„Du gehst aber nicht mit in ihre Wohnung, ja!?“, rief mir meine Mutter noch besorgt hinterher, als ich ihr Haus verließ, um den Zug von Himmelreich (sic!) nach Freiburg zu besteigen.
Meine Kinder ließ ich im Elternhaus, es war ein regnerischer Tag im Frühling, einer von denen mit dem schwarzwaldtypischen hartnäckigen Bodennebel und ergiebigen Regengüssen, oder niedrig hängenden Wolken im Tal, je nach Perspektive, jedenfalls war es schauriges Wetter. Und ich machte mich auf, zum ersten Mal in meinem Leben einen fremden Menschen zu treffen, den ich über twitter kennengelernt hatte. Oder genauer gesagt: jemanden zu treffen, dessen Tweets ich las, die meine Tweets las, und mit der ich eine gemeinsame Ebene gefunden hatte. Sowas wie Freundschaft. Aber gibt es das im Internet? Und ohne, dass man sich je gesehen hat!?
Angst hatte ich nicht. Aber ich war aufgeregt. Wie würde Cloudette sein? Wir hatten verabredet, dass wir uns am Bahnhof treffen und von dort aus in ein nahegelegenes Cafè gehen würden. Als der Zug in den Bahnhof einfuhr, sah ich sie schon dort warten – wie angekündigt superpünktlich, denn eine der Gemeinsamkeiten von Cloudette und mir ist, dass wir immer pünktlich sind. Eher 5 Minuten zu früh als zu spät. Und deswegen grinste ich bei Aussteigen, da war überhaupt kein Eis, das gebrochen werden musste. Cloudette schob ihr Fahrrad durch den strömenden Regen, ich lief mit Schirm aus dem Elternhaus nebendran, und wir hörten 2 Stunden nicht auf zu reden. Das war toll. Und es war nur die erste von vielen unvergesslichen Begegnungen mit Menschen, die auf twitter schreiben, und die ich meine Freunde nenne.
Die nächste die ich traf, glaube ich, war Ghislaine von Bunsen. Das muss im Sommer 2013 gewesen sein. Es war jedenfalls Sommer, und Ghislaine, die in Echt natürlich anders heißt, schrieb, sie komme mit Gatten und Kindern nach Konstanz, ob ich Lust habe, kurz Kaffee zu trinken. Ja, hatte ich. Und so saßen wir in der Hafenhalle in Konstanz, direkt am Wasser, und redeten. Es war zwanglos, prima, aber doch in keinster Weise beliebig, und ich fühlte mich ausgesprochen wohl. Ich war angefixt.
Danach gerät in meiner Erinnerung einiges durcheinander, wohl auch, weil es für mich relativ normal wurde, Twitterer zu treffen. Ich traf viele, und ich war nie enttäuscht. ich weiß noch, wie Tina bei mir vorbeikam auf ein ausgiebiges Abendessen und einen Drink, und wie wir sofort die gemeinsame Ebene fanden, genauso ging es mir mit Mamamotzt, die mit ihren drei Kindern nach einem Besuch auf der Insel Mainau nur kurz in meiner Straße vorbeifuhr und mir Hallo sagte.
Kürzlich traf ich die Akkordeonistin Claudia Vamvas, ich trank einen Latte Macchiato mit Sina Trinkwalder, hatte in Berlin ein Stelldichein mit Doro Bär, und vergangene Woche erst trank die Violinista in Saarbrücken mit mir einen Portwein (sie hatte Whiskey), nachdem ich dort gelesen hatte. Jochen König kam zu einer Lesung von mir in Berlin, ich traf Maximilian Buddenbohm, als er in Stuttgart las, genauso Mareice Kaiser, Pia Ziefle bei der Lesung von Buddenbohm, und ach, ich würde gar nicht mehr fertig mit aufzählen, wollte ich alle erwähnen (Patricia Cammarata! Teresa Bücker! Berlinmittemom!).
Kurzer Kaffee-Stopp mit der lieben @mama_arbeitet <3 Großartige Frau!!! pic.twitter.com/dyvQnjevhQ
— Sina Trinkwalder (@manomama) September 16, 2016
Der Liste, die ich gestern erstellte, kann ich entnehmen, dass es schon 70 Leute waren, von denen ich einige aber auch in anderen Kontexten kennengelernt habe, mit denen ich via Twitter verbunden bin. Aber etliche von denen hätte ich ohne Twitter nie getroffen. Und es gibt noch so viele, die ich gerne persönlich kennenlernen möchte.
Das erstaunlichste daran ist, dachte ich gestern beim Erstellen der Liste, dass es mir schwer fällt, diejenigen, die ich bereits traf, von denen, die mir sehr am Herzen liegen, und mit denen ich intensiven Kontakt habe, aber die ich noch nicht persönlich traf (wie Carola Fuchs, Rona Duwe, Alexandra Widmer und viele andere), zu trennen.
Es fühlt sich so an, als seien wir nicht fremd. Dass ein soziales Medium das leisten kann, hätte ich noch vor einigen Jahren strikt abgestritten. Ich dachte, es geht nicht ohne persönlichen Kontakt. Dass dieses „in Fleisch und Blut an einem Ort sein“ nur das Sahnehäubchen einer Freundschaft ist, war für mich unvorstellbar. Aber jetzt, wo ich so viele von denen treffen durfte, die ich lese, weiß ich, dass Worte mindestens genauso verbinden wie Taten. Und mich macht das sehr froh. Ich liebe nämlich Worte, und ich bin eigentlich sehr schüchtern. Twitter ist für mich der beste Freundefinder von allen geworden. Danke, Twitter.
Mit lieben Grüßen an alle Menschen auf meiner Twitterliste „Getroffen und geredet“, und mit Bitte um Nachsicht an alle, die in diesem Text nicht explizit erwähnt sind. Ihr seid mir alle wichtig.