauerte über ein Jahr. Und irgendwann sagte ich, ich hätte gerne eine neue Katze, eine andere. Weil ich immer Katzen hatte, und weil mir so ein schnurrender Vierbeiner fehlte.
Ich besorgte uns vor knapp 2 Wochen einen zuckersüßen Kater, dessen Mutter im Juni im Haus meiner Eltern geworfen hatte. Konkret im Kleiderschrank meines Vaters. Drei Kätzchen hatte die Mutter bekommen, zwei davon hat mein Bruder genommen, den schwarzen Kater fuhr ich vor 12 Tagen nach Hause. Meine Große fand das nicht gut, sie wollte keine neue Katze. Aber wir anderen drei in der Familie, der Sohn, die Jüngste und ich, wir wollten das gerne. Und so nahm ich ausnahmsweise den Groll meiner Großen in Kauf und handelte ausdrücklich gegen ihren Willen.
Der Kater, den wir Charly nannten, ist ein Charmebolzen. Er schnurrt lauter als alle Katzen, die ich je hatte, er beißt nicht, er sucht unsere Nähe, er ist schlau und schnell. Ich mag ihn sehr. Alles war gut.
Bis dieser Anruf kam. Denn so sehr ich mich zuerst freute, dass unsere Annika gefunden war, so schnell verstand ich, dass wir a) nicht wissen, wie sich die beiden Tiere vertragen und dass b) zwei Katzen einfach doppelt so teuer sind wie eine. Aber dann kam mein Optimismus durch. Natürlich würden wir uns hier alle vertragen. Und dass Annika gefunden wurde, und das auch noch lebendig und gesund, war eine tolle Nachricht. Am tollsten aber ist, dass meine Große heute Geburtstag hat. Und dass sie nun, vom Universum sozusagen, ein Geschenk bekommen hat, wie man es sich hätte besser nicht ausdenken können.
Wo die Katze so lange war, das wissen wir nicht genau. Nur, dass eine freundliche Katzennärrin, etwa 800 Meter von unserer Wohnung, sie seit ein paar Monaten gefüttert hat. Und dass sie gestern erst sah, dass die Katze einen Chip trägt, weil sie so lange extrem scheu und nicht zutraulich war. Und dann hat diese Dame bei Tasso e.V. angerufen, wo unsere Annika in der Datenbank eingetragen ist. Und so kam es zu diesem Anruf. Manchmal passieren wirklich die wunderbarsten Sachen, wenn man überhaupt nicht damit rechnet.
Wir haben unsere Annika eben abgeholt. Weil wir es nicht abwarten konnten, bis die Frau sich meldet, die sagte, dass sie sie gelegentlich füttert, sind wir selbst zu der Adresse gelaufen, die sie uns gegeben hatte. Und dort saß in einem Kinderfahrradanhänger unsere Annika. Ziemlich wohlgenährt, sie hat bestimmt 1 Kilo zugenommen, aber sie hat uns gleich erkannt. Was für ein Gefühl!
Ich habe sie in den Katzenkorb befördert, den wir dabei hatten, sie hat sich gewehrt (das war noch nie ein Kuscheltier), und dann sind wir nach Hause gelaufen, nicht ohne der Finderin zu danken und um den Arm zu fallen. Blumen hat sie auch bekommen, die gute Seele. Und nun ist die alte Katze im Zimmer meiner Tochter, um sich wieder einzugewöhnen, und sieht ganz zufrieden aus. Und der kleine Kater ahnt noch nix. Aber er stammt aus einem Haus mit vielen Katzen. Ach, das wird schon klappen. Muss! Denn den Kater gebe ich nicht mehr her. Und Annika bleibt auch hier.
Von Null auf 2 Katzen in 14 Tagen. So kann’s gehen. Und die Tiere bei Tasso zu registrieren, ist eine echt gute Idee. Machen wir mit dem kleinen Kater Charly auch. Man weiß ja nie.