„Christine, geh mal an die frische Luft!“, necken meine Nachbarn mich, wenn sie an meiner Erdgeschosswohnung vorbeilaufen. Denn ich bin hier der Stubenhocker im Haus. Neben mir die Frischluftnachbarn, die jede freie Minute in der Natur verbringen (und meine Kinder auch gerne mal mitnehmen. Danke dafür!), die Sportnachbarn, die Ausflugsnachbarn, die Verreisenachbarn. Und mittendrin ich am Rechner.
Früher, als ich ein Kind war, klingelten die Nachbarskinder und versuchten, mich zum Rausgehen zu bewegen. „Christine, nun leg doch mal das Buch zur Seite und geh raus!“, mahnte meine Mutter mich regelmäßig. Ich wollte aber nicht raus, ich wollte lesen. Und vor allem wollte ich nicht aufhören mit dem Lesen. Ich lese schnell und viel, und ich hasse Vorlesen, weil es so langsam ist.
Etwas anderes ist das nur bei eigenen Texten, zum Beispiel, wenn es ein Blogtext ist und ich mit den Reaktionen des Publikums umgehen kann und muss: Hören sie zu? Sind sie amüsiert, geht ihnen das nahe? Das ist spannend. Aber vorlesen, insbesondere meinen eigenen Kindern, finde ich furchtbar.
Das durfte ich jahrelang gar nicht sagen, denn bis 2011 verdiente ich mein Geld als Angestellte eines norwegischen Kinderbuchverlags, dessen ausgesprochene Botschaft war: „Schon den Babys sollte man vorlesen, das erweitert den Wortschatz und macht schlau.“ Dazu gibt es Studien, die sicher stimmen, aber die für mich das Vorlesen nicht angenehmer machen. Bilderbücher gemeinsam ansehen ist für mich in Ordnung, das geht mit einem Kind, das gerade sprechen lernt. Nach 3 Minuten finde ich allerdings auch, dass es reicht.
Aber einem Kitakind vorlesen, hier zuhause? Es ist mir zutiefst zuwider. Viel zu langsam ist die Geschichte, Bilderbücher mit wenig Text sind halbwegs erträglich, weil schnell vorbei, aber das kapitelweise Vorlesen von längeren Büchern quält mich. Außerdem ist es doch viel schöner, wenn ein Kind selbst liest. Zumindest, wenn es das ab der zweiten Klasse kann.
Die Kinderbücher, die ich im Auftrag texte, schreibe ich deswegen genau so, dass ich denke, wenn ich selbst eins davon vorlesen muss, finde ich das zumindest sprachlich schön und kann beim Vorlesen an etwas anderes denken (dass andere meine Kinderbuchtexte gerne vorlesen, ist hingegen ein schöner Gedanke. Und das Texten selbst ist immer mit Flow verbunden. Zwei Seelen, und so). Denn so ein Kinderbuch liest man ja nicht nur einmal vor, sondern mehrfach. Auch das ist etwas, was ich nicht mag. Wenn ich Literatur, egal welcher Art, konsumiere, lese ich sie auch nicht mehrfach. Die Bücher, die ich besitze, habe ich genau ein Mal gelesen. Und höchstens nochmal etwas nachgeschlagen, wenn mich Zitate oder Thesen interessierten.
Außerdem macht mich Vorlesen schrecklich müde. Es ist soooo langweilig. Meine Kinder werden davon leider nicht schläfrig, wenn mein Lesen diesen Zweck erfüllen würde, dann hätte das ja wenigstens noch einen Sinn. Aber nein, das klappt hier nicht, hat es noch nie, bei keinem der drei Kinder.
Also, diesen Vorlesetag, den macht mal bitte ohne mich. Ich drücke mich. Shitstorm bei 3, 2, …..