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Wie geht’s dir, Christine? Leben im Standby-Modus

Jetzt also auch noch Feiertage. Heute war der zweite Tag in Folge seit Beginn der Coronakrise, an dem ich morgens eine ganze Weile überlegen musste, welcher Wochentag heute ist.

Gestern wachte ich auf und dachte, es sei Sonntag, aber weil ich am Vorabend Let’s Dance geguckt hatte, musste offenbar Samstag sein, und heute war nicht Montag, obwohl ich davon beim Aufwachen überzeugt war. Der Himmelfahrts-Feiertag hat mir den Rest gegeben, alle Tage sind gleich, mehr oder weniger, und das seit über 2 Monaten schon.

Mein Leben plätschert ereignislos vor sich hin, ich habe so viel Zeit wie zuletzt als Studentin in den Semesterferien, aber anders als damals kein Ziel – nur überleben, ohne seelischen und körperlichen Schaden diese Coronakrise überstehen, und das gelingt ganz gut.

Das tut es aber nur, weil meine Kinder nicht mehr klein sind und die Beschulung meiner Kinder Zuhause eh unter anderen Voraussetzungen stand als im „Normalhaushalt“, denn meine 11-jährige autistische Tochter lernt nur, was sie will und interessiert, da kann ich mich auf den Kopf stellen, und mein 14-Jähriger Sohn muss sein Pensum in Eigenverantwortung schaffen – stofflich ist es einfach für ihn, er muss sich nur aufraffen. Ich hab also keinen Stress mit Homeschooling, worüber ich sehr froh bin, wenn ich so lese, wie es anderen gerade geht.

Coronakilos: Auf einmal passen mir die Klamotten in Größe 38

Es ist tatsächlich ein Leben komplett ohne Stress gerade. Da ist nichts, was mich anstrengt oder überfordert, ich tue nur noch, worauf ich Lust habe. Und da ich viele Jahre viel zu viel getan habe, möchte ich jetzt sehr viel Nichtstun. Die Erschöpfung will gut auskuriert werden, ich lese kein Buch, das ist mir zu anstrengend, ich lege mir keine neuen Hobbys zu, ich mache keinen Sport.

Na gut, ich habe Jüngstes Zimmer gemalt, und natürlich erledige ich die Dinge im Haushalt, die zu tun sind. Ansonsten aber schlafe ich jede Nacht 10 Stunden, lasse mir viel Zeit beim Teetrinken am Vormittag, lese dies, das und jenes im Internet, gehe spazieren und schaue aus dem Fenster. Ich führe ein Rentnerleben, und davon fühlen sich einige Rentner wahrscheinlich beleidigt, weil die meisten wesentlich aktiver sind als ich gerade.

Kinderzimmer
Jüngstes Zimmer

Mein Kalender ist leer

Die Stadtratssitzungen fallen aus, nur die Fraktionssitzungen finden statt, das ist mein einziger fester Termin in der Woche – jeden Montag ab 18:30 tagen wir auf Zoom. Kein Bildungsausschuss, kein Sozialausschuss, keine Reise nach England im Rahmen der Städtepartnerschaft, nur der Gemeinderat tagt noch mit körperlicher Präsenz, das aber mit etwa halbierter Besatzung. Daran habe ich vergangene Woche teilgenommen für meine Fraktion, und es war zwar schön, wieder unter Menschen zu sein, aber auch total erschlagend. Ich war platt nach den 5 Stunden, die das gedauert hat.

Inzwischen passe ich in Kleidergröße 38, weil ich mehr herumsitze, keinen Stress mehr habe, und mehr Zeit zum Essen habe, und das fühlt sich okay an, weil ich meine Kleider eh immer etwas größer gekauft habe, ich hab’s gerne weit. Nun passen mir meine Klamotten, was zwar gewöhnungsbedürftig ist, aber immerhin muss ich mich nicht komplett neu einkleiden.

Nebenwirkung: Der Körper muckt in der Coronakrise

Das langsamere Leben und das Fehlen von geöffneten Schwimmbädern finden meine Knie nicht so gut, die tun mir seit ein paar Wochen weh, aber so ist das halt, wenn man auf die Mitte 50 zugeht. Da soll mein Internist mal eine Überweisung zum Orthopäden schreiben, wenn ich demnächst den Vorsorgetermin habe, um den Verlauf der Autoimmunerkrankung zu beobachten.

Arthrose ist eine der möglichen Begleiterscheinungen meiner Erkrankung, und tja nun, es sieht so aus, als würde mich das nun begleiten. Genauso wie die anderen Dinge, die dazugehören. Ich habe auch wieder schmerzende Haarwurzeln und ein Druckgefühl im Bauch, auch das muss ich abklären lassen. Covid 19 sollte ich jedenfalls nicht bekommen, denn wie mein eh schon Harakiri laufendes Immunsystem darauf reagiert, weiß niemand bei einer so seltenen Erkrankung, wie ich sie habe.

Zum Schluss noch 3 aktuelle Podcast-Empfehlungen

Ich gucke fern, ich lese viel im Internet, ich koche. Mir fehlen die anderen Erwachsenen noch mehr als sonst, und mir fehlen die vielen kleinen nahen Begegnungen und Berührungen, die netten Gesten, menschliche Nähe halt. Das Internet ist kalt geworden, viele, an denen mir liegt, scheinen sich zurückgezogen zu haben, oder es geht ihnen wie mir, sie haben das Gefühl, sie hätten nichts zu sagen gerade.

Apropos sagen: Früher, also vor der Coronakrise, gehörte ich zu denen, die fast nie Podcasts hörten. Das hat sich jetzt geändert. Ich habe auf einmal Zeit dazu. Deswegen hier drei Empfehlungen:

  1. Sexy und bodenständig, der Entlastungs-Podcast für Autor*innen mit Till Raether und Alena Schröder, Folge 29 „Familie“ als (Stör-)Faktor für schreibende Menschen – 50 Minuten lang. Veröffentlicht am 24.05.2020
  2. Vaterzeit von Heiner Fischer, „Prinzessinnenjungs“, ein Gespräch mit Nils Pickert über Jungs, deren Sozialisation und Rollenbilder – 36 Minuten lang. Veröffentlicht am 24.05.2020
  3. Das Politikteil von der ZEIT mit Ileana Grabitz und Marc Brost, diesmal im Gespräch mit Janina Kugel „Warum habt Ihr nicht lauter geschrien, #Coronaeltern?“, in dem u.a. die Frage diskutiert wird, ob der Staat in der Pflicht ist, Rahmenbedingungen für Familien zu schaffen, unter denen sie klarkommen – oder ob das alles eher Privat- und Aushandlungssache ist. 62 Minuten lang, veröffentlicht am 22.05.2020

Und Insta Live ist in mein Leben getreten!

Ich habe auch vorher keine Insta Live Videos geschaut, was sich mit der Coronakrise geändert hat. Angefangen habe ich mit Karla Paul, bekannt als Buchkolumne, die sich mit dem Psychologen Michael Thiel unterhielt, weitergemacht mit Jasmin Schreibers Lesung von Marianengraben, und gestern hab ich mir Bob Blume, bekannt als Netzlehrer, im Gespräch über Schule und Bildung mit Dunja Hayali auf Insta angesehen. Das macht in Zeiten, in denen ansonsten halbwegs geistvoller Austausch rar gesät ist, durchaus etwas wett. Es ist ein bisschen wie Gesellschaft haben – aber eben auch nur ein bisschen.

Last not least habe ich Mitte April auch selbst einen Podcast aufgenommen, weil Lisa Ortgies mich für Family Unplugged gebeten hat, von meinem Leben mit autistischem Kind in der Coronakrise zu berichten, und an einer Diskussionsrunde mit Franziska Brantner zum Thema Alleinerziehende in der Coronakrise teilgenommen, die man noch auf youtube anschauen kann.

So, nun wisst Ihr, wie’s mir geht. Über Kommentare freue ich mich dieser Tage besonders, egal ob hier oder in den Social Media – wie ist es euch ergangen?

Was passiert mit mir, wenn du an Corona stirbst, Mama?

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Wir gingen spazieren, wie so oft in letzter Zeit. Bei diesen Spaziergängen redet meine jüngste, autistische Tochter (11) meistens recht viel, und ich höre zu.

Sie erzählt von ihren Freunden aus dem Internet, mit denen sie Spezialinteressen wie Gacha Life Videos oder Minecraftspielen teilt, und ich sage „Aha, hm, hm, das wusste ich noch gar nicht“, und ab und zu stellt sie auch sehr ernsthafte Fragen.

Ich wusste, dass sie keine geschönte Antwort haben möchte, sondern eine ehrliche und pragmatische, als meine Tochter mich heute fragte, was mit ihr passiert, falls ich an Corona erkranke und sterbe. Schließlich hat sie nur mich als Bezugsperson, und sie ist zwar Autistin, aber keinesfalls dumm – super logisch zu denken ist eine ihrer großen Stärken.

Viele Kinder von getrennten Eltern haben keinen Kontakt zum Vater

Es schwierig, auf diese Frage mutmachend zu antworten, insbesondere als alleinerziehender Elternteil. Viele Kinder von Alleinerziehenden verlieren in den Jahren nach der Trennung komplett den Kontakt zum Elternteil, der ausgezogen ist, was meist der Vater ist. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber zumindest soweit ich das überblicken kann, liegt es oft daran, dass sich die gekränkten Väter zurückziehen und das Gefühl haben, sie sollten nur noch als Zahlesel dienen und würden der Exrau Geld in den Rachen schmeißen. Sie fühlen sich entfremdet und entfremden sich dabei selbst vom Kind, und das ist tragisch für alle Beteiligten.

Und so wachsen fast 90% der Kinder von Alleinerziehenden bei Frauen auf, von ihnen hat etwa ein Fünftel keinen Kontakt zum anderen Elternteil, meist dem Vater. Das sind sehr viele Kinder, und auch sie werden sich gerade fragen, was passiert, wenn ihre Mutter an Corona stirbt, falls sie schon alt genug sind, sich mit dieser Frage zu beschäftigen.

Notfallpläne für kranke Alleinerziehende fehlen auch ohne Coronakrise

Denn es ist ja in vielen Bundesländern und Orten nicht einmal geklärt, was mit den Kindern von Alleinerziehenden passiert, wenn die Mutter/der Vater wegen Corona ins Krankenhaus muss (positives Gegenbeispiel: Bremen). Das Kind ist dann sehr wahrscheinlich auch schon infiziert, und es muss sich irgendjemand bereit erklären, dieses infizierte und ansteckende Kind zu versorgen. Wer soll das machen, wo die Großeltern als Risikogruppe ausfallen? Und wer setzt sich selbst dem Risiko aus, zu erkranken, um ein fremdes Kind zu betreuen?

Das aber ist das vergleichsweise immer noch kleinere Problem gegenüber der Frage, was passiert, wenn der alleinerziehende Elternteil stirbt. Es ist nämlich so, dass bei gemeinsamem Sorgerecht, das 90% der ehemals verheirateten Eltern in Deutschland haben, es keine Pflicht gibt, dass der nicht betreuende Elternteil sein Kind aufnimmt. Meine Tochter zumindest würde das auch gar nicht wollen. Also käme sie in eine Pflegefamilie oder in ein Kinderheim, denn ihre große Schwester (19) wäre ganz sicher überfordert damit sich um ihre kleine autistische Schwester zu kümmern, auch wenn sie in große Gewissensnöte käme, falls ich sterbe, und zumindest noch einmal darüber nachdenken würde, ob sie sich das nicht doch zutraut, was ich aber für keine gute Idee halten würde.

Die Rechtslage: Bei gemeinsamem Sorgerecht kann eine Sorgerechtsverfügung unwirksam sein

Rein rechtlich entscheidet das Familiengericht gemeinsam mit dem Jugendamt, was mit den Kindern passiert, falls ich versterbe und niemanden in einer Sorgerechtsverfügung eingesetzt habe, der/die sich um meine Kinder kümmern soll. Zu allererst würde der Vater der Kinder gefragt, ob er sie bei sich aufnimmt, was aber für ihn rein optional ist – müssen muss er wie gesagt nix. Und egal, was ich verfüge, falls der andere Elternteil bei gemeinsamem Sorgerecht es sich doch anders überlegt und die Kinder aufnehmen will, dann wird seinem Willen im Regelfall stattgegeben, selbst wenn die Kinder ihren Vater eigentlich gar nicht mehr kennen. (Bei alleinigem Sorgerecht sieht das anders aus, da kann man mit einer Sorgerechtsvollmacht tatsächlich Fakten schaffen.)

Eine autistische 11-Jährige mit Pflegegrad 3, deren Beschulbarkeit auf der Kippe steht, und die diverse Schwierigkeiten mitbringt, ist nicht gerade ganz oben auf der Liste beliebter Kinder von Pflegefamilien, und so bliebe wohl nur ein Kinderheim, also eine spezielle stationäre Jugendhilfeeinrichtung für autistische Kinder als Alternative für meine Jüngste. Der Sohn (14) würde wahrscheinlich in einer Pflegefamilie unterkommen, oder im betreuten Wohnen, je nachdem, was gerade verfügbar ist. Die Geschwister würden getrennt werden, denn aus meiner Familie kann niemand meine Kinder aufnehmen und versorgen. Das wären echt bittere Aussichten.

Der goldene Mittelweg: Die Wahrheit sagen, ohne das Kind zu verängstigen

Deswegen darf ich auf keinen Fall krank werden, das ist soweit nichts Neues, aber jetzt eben noch weniger, weil Corona so gefährlich ist. Immerhin bin ich über 50 und gehöre auch durch die Autoimmunerkrankung der Risikogruppe an, bin also doppelt gefährdet. Und so habe ich das meiner Jüngsten auch erklärt.

Sie war zufrieden damit, und auch nicht verängstigt – ich frage mich gerade aber schon, wie das all die anderen alleinerziehenden Mütter und die wenigen alleinerziehenden Väter machen. Die knallharte Logik, mit der ich das meinem autistischen Kind erkläre, würde bei einem neurotypischen Kind wahrscheinlich massive Ängste auslösen. Wie kann man das schönfärben und optimistisch darstellen, ohne zu lügen? Das geht doch eigentlich nur durch Ausweichmanöver à la „Das wird nicht passieren“ oder „Darüber denken wir nach, wenn es passiert“. Wie macht Ihr das? Ist das bei euch Thema?

Autismus und Corona: Jüngste liebt das Spazierengehen

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Heute konnten wir nur kurz rausgehen, obwohl sie eigentlich Lust gehabt hätte – aber meine autistische Jüngste hat leider eine große Blase an der Ferse.

Das kommt davon, dass sie die vergangenen drei Tage richtig viel mit mir draußen gewesen ist, natürlich im Rahmen des Erlaubten, also Spazierengehen mit Abstandhalten, aber als Autistin kommt ihr die Lage gerade sehr entgegen. 1,5 Meter Mindestabstand sind ideal, und niemandem die Hand geben auch. Dass es draußen viel leiser geworden ist als vorher und ihr nicht mehr gefühlt von allen Seiten Skateboards, joggende Menschen, Fahrräder und andere Überraschungen bedrohlich nahe kommen, macht es für meine autistische Tochter viel leichter, ihr Zimmer zu verlassen.

Es gab Zeiten, da saß sie vorwiegend in ihrem Bett, und ich habe das toleriert, weil es ihr offenbar ein Bedürfnis war, auch wenn ich von meiner Umwelt das Feedback bekam, dass das nicht wirklich optimal sei, und ich mir natürlich auch gewünscht hätte, dass sie die Welt als weniger beängstigend empfindet. Sogar das geliebte Schwimmbad wurde irgendwann schwierig, weil man auch dort angeguckt wird und es jenseits der Selbstvergessenheit im Wasser eben das Land und die Umkleiden gibt, und eigentlich ging auch das nur noch, wenn es ziemlich leer war.

Nun also müssen fast Alle ihre sozialen Aktivitäten herunterfahren und meine Tochter blüht auf. In den vergangenen Monaten schon habe ich verwundert festgestellt, dass der Körper offenbar so etwas wie ein eigenes Bewegungs-Aktivierung-Programm hat, denn sie begann, in ihrem Zimmer sehr viel im Kreis herumzulaufen, zu lauter Musik. Das ging teilweise über Stunden, und es war immer die gleich Musik, vielleicht 5 verschiedene Titel, was ihr großen Spaß zu machen schien.

Die Sache mit dem im Kreis Drehen/Laufen ist eh etwas, was viele Autisten machen, auch das Drehen auf einem Schreibtischdrehstuhl findet sie großartig, und als wir die Diagnostik machten, war eine der immer wieder auftauchenden Fragen, ob das Kind sich gerne um sich selbst drehe – ja, tut sie. Und zwar schon sehr lange, und fast überall, also auch im Supermarkt, wenn die Umgebung irgendwie stressig wird, oder einfach so Zuhause, wenn sie starke Glücksgefühle hat. Drehen nordet irgendwie ein.

Jedenfalls ist meine Jüngste (11) durch dieses ganze im Kreis Laufen zu Musik mittlerweile dermaßen fit, dass mir deutlich vor ihr die Puste ausgeht bzw. die Beine lahm werden, wenn wir zusammen spazierengehen, was überraschenderweise seit neuestem ihr Wunsch ist. Nach einer Stunde denke ich, jetzt wäre eine Bank nicht schlecht, und man könnte mal kurz ausruhen, aber mein Kind sagt, es will gerne noch weitergehen, und ob wir das morgen wieder machen können?

Corona ist fürchterlich, aber dass meine Tochter nun ausnahmsweise mal Draußensein als schön empfindet und die Zeit mit mir dort richtig genießt, macht mich sehr glücklich. Sie hat jetzt schon Sorge, wie es sein wird, wenn das alles vorbei ist, aber ich denke, vielleicht gehen wir dann einfach alleine im Wald spazieren und fahren da halt mit dem Auto hin, und am Ende ist es vielleicht doch so, dass wir auf dem Land wohnen müssen, weil ich sehe, wie gut ihr das tut, wenn ihr Raum nicht nur auf ein Zimmer beschränkt ist. (Ich lese auch in Gruppen von und rund um Autisten auf Facebook, dass wir nicht die einzigen sind, denen es gerade so geht, auch spannend….)

Und nun bestelle ich Sandalen, denn keins der 5 Paar Schuhe, die sie besitzt, wird sie in den nächsten Tagen tragen können, ohne dass es wehtun wird. Die kann sie ja auch mit Socken anziehen, falls es so kalt bleibt wie jetzt – wobei Kälte noch nie das Problem war, sie friert quasi nicht (Temperaturempfinden ist bei vielen Autisten, sagen wir mal, ungewöhnlich), und Socken trägt sie eigentlich auch nie. Sonst hätte sie ja auch nicht gleich Blasen bekommen. Die Blasen werden vergehen – das Spazierengehen bleibt, vielleicht auch nur als Corona-Erinnerung. Aber als eine Gute.

(Auf twitter findet Ihr Bilder von den Spaziergängen unter dem Hashtag #Jüngstespaziergang)

Coronaferien und die Isolation als Normalzustand

Eure Coronaferien sind mein Alltag. So lange schon, dass ich gar nicht mehr weiß, wie es sich anfühlt, ein intaktes Sozial- und Familienleben zu haben.

Alles ruhig, antworte ich der Freundin aus Berlin, die sich via WhatsApp erkundigt, wie es uns geht. Und dass sich für uns gar nichts ändert. Wir sind eh immer isoliert. Jetzt sind wir es mit anderen gemeinsam, und das zu erleben macht mich gerade Staunen, wie sehr ich mich offenbar an die Isolation gewöhnt habe und wie arg sie denjenigen zu schaffen macht, die nun ihr Leben runterfahren müssen. Für mich ist das normal.

Es ist eigentlich alles wie immer. Ich sitze alleine Zuhause, die Uhr tickt, aus einem der Kinderzimmer höre ich den Sohn (13) in sein Headset abwechselnd brüllen, reden und blödeln, weil er mit seinen Freunden zockt. Aus dem Zimmer der Jüngsten (11) höre ich mal nichts, mal den Lieblingssong der Woche in Endlosschleife, mal unterhält sie sich angeregt mit Freunden über Discord. Manchmal verlassen die Kinder ihre Zimmer, um aufs Klo zu gehen oder zu fragen, was es zu essen gibt. Die Wohnung selbst verlassen sie fast nie und Besuch bekommen wir auch keinen.

Warum wir so isoliert sind? Es ist kompliziert

Unsere Isolation rührt nicht von einer Quarantäne her und auch nicht von Corona. Im Gegenteil, Corona, die Schulschließungen und die Einschränkungen des öffentlichen Lebens sorgen dafür, dass wir uns im Alleinsein weniger alleine fühlen. Vielleicht auch etwas mehr gesehen.

Über Jahre schon leben wir zurückgezogen. Anfangs hatte das mit meiner Überlastung als Alleinerziehende mit 3 kleinen Kindern zu tun, ich war einfach zu erschöpft, um jenseits von Sozialkontakten mit den jeweils direkten Nachbarn noch Freundschaften zu pflegen und Netzwerke aufzubauen.

Danach kam die Phase der Armut, in der weder Kino, noch Kneipenbesuch, geschweige denn ein Babysitter fürs Ausgehen finanziell drin gewesen wären, und sogar das ermäßigte Ticket für Sozialpassinhaber im Bus eine überplanmäßige Ausgabe darstellte.

Als das vorbei war, trat der Asperger Autismus unübersehbar in unser Leben und stellte alles auf den Kopf – bis meine Jüngste ihre Diagnose hatte, vergingen drei Jahre, die mich nicht nur viel Kraft kosteten, sondern nach und nach dafür sorgten, dass uns niemand mehr besuchte. Zu ungewöhnlich war das Verhalten meiner Tochter, die zudem noch jedem, der hier in die Türe trat, entgegenschmetterte, dass sie ihn nicht möge und sie es hasse, wenn fremde Menschen (dazu zählen auch unsere Nachbarn in ihren Augen) in unsere Wohnung kommen.

Wir sind allein, hier kommt kaum jemand rein und es geht nur selten jemand raus. Wenn, dann bin ich das, und dass ich das tun kann, habe ich mir hart erkämpft. Ich gehe zu politischen Sitzungen und Veranstaltungen, ich reise manchmal, selten, auf Tagungen, und bin in meiner Familie der Mensch mit den meisten Sozialkontakten jenseits des Internets. Menschen, echte Menschen, fehlen mir seit Jahren.

Lagerkoller, Schulausfall und Isolation sind für mich Alltag

Schulausfall? Kenne ich zur Genüge. Jüngste war im vergangenen Jahr 10 Monate unbeschult, weil es keinen passenden Schulplatz für sie gab, und sie war immer Zuhause. Und auch der Sohn ist wegen einer chronischen Erkrankung in den vergangenen Jahren immer wieder mal wochen- bis monatelang Zuhause gewesen, teils gleichzeitig mit seiner Schwester. Der letzte Tag, an dem alle Kinder in die Schule gingen, muss lang vor dem Abi der Großen gewesen sein, im Herbst 2018.

Jetzt hocken die anderen also auch Zuhause – aber rausgehen ist nicht verboten, freut euch, wenn eure Kinder das tun. Manche machen es nämlich nicht, aufgrund von Krankheitsbildern oder Autismus, und das bleibt vielleicht für immer so, nicht nur für die sogenannten Coronaferien.

Die Uhr tickt, die Katzen leisten mir Gesellschaft, und die Kinder werden gleich fragen, was es zu essen gibt. Gemeinsames Essen fällt hier aus, weil meine autistische Tochter sich nur zu Weihnachten, Geburtstagen und Silvester mit an den Tisch setzt. Und Spazierengehen mit mir, gemeinsame Ausflüge, Museumsbesuche oder ähnliches finden nicht statt, auch Brettspiele möchte niemand mehr machen, seitdem die Große ausgezogen ist.

Durch die Coronaferien rückt meine Normalität näher an die der Welt

Derweil lese ich, dass manche sich grämen, weil ihr Fitnessstudio geschlossen ist. Und andere Sorge haben, wie sie ihre Kinder Zuhause beschäftigen sollen, während die Schule geschlossen ist. Dass sie das Gefühl haben, die Decke fällt ihnen auf den Kopf, und dass die Zeit lang wird. Manche von denen, die ich lese, haben Partner, mit denen sie sich unterhalten können – etwas, worauf ich seit 10 Jahren verzichte, weil es sich schlecht mit 3 kleinen Kindern verträgt, und auch schlecht mit 3 größeren Kindern, von denen eins schwerbehindert ist.

Willkommen in meinem Leben, auch wenn Ihr hoffentlich nur relativ kurz damit umgehen müsst. Und willkommen im Leben vieler Alleinerziehender, vieler Armutsbetroffener, vieler Eltern von behinderten Kindern. Wir freuen uns, wenn Ihr uns seht, auch wenn das hier vorbei ist und hoffentlich viele gesund geblieben sind.

Die Verpuppung zur Oma – ich werde jetzt grau

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Jetzt sieht es nicht mehr aus, als wäre es Nachlässigkeit, jetzt ist es ein Statement. 5 Zentimeter, das ist kein Ansatz, das ist Absicht. Ich färbe meine Haare nicht mehr und ich werde grau.

Schwarzgrauweiß, nicht grau. Ich bin gescheckt, und ich weiß nicht, ob ich das schön finde, wohl eher nicht, aber das bin jetzt ich. Vielleicht gewöhne ich mich besser daran. Ein bisschen bin ich auch neugierig, wie es aussehen wird, wenn’s fertig ist, wenn kein bisschen Farbe mehr übrig ist, und nur noch ich zu sehen sein werde – eine Frau im ganz offensichtlich nicht mehr gebärfähigen Alter, die beschlossen hat, sich noch besser kennenzulernen.

Ganz freiwillig war das nicht: Dass Haarefärben potentiell gesundheitsschädlich ist, war mir theoretisch bewusst. Aber erst, als bei mir eine unheilbare Autoimmunerkrankung festgestellt wurde, habe ich das Übertünchen der weißen und grauen Haare infrage gestellt. Will ich 5 Jahre kürzer leben, um jünger auszusehen? Natürlich nicht. Und wer mich mit grauen Haaren nicht attraktiv oder interessant findet, wird das mit gefärbten Haaren auch nicht tun.

Nicht Fisch, nicht Fleisch

Die Frage ist ja eher: Wie sehe ich mich? Und das war bisher eben nicht als grauhaarige Frau. Ich gewöhne mich gerade um, denn den Realitäten ins Auge zu sehen ist eigentlich nie verkehrt. Auch wenn ich wünschte es ginge schneller, diese Übergangzseit, wo man nicht Fisch und nicht Fleisch ist, nicht grau und nicht gefärbt, die ist schwierig. Fast wie damals die frühe Pubertät, als kleine Hügelchen rund um die Brustwarze wuchsen, die aber keine Brust waren, sondern eher das Zeichen eines Verpuppungssstadiums.

Und wie sehen mich die Anderen? Sehen sie mich überhaupt? Ich kann von mir sagen, dass ich jeweils höchst irritiert war, wenn Frauen Mitte 50 ihre Haare nicht mehr färbten, und ich das nie als Verbesserung der Optik empfand. Möglicherweise ist das aber auch gar nicht der Punkt. Es ist eine Art Stinkefinger, den die Frau den Erwartungen zeigt. Sie färbt nicht mehr, sie sagt „Deal with it!“, und bevor sie das tun kann, muss sie selbst sicher sein, dass sie damit umgehen kann. Das bin ich jetzt.

Rasieren, färben, trimmen – am Ende alles Mode?

Und wäre da nicht diese Erkrankung, dann würde ich wahrscheinlich immer noch weiter färben. Eigentlich kann ich froh sein, dass sie mich zwingt, aufs Wesentliche zu achten. Aber nur daran kann es nicht liegen, denn ich habe mir auch seit Wochen die Beine nicht mehr rasiert, und das hat ja nun wirklich keinen Einfluss auf die Gesundheit. Das ist relativ gewöhnungsbedürftig, jedenfalls vom Anblick her, aber da ich bis ich 18 war eh meine Beine nie rasierte, weil man das damals einfach nicht tat als Frau, im Grunde auch nur ein Stückchen „Back to the roots“. Und wenn’s wieder warm wird, dann behalte ich mir vor, auch wieder zum Rasierer zu greifen.

Too much information? Nun, dann habe ich noch mehr. Die Achselhaare rasiere ich weiterhin regelmäßig, die Intimzone nur am Rand, weil ich das Gewuchere im Badeanzug nicht mag. Aber getrimmt wird nicht mehr, warum auch? Ich mochte als junge Frau meine Intimbehaarung gerne, aber das war vor der Zeit, in der Frauen möglichst haarlos sein sollten – damals war es ein Zeichen von sexueller Attraktivität, Achsel- und auch Schamhaare zu haben, man mag es heute kaum noch glauben. Am Ende ist auch all dies einfach nur Mode. Und da ich Mode liebe, kann ich es halten, wie ich will – es muss nur zu mir passen.

Ich möchte meine Mutter grüßen

Die grauen, oder grauschwarzweißen Haare, werden zu mir passen, das sagt jedenfalls meine Mutter, und die muss es wissen. Denn als ich 17 war und sie 45, da sagte ich ihr, sie solle doch lieber mit dem Haarefärben aufhören, das graue Haar sei viel schöner bei ihr. Sie lachte meine Anregung weg, aber ein paar Jahre später trugt sie sich dann doch Grauschwarzweiß. Heute ist es meine große Tochter, die findet, Grau würde mir gut stehen. Und natürlich hat sie Recht, genauso wie ich damals. Ich kann es nur noch nicht sehen.

Nunja, ich verpuppe mich jetzt. Und dann werde ich eben eine wunderschöne Oma.

11 Jahre im Schnelldurchlauf

Heute vor 11 Jahren war ich eine verheiratete Frau, die morgens um 4 Uhr ihr drittes Kind geboren hatte und in den Armen hielt. Mit Mann, Eltern und Kindern an meiner Seite.

Heute vor 10 Jahren war ich eine frisch getrennte Frau, die kaum wusste, wo oben und wo unten ist. Aber noch in der Doppelhaushälfte, mit Au-Pair, voll berufstätig mit gutem Gehalt.

Heute vor 9 Jahren war ich alleinerziehend, seit ein paar Monaten arbeitslos, betriebsbedingt gekündigt, und durch eine Eigenbedarfskündigung der Vermieterin von Obdachlosigkeit bedroht. Das war schlimm. Aber ich hatte schon zu bloggen begonnen. Ich schrieb etwa 200 Bewerbungen.

Vor 8 Jahren wurde mir klar, dass mich als Alleinerziehende mit 3 kleinen Kindern und Promotion niemand mehr einstellt, jedenfalls nicht da, wo ich lebe. Ich machte mich selbstständig, obwohl ich das nie wollte. Aber Hartz IV wollte ich noch weniger.

Vor 7 Jahren reichte mein Exmann die Scheidung ein, und ich war erleichtert. Da ich mich getrennt hatte, und immer noch in Angst vor ihm lebte, war es besser für mich, wenn er das Gefühl hatte, hier nun den Prozess zu steuern.

Vor 6 Jahren im Januar war ich endlich geschieden. Und der Exmann, der die Kinder damals noch manchmal für den Umgang abholte, ließ zwischen Tür und Angel fallen, dass er ab kommender Woche in XY, 1000 km weg wohnen würde. Die Scherben dieser unsensiblen Entscheidung kehre ich immer noch auf.

Vor 5 Jahren war ich auf einmal Stadträtin im Januar. Das bin ich immer noch. Ich hatte viel zu tun damit, das Haus irgendwie verlassen zu können für die Sitzungen. Es war nicht einfach. Nebenbei begann ich, mein erstes Buch zu schreiben, weil ein Verlag mich kontaktiert hatte.

Vor 4 Jahren hatte ich das Gefühl, an Liebeskummer zu sterben. Vielleicht bin ich das auch ein Stück weit.

Vor 3 Jahren war ich schon voll im Diagnostik-Marathon. Kinderpsychiatrien, Tagesklinik, Therapeutentermine, Runde Tische, Familienhelfer, Elterngespräche (ich alleine, immer) Jugendamtskontakte, ein Clearing-Verfahren. Nicht immer erfreulich. Kräftezehrend. Beängstigend, weil mit bedrohlichen Szenarien verbunden. Auch für die Kinder.

Vor 2 Jahren begann ich mein zweites Buch, der Rest verschwimmt im Nebel.

Vor 1 Jahr erhielt ich die Diagnose Asperger Autismus für meine Jüngste, die heute 11 Jahre alt wurde. Endlich.

Heute ist meine jüngste Tochter 11. Und ich weiß nicht, wie ich das alles überstanden habe, außer, dass ich es musste. Und dass ich mir all das niemals hätte träumen lassen am Tag ihrer Geburt.

Glaubt nie, dass euch „das“ nicht auch passieren kann. Das hab ich bei der Preisverleihung des Edition F Awards gesagt, im Mai 2019. Seid solidarisch, seid hilfbereit. Es kann sehr schnell gehen, dass dein Leben ganz anders ist. Be kind, always.

2019 kann weg! (Jahresrückblick 2019)

Was für ein durchwachsenes Jahr – 2019 war so beschissen, dass ich entgegen meiner Gewohnheit, an dieser Stelle eine Jahresvorschau zu schreiben, lieber eine Rückschau halte. Denn ich bin zwar fertig mit 2019, will aber nicht nach vorne gehen, ohne mit 2019 abgerechnet zu haben.

Ich bin zuversichtlich in dieses Jahr gestartet, schließlich kam doch im April mein Buch bei der Stiftung Warentest heraus, und es zeichnete sich auch ab, dass ich bald die schriftliche Autismus-Diagnose für meine Jüngste in Händen halten würde. Beides ist auch eingetreten, und hatte einen gewissen positiven Effekt auf mein Leben, aber gleichzeitig hielt 2019 eine Menge an kraftraubenden und schwierigen Dingen für mich bereit.

Meine Mutter erkankte schwer an Krebs, musste im März operiert werden, dann Chemo, Bestrahlung, Immuntherapie. Es sah lange Zeit nicht gut aus für sie, weil die Krebsart, die sie erwischt hatte, eigentlich immer tödlich endet, und zwar sehr schnell. Zu unser aller Überraschung hat sie den Krebs aber überwunden – Entwarnung kann aber trotzdem nicht gegeben werden, denn sie ist sehr schwach und angegriffen von der Erkankung und der Therapie. Kein Wunder, immerhin ist meine Mutter schon 81.

Kaum war der Krebs überstanden, ereilte meinen Vater Anfang Dezember ein Herzinfarkt, von dem er sich gerade erholt. Und auch ich bekomme jetzt die Quittung für die Folgen des jahrelangen Stresses durch meine Lebenssituation: Der Gastroenterologe diagnostizierte bei mir im November eine unheilbare Autoimmunerkankung, die wir hoffen, mit Tabletten in Schach halten und verlangsamen zu können. Im August hatte mich schon ein Hörsturz ereilt, der mir einen gut zwei Monate andauernden, sehr nervigen pulssynchronen Tinnitus bescherte.

Das Thema Kinder und Schule hat mich dieses Jahr weiterhin schwer auf Trab gehalten und ganz sicher auch für einen Schub der Autoimmunerkrankung gesorgt: Meine jüngste, autistische Tochter war 10 Monate unbeschult, es gab etliche Runde Tische mit Fachstellen, dem Jugendamt, Therapeuten, Lehrkräften, Schulen, Institutionen, Schulbegleitung, und Autismusbeauftragten sowie viele Besuche des Familienhelfers. Am Ende sind alle immer noch ziemlich ratlos, der Stress wird also nicht einfach weggehen, was mich für meine Gesundheit nicht wirklich optimistisch stimmt.

Ich habe die Kinder zu 8 Arztterminen begleitet (Impfen, Vorsorge, Zahnarzt, Augenarzt…), war selbst 5 Mal beim Orthopäden wegen diverser stressbedingter Beschwerden (Kreuzbein im Rücken verrenkt, Labrumriss in der Schulter, Rücken verrenkt), war 2 Mal im MRT, 12 Mal bei der Physiotherapie, mit Jüngster beim therapeutischen Reiten, mit ihr 12 Mal bei ihrem Therapeuten, habe selbst 3 Mal den Zahnarzt aufgesucht, es immerhin zur jährlichen Vorsorge bei der Frauenärztin geschafft, und auch die Schilddrüse vorsorglich untersuchen lassen. Vergnügungssteuerpflichtig ist das alles aber trotzdem nicht.

Neben all diesen Dingen war ich auf etwa 40 Fraktionssitzungen, vielen Gemeinderats- und anderen Sitzungen für die Politik, und – jetzt kommt endlich mal was Positives – bin bei den Kommunalwahlen im Mai als Stadträtin wiedergewählt worden. Diese zweite Amtsperiode fühlt sich jetzt schon so viel besser an als die erste, und ich habe inzwischen tatsächlich den Eindruck, dass ich weiß, was ich da tue.

Eigenes Zimmer
Im Umzugswagen, den ich für die Große fuhr. Bild aus dem August 2019

Privat war irgendwie tote Hose, zwar war ich ein paar Mal verreist (mehrfach Berlin, Dortmund, Hanau, und in den Sommerferien 10 Tage mit den Kindern an der Ostsee), aber das einzig nennenswerte Ereignis ist der Auszug der Großen, die zum Studieren nach Freiburg gegangen ist und sich dort sehr wohlfühlt in ihrer ersten eigenen Wohnung. Ich habe dadurch endlich wieder ein eigenes Zimmer bekommen, das ich im Oktober bezogen habe.

Einigermaßen positiv war auch, dass ich durch die vorliegende Autismusdiagnose nun seit Januar einen Pflegegrad für meine jüngste Tochter habe, was mit Pflegegeld und einer Haushaltshilfe einhergeht, die 2 Mal im Monat für 2 Stunden zu uns kommt – das ist eine ganz enorme Erleichterung, die ich auch vorher hätte schon gut brauchen können. Außerdem habe ich nun Anspruch auf Verhinderungspflege, was mir hilft, auf Tagungen zu gehen, wenn ich das möchte – das ist eine Art von der Krankenkasse bezahler Kindersitter in unserem Fall, und darf jemand aus der erweiterten Familie oder dem Freundeskreis sein, den die Jüngste gut kennt.

Was war noch? Ich habe beschlossen, dass ich mir die Haare nicht mehr färben werde, weil das potentiell verschlimmernd für meine Autoimmunerkrankung ist, und bin nur so mittel glücklich darüber. Ich will nicht gerne jetzt schon grau sein. Aber wenn es der Gesundheit dient, tja dann….

Außerdem hatte ich noch ein paar nervige Schriftwechsel mit dem Exmann, weil ich dank des gemeinsamen Sorgerechts für alles Mögliche Unterschriften brauche, wenn es nicht die Alltagssorge für Kinder betrifft (Schule z.B.), und damit einhergehend auch einen Termin vor dem Familiengericht, zu dem er nicht erschien, und der zu meinen Gunsten entschieden wurde. All das ist auch nicht wirklich schön, und 10 Jahre nach der Trennung einfach nur anstrengend.

Unterhalt für die Kinder erhalte ich seit Januar auch nicht mehr, also beziehen wir Unterhaltsvorschuss, was wegen des voll abgezogenen Kindergelds deutlich unter dem Mindestunterhalt liegt, und ja, es hat mich sehr geärgert, dass mein Exmann damit durchkommt, seine Firma, die ich mit ihm gegründet habe, und in der ich lange unentgeltlich mitgearbeitet habe, einfach seiner neuen Frau überschreiben kann. Er selbst arbeitet jetzt mit einem Arbeitsvertrag, der im deutlich unter 1000 € netto einbringt, in eben dieser Firma, und auch das großzügige Haus, das er gekauft hat, gehört nun seiner Frau. Die wiederum als Verkäuferin in Vollzeit angestellt ist und überhaupt, aber lassen wir das, das ist nicht gut für meine Gesundheit.

2020 wird für mich ein herausforderndes Jahr werden, denn ich sehe noch nicht wirklich, wie ich es schaffen soll, gut für meine Kinder zu sorgen und gleichzeitig meine Autoimmunerkrankung in Schach zu halten. Am liebsten würde ich mal eine Reha machen, aber auch das ist schwierig mit einem autistischen Kind und einem bald 14-Jährigen, der weder alleine Zuhause bleiben kann noch sinnvoll mit zur Reha reisen. Und wahrscheinlich muss die Reha für mich erst noch erfunden werden.

Für 2020 stelle ich mir einfach nix vor. Es kommt sowieso anders als gedacht. Schmerzfrei wäre schön, wenn meine Eltern noch leben wäre schön, und der Rest wird sich finden. 2019, Du kannst jetzt weg.

Edition F Award
Edition F Award 2019, Foto: Nora Tabel

P.S.: Noch 3 Dinge, die wirklich, wirklich schön waren in 2019 – ich hab den Edition F Award gewonnen, und war für eine große Party in Berlin. Und ich redete im Bundestag, bei der Fraktion die Linke, zum Thema Alleinerziehende. Außerdem war ich Trauzeugin bei der höchst romantischen Hochzeit einer sehr guten Freundin. Es war nicht alles schlecht.

Und nicht unerwähnt bleiben soll auch, dass ich im März den Mann, den ich nicht haben kann, für 2 Stunden traf, und es tat nicht mehr weh. Bleibt aber trotzdem scheiße, wie das gelaufen ist und dass es nicht ging. Daran gibt es einfach nix zu beschönigen. Ich habe gelernt, damit zu leben, wie ich auch lernen werde, mit der Autoimmunerkrankung zu leben. Hilft ja nix.

Driving home for Christmas: Erwachsene Kinder sind toll!

Erwachsene Kinder zu haben ist etwas ganz Wundervolles. Besonders an Feiertagen, wenn sie zu Besuch kommen. Haltet durch!

Das große Kind ist wieder abgefahren, zu sich nach Hause. Sie ist 19 Jahre alt und wohnt seit August in Freiburg, besucht uns ab und zu, und auch ich treffe sie manchmal, wenn ich nach Freiburg fahre, um meine Eltern zu besuchen. Es ist also nicht so, als würden wir uns selten sehen. Aber es ist etwas ganz besonderes, wenn dein ältestes Kind nicht mehr Zuhause wohnt und dich an Weihnachten besucht. Es ist wunderschön.

Sie werden so schnell groß? Fand ich überhaupt nicht

Überhaupt sind große Kinder was Schönes. Ich mochte und mag ja auch Babys, und Schwangersein habe ich größtenteils genossen, trotz all der Entbehrungen und Nebenwirkungen (fürchterliche Übelkeit jeweils die kompletten ersten 3 Schwangerschaftsmonate hindurch, zum Beispiel. Oder wochenlanges Liegen, oder der ewige Harndrang, und die dicken Beine. Anyway, war toll). Die Kleinkindzeit fand ich eher mühsam, und Schulkinder zu haben, ist auch in mancherlei Hinsicht nicht so prickelnd. Irgendwann sind sie dann doch groß, und entgegen herkömmlicher Ansicht geht das überhaupt nicht schnell, jedenfalls nicht aus meiner Warte.

Nein, es zog sich. Möglicherweise liegt das auch daran, dass ich seit 10 Jahren alles alleine mache, und dass ich mich trennte, als die Jüngste erst 11 Monate alt war und der Sohn 2 Jahre alt, und dass ich mir oft Hilfe gewünscht hätte oder zumindest mehr Freiheit. Oder weniger Armut. Oder weniger Stress insgesamt durch eine herausfordernde Lebenssituation. (Die Große war „schon“ 9 bei der Trennung.)

Foto: Große, beim Ankommen in Konstanz am 23.12.2019

Es war also wirklich nicht leicht. Und umso mehr genieße ich es jetzt, eine erwachsene Tochter zu haben, die ein eigenes Leben hat, und auf die ich mich freue, wenn sie zu Besuch kommt. Und nicht nur ich, auch ihre Geschwister freuen sich auf die große Schwester. Sie hibbeln schon Tage vorher, vor allem der Sohn, sie reden davon, wie es sein wird, wenn die Große hier ist, und sie fallen ihr freudig in die Arme, sobald sie unsere Wohnung betritt. Irgendwie ist das ganze history repeating, nur dass ich jetzt eben die Mutter bin, zu der das Kind nach Hause kommt.

Wie die Mutter, so die Tochter – erstmal in den Kühlschrank gucken

Früher, wenn ich meine Eltern besuchte, packte ich direkt nach der Ankunft meine Tasche in mein ehemaliges Kinderzimmer und schaute als allererstes in den Kühlschrank, und genauso hat’s meine Große gemacht. Sie war ziemlich viel verabredet, was ich völlig in Ordnung finde, weil ich das einst genauso gemacht habe, und ging einen Abend aus bis morgens früh, bloß hab ich nicht schlaflos auf sie gewartet wie meine Mutter früher, sondern tief geschlafen, bis sie in mein Zimmer kam und „Mama, ich bin wieder da!“ flüsterte, wie sie es immer gemacht hatte, als sie noch bei uns wohnte.

Da das Zimmer der Großen aufgrund unserer Wohnsituation sofort nach ihrem Auszug konfisziert und von einem der Geschwister in Beschlag genommen wurde, hat sie nun kein Zimmer mehr hier, was auch anders ist als bei mir früher. Im Reihenhaus meiner Eltern stand mein Zimmer ziemlich lange noch so da, wie ich es verlassen hatte, um ins Studentenwohnheim zu ziehen. Und ein paarmal machte meine große Tochter auch Anstalten, in ihr ehemaliges Zimmer zu gehen, wo aber nun ihr kleiner Bruder residiert – bis ihr einfiel, dass ihr Platz nun auf unserem roten Sofa im Wohnzimmer ist.

Früher war nicht alles besser

Dort schlief sie 2 Nächte, und schaute immer wieder mit ihrer Webcam nach ihrer Katze (treue Twitter-Follower kennen sie als Grumpycat), was auch etwas ist, das es früher nicht gab, ich aber sehr begrüßt und gerne genutzt hätte, wenn ich von Berlin aus meine Eltern in Freiburg besuchte und meine Katze für ein paar Tage alleine ließ.

Wir spielten Scrabble, wir aßen Raclette, wir gingen spazieren, tauschten Geschenke aus, und es war sehr schön. Ich dachte an die Zeiten, als ich noch so tun musste, als gebe es den Weihnachtsmann, und mit drei kleinen Kindern versuchte, das Weihnachtsfest so zu gestalten, wie sie es sich vorstellten – das war anstrengend und schwierig damals, und abgesehen davon auch logistisch richtig anspruchsvoll, denn vom Einkauf des Weihnachtsessens bis hin zum Geschenkeeinpacken musste ja alles von mir alleine erledigt werden. Und dann standen die Kinder am 24.12. auch noch besonders früh auf und fragten die ganze Zeit, wann denn endlich Abend sei.

All das ist zum Glück Geschichte. (Mir fehlt nichts, vielleicht bin ich einfach kein Typ für kleine Kinder!? Zumindest bin ich definitiv kein Typ dafür, die Kindererziehung und Betreuung komplett alleine zu stemmen. Aber wer ist das schon…)

Elternhaus und Zuhause sind nun zwei verschiedene Orte

Wenn das Elternhaus nicht mehr das Zuhause ist, sondern sich in den Ort, an dem man groß geworden ist, verwandelt hat, dann will man irgendwann auch wieder nach Hause, in sein eigenes Leben. Und weil das so ist, ist es gar nicht schlimm, Abschied zu nehmen. Die Große stieg mit ihren Geschenken in den Flixbus und es war nichts Trauriges daran. Ich weiß, es geht ihr gut, dort wo sie ist. Und sie wird wiederkommen. Sie wird später wohlmöglich einen Partner mitbringen, vielleicht auch eigene Kinder, und noch später in ihren eigenen vier Wänden Weihnachten feiern. Irgenwann wird es mit ihrem Bruder genauso sein, und noch etwas später vielleicht auch mit der jüngsten Schwester.

Weihnachten mit großen Kindern, die einen besuchen, ist ganz und gar zauberhaft. Da könnt Ihr euch drauf freuen! Und habt kein schlechtes Gewissen, wenn Ihr das als Eltern von kleinen Kindern eher anstrengend findet. Ich sehe das mittlerweile so: gerade als Alleinerziehende ist es absolut legitim, weniger das Schöne an solchen hohen Feiertagen zu sehen als die Verantwortung für das Gelingen dieser. Denn so ist es nunmal einfach, realistisch betrachtet. Es kommt der Tag, an dem die Verantwortung nicht mehr so schwer wiegt. Und an dem tatsächlich wieder Luft bleibt, die Zeit mit der Familie zu genießen. Ab jetzt ist es freiwillig. Die Kür beginnt.

H wie hilflos – von Erziehung, Autismus und Grenzen

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Heute ist ein guter Tag, weil heute etwas ging, das lange nicht vorstellbar war. Gestern war auch schon ein guter Tag. Wie morgen wird, weiß niemand. Gedanken aus meiner Sicht als Mutter eines autistischen Kinds.

Meine jüngste Tochter (10) ist Asperger Autistin und seit Februar unbeschult – aber hoffentlich nicht mehr lange. An ihr stoßen sämtliche Hilfesysteme vor Ort an ihre Grenzen, und unser Schulsystem in meiner mittelgroßen Stadt auch. Ich bin aber mittlerweile trotz vieler Zweifel, die ich auf dem Weg hatte, ziemlich sicher, dass ich das ganz gut mache mit ihr. Weil sie ihren Radius erweitert, sich reflektiert, empathisch und meist liebenswürdig ist. (Und weil mich ihr Therapeut bestärkt. Und die Fachleute der Uniklinik, die die finale Diagnose stellten.) Ich vertraue darauf, dass sie ihre Flügel genau dann ausbreiten wird, wenn sie sich soweit fühlt. So war es immer mit ihr. Sie weiß, was sie will und was sie kann.

„Mama, ich geh‘ mit Sophia* auf den Weihnachtsmarkt!“

Vorhin zum Beispiel ist meine 10-jährige Tochter mit ihrer gleichaltigen Freundin hier aus der Straße alleine zum Weihnachtsmarkt losgegangen. Und gestern waren die beiden mit zwei weiteren Jungs im selben Alter im Kino. Sie sind zu Fuß dort hin gelaufen, was für meine eher bewegungsunfreudige Tochter eine große Sache ist, weil ihre Motorik etwas speziell ist, und haben danach noch Zeit auf dem Spielplatz verbracht.

Insgesamt waren das 5 Stunden, die meine Tochter mit gleichaltrigen Kindern verbrachte, in denen sie richtig Spaß hatte. Abends war sie müde, wie ein „normales“ Kind, und vor allem aber war sie glücklich. Weil Teilhabe funktioniert hat, auch wenn sie dieses Wort nicht kennt.

Warum das gestern so gut geklappt hat? Weil es freiwillig war, weil eine Freundin sie abgeholt hat und sie sich sicher fühlte, und weil sie nicht nur ihr Handy dabei hatte, sondern auch wusste, dass ich sie abhole, wenn ihr alles zuviel wird.

Der autistische Overload lauert überall: Je mehr Menschen da sind, umso eher

Dass alles zuviel wird, kann schnell gehen, es hat auch viel mit der Tagesform zu tun: Geräusche, Gerüche, Gedrängel, komische Blicke, kleine Hunde, die einen anbellen oder blinkende Lichter können Überlastungszustände auslösen, die bei ihr dann zu Hilflosigkeit fühlen.

Das ist auch eins der Merkzeichen, die im Behindertenausweis stehen: H für hilflos. Das klingt drastisch, beschreibt aber ihren Zustand sehr gut, wenn bei ihr durch Reizüberflutung eine Art Kurzschluss entsteht, bei dem sie entweder laut schreit und um sich haut (selten in der Öffentlichkeit), heftig weint und sich verkriecht (am ehesten in der Schule oder im Gewimmel, wenn ich dabei bin), oder aber wegläuft (das heißt Weglauftendenz und ist gerade bei orientierungslosen Autisten ziemlich gefährlich). Weglaufen kommt bei meiner Tochter zum Glück sehr selten vor, das gab’s erst 2 Mal im schulischen Kontext, und orientierungslos ist sie nicht, wohl aber panisch, wenn sie sich bedroht fühlt.

Als Mutter zwischen ständiger Rufbereitschaft und Trigger durch Kommentare der Umwelt

Deswegen ist Sicherheit das A und O. Nicht Grenzen. Für mich als Mutter ist ganz klar, dass mein Kind sich nur aus dem sicheren Nest traut, ins für sie teils unverständliche und sie wegen unlogischer Regeln oft verletzende soziale Leben, wenn sie weiß, dass ich für sie da bin. Jederzeit und bedingungslos. Die Krux ist, sich dabei selbst als Mutter nicht komplett aus den Augen zu verlieren, denn das bedeutet ständige Rufbereitschaft, und natürlich habe auch ich meine Prinzipien, die aber nicht mit Grenzen zu verwechseln sind. Von Grenzen reden eh meist nur Pädagogen.

Da habe ich mittlerweile einen kleinen Triggerpunkt: Es treibt mich nämlich zur Weißglut, wenn ich mir von (überfordertem) Fachpersonal die Frage „Haben Sie es schommal mit Grenzen setzen versucht?“ anhören muss, und ich muss dann ganz doll durchatmen, um nicht laut zu werden. Alternativ sagen die Pädagogen an dieser Stelle übrigens: „Sie müssen auch mal loslassen“, wollen aber über die Konsequenzen, die das mit sich brächte, nicht wirklich nachdenken.

Auch vereinzelte Nachbarn meinten früher, vor der Diagnose, mich darauf hinweisen zu müssen, dass sie ihrem Kind niemals das Verhalten durchgehen lassen würden, das meine autistische Jüngste zeigte – zum Beispiel auf Kindergeburtstagen quasi den Partycrasher geben, aber unfreiwillig, weil für sie die Regeln der vorgegebenen Kinderspiele keinen Sinn machten. Mittlerweile haben wir eh nur noch Kontakt mit denen, die meine Tochter und ihre Diagnose akzeptieren, das macht die Dinge einfacher.

Die Welt ist ein Ort voller Regeln, die meine autistische Tochter nicht versteht

Natürlich habe ich es mit Grenzen setzen versucht, und zwar bis ich verstanden habe, dass die Grenzen, die man gemeinhin setzt, für mein Kind keinen Sinn machen, weil alle Grenzen in ihr selbst stecken, und meine Aufgabe ist, ihr zu Weite zu verhelfen. Denn durch den Autismus ist für sie die Welt sowieso voller Regeln, einiger ausgesprochener und vieler unausgesprochener, manche davon macht sie selbst, damit die Welt Sinn ergibt, und anderen steht sie verständnislos gegenüber. „Das hat mir niemand mitgeteilt!“, sagt sie dann empört, weil sie denkt, irgendwer hätte sie informieren müssen, dass die Dinge sich anders verhalten als sie das dachte. Wobei das Problem ja ist, dass niemand, auch nicht ich, wissen kann, was genau sie sich gedacht hatte, wenn sie darüber nicht spricht, und so kollidieren mehrfach am Tag unausgesprochene Erwartungshaltungen mit der Realität, was alleine schon eine Menge Energie frisst und bei meinem Kind für Frust sorgt.

Niemand kann alles vorausdenken, und die Welt ist zu einem gewissen Grad unberechenbar. Damit zurechtzukommen, ist für meine autistische Tochter eine große Herausforderung. Der kann sie nicht mit noch mehr Regeln begegnen, da bin ich für mein Kind sicher – ob das auch für andere Autisten/autistische Kinder gilt, vermag ich nicht zu berurteilen. Sie aber braucht nicht mehr, sondern weniger Grenzen.

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Und dann kam die WhatsApp Sprachnachricht: „Mama, kannst du uns abholen? Wir stehen bei McDonalds, Sophia* muss in 10 Minuten Zuhause sein!“ Sophia ist die mit den sehr strengen Eltern, also machte ich mich auf den Weg. Noch im Gehen klingelte es, und meine alte Freundin Corinna* stand vor der Tür, sie wollte Bücher ausleihen über das Thema Autismus. Die drückte ich ihr in die Hand und nahm Corinna mit, weil sie kein Auto hat, und die Busverbindung zwischen ihrem und meinem Zuhause schlecht ist, besonders am Sonntag.

Also kam ich mit Beifahrerin an, als ich die autistische Jüngste und ihre Freundin abholte. Die Reaktion beim Einsteigen ins Auto war ausgesprochen schroff: „Mama, was macht diese Person da? Hasst du mich?! Sei froh, dass ich mich zusammenreiße!“, und zwar in einem Tonfall, als hätte ich ihr etwas wirklich schlimmes angetan. Gewöhnungsbedürftig, wenn man das nicht kennt. Ein Glück, dass keine langen Erklärungen nötig waren, denn Corinna hat auch ein autistisches Kind.

Unvorhergesehenes ist halt immer eine Herausforderung. Aber für mich ist ganz klar, dass ich mir vorbehalte, Freunde auch ohne Ankündigung im Auto mitzunehmen. So doof das für meine Tochter ist. („Diese Person“ kennt Jüngste übrigens, seitdem sie auf der Welt ist.) Dann meckert sie halt. Und wir haben uns trotzdem lieb.

Endlich wieder ein eigenes Zimmer

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Ich hab’s gern getan, für meine Kinder. Aber gut für mich war es sicher nicht, mein eigenes Zimmer herzugeben, wie ich jetzt merke.

Wir haben umgeräumt, wieder einmal. Als wir vor 8 Jahren hier einzogen, in den sozialen Wohnungsbau, schienen die 89 m² und vier Zimmer völlig ausreichend, obwohl ich von 200 m² und einer Doppelhaushälfte mit Garten kam, in der 6 Zimmer und ein geräumiger Keller sogar noch Platz für ein Au-Pair gelassen hatten. Vor 8 Jahren waren meine Kinder noch klein, nämlich 2, 5 und 11 Jahre alt, und es war für alle in Ordnung, dass sich die beiden jüngeren Geschwister ein Zimmer teilten.

Irgendwann ging das nicht mehr, sodass ich vor 2 Jahren mein Schlafzimmer hergab und es dem Sohn, damals 11 Jahre alt, überließ. Es war allerhöchste Zeit gewesen, die Geschwister lagen sich ständig, und nicht nur verbal, in den Haaren. Dass die Jüngste deutlich autistische Verhaltensweisen zeigte, die oft mit Lärm (Schreien, Türenknallen) oder Stimming (sonderbares Auto-Stimulationsverhalten, das den Sohn besuchende Klassenkameraden verstörte) einher gingen, verschärfte die Situtuation zusätzlich. Es war so nicht mehr auszuhalten, und deswegen machten wir im Dezember 2017 einen Umzug innerhalb der Wohnung.

Mit dem Auszug der ältesten Tochter wurde ein Zimmer frei

Nun ist vor 3 Monaten die Große (mittlerweile 19) ausgezogen, um zu studieren. Und hier ist also wieder etwas mehr Platz, und es war klar, dass ich endlich wieder ein eigenes Zimmer haben werde. Nur wusste ich nicht, wie ich denn nun die Zimmerverteilung regeln will. Vor lauter „immer an die Kinder Denken“ hatte ich wirklich Schwierigkeiten, mir zu überlegen, in welchem der Zimmer ICH denn schlafen möchte, und das ICH ist groß geschrieben, weil ich mir das zur Aufgabe gemacht hatte, im Rahmen von öfter mal an mich denken, und Selbstfürsoge. Das ist ja ein großes Thema bei mir gerade, auf das mich auch die neu diagnostizierte Autoimmunerkrankung ziemlich unsanft aufmerksam macht.

Die Erkrankung sagt: Hör auf, dich über Dinge zu ärgern, die du nicht ändern kannst, und mach dir nicht so einen Kopf. Lebe, sei egoistischer, mach mehr von dem, was dir Spaß macht, und weniger von dem, was du musst. Und nimm dir Dinge heraus, die du bis vor kurzem noch nicht getan hättest. Sei mutig, sei faul, sei rotzfrech und ungehalten, wenn dir danach ist. Und sei weiterhin warmherzig und weich, mitfühlend und romantisch, das darfst du sein, je kürzer die Zeit, die du noch hast, umso mehr!

Es ist nicht egal, ob du ein eigenes Zimmer hast als Mutter

Es war anstrengend, kein eigenes Zimmer zu haben. Wie sehr, das merke ich erst jetzt, wo ich wieder die Tür hinter mir zumachen kann. Während ich das Zimmer mit der Jüngsten teilte, dachte ich, es mache mir nicht viel aus, weil ich da ja nur schlafe. Aber natürlich war es ungemütlich, mir fehlte der Rückzugsraum.

Ich konnte nicht an meiner Kleiderstange kommen, ohne übers Bett zu klettern, links von meinem Kopfkissen stapelte sich das Playmobil in Boxen, und es schläft sich einfach nicht so gut, wenn man noch die Geräusche eines zweiten Menschen hört, der sich im Schlaf herumwältzt oder seufzt. Meine Nachtruhe hatte das Flair eines Schlafwagens, nur ohne das beruhigende Rattern der Wagons auf den Schienen, und ohne andere Aussichten am Morgen aus dem Fenster.

 

Das ist nun vorbei. Wir haben ein weiteres Mal umgeräumt, ich bin wieder in meinem alten Zimmer, das ich gewählt habe, weil es zum Hof geht, und ich viel besser schlafe, wenn ich morgens nicht von Autos geweckt werde und nachts keine lauten Gespräche durch heimkehrende Partygänger auf dem Gehweg direkt neben der Wohnung im Erdgeschoss stattfinden.

Was für eine Erleichterung das war, und wie sehr ich mich seitdem jeden Morgen und jeden Abend freue, wieder ein eigenes Zimmer zu haben! Es ist klein, nur 9 m, aber es ist alles drin, was ich brauche. Vor allem aber hat es eine Tür. Eine Türe, die ich schließen kann. Ich schlafe viel besser, als ich das die vergangenen beiden Jahre getan habe, und meine Lebensqualität hat sich enorm gesteigert.

Und noch ein politischer Exkurs: denn ich bin eine von Vielen

Und ich denke an die vielen Alleinerziehenden, die mir mal auf FB unter einem Text geantwortet haben, als ich herumfragte, wer denn außer mir auch noch kein eigenes Zimmer hat. Es waren viele. Sie schlafen im Wohnzimmer auf der Couch, sie schlafen im Durchgangszimmer, sie schlafen mit dem Kind in einem Kinderzimmer. Zahlen dazu gibt es meines Wissens keine, das will wahrscheinlich auch keiner wissen, sonst gäbe es ja eventuell Handlungsbedarf.

Aber dass getrennte Väter* (Generikum wegen der tatsächlichen Geschlechtsverhältnisse. Frauen sind mitgemeint, wie sonst auch immer), die für das Kind bei sich ein eigenes Zimmer bereithalten, finanziell entlastet werden müssen, darüber spricht die Politik. Es ist wie beim Selbstbehalt: Für getrennte Väter liegt der bei 1080 € im Monat, die dürfen sie behalten. Für Alleinerziehende gibt es keinen Selbstbehalt. Wie arm sie sind, oder wie wenig Zimmer sie zur Verfügung haben, und was das mit ihrer Gesundheit macht, und mit den Kindern, das will sich die Politik lieber nicht anschauen. Lieber ein paar Änderungen vorantreiben, die nach moderner Familienpolitik klingen, tatsächlich aber die Stellung von Müttern schwächen. Bitter ist das. Aber ich wollte mich ja nicht mehr ärgern. Wobei – das gehört ja schon zu den Dingen, die man ändern kann. Wenn man denn will.