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Heilsame Aussprache: Das Ende der Diagnostikodyssee

2 ½ Jahre, nachdem ich Hilfe gesucht habe, ist gestern etwas versöhnlich zu Ende gegangen. Etwas, das gar nicht gut gelaufen ist, das sagte sogar die neue Klinikleitung, mit der ich gestern sprach.

Ich hatte nach dem ersten Schuljahr meine Kinderärztin um Rat gefragt, weil meine jüngste Tochter Zuhause am Nachmittag Wutanfälle hinlegte, die mit kindlichem Trotz nichts zu tun hatten. Sie waren beängstigend, auch für meine Tochter, die bis zu 45 Minuten wütete und sich hinterher an nichts erinnern konnte.

Daraufhin wurden wir an eine Kinderklinik verwiesen, die das Kind zur Diagnostik in die Tagesklinik aufnahm, und dort wurde alles noch viel schlimmer, weil die Anpassungsleistung noch größer war, und meine Tochter, von der ich mittlerweile weiß, dass sie Asperger Autistin ist, fast täglich Overloads und Meltdowns hatte. Das wiederum hatte fatale Auswirkungen auf unser gesamtes Familiensystem. Wäre damals, vor über 2 Jahren, bereits die korrekte Diagnose gestellt worden, dann ginge es uns allen heute viel besser – aber die Meinung der Bezugstherapeutin, die nach 10 Wochen zu mir sagte: „Ich lege mich jetzt fest. Es ist Autismus“, wurde von der damaligen Klinikleitung überstimmt, und wir erhielten am Ende eine andere, komplett falsche und eine zweite, nur in Teilen zutreffende Diagnose.

Eine Fehldiagnose und ihre Folgen

Das war fatal. Denn in sämtlichen Berichten, mit denen das Jugendamt arbeitete, um die von mir erbetene Hilfe anzuleiern, stand etwas falsches. Und die Schule ging von falschen Voraussetzungen aus – das Kind müsse sich doch zusammenreißen, ob nicht vielleicht doch Erziehungsfehler vorliegen….? Mit einer korrekten Diagnose hätte ich schon vor 2 Jahren eine Schulbegleitung für mein Kind organisieren können, und wir stünden heute nicht vor der Frage, wie um Himmels Willen es weitergehen soll. Sämtliche Hilfen kamen viel zu spät.

Das Ende vom Lied war ein mega gestresstes Kind, das erst durch Intervention ihres Therapeuten vor Ort und Fachleute in einem Autismuszentrum im vergangenen Herbst zu ihrer nun endgültigen, korrekten Diagnose kam. Und eine Familie am Rande des Nervenzusammenbruchs.

Autisten agieren um so autistischer, je stärker sie gestresst sind, das weiß ich mittlerweile nicht nur aus der Theorie, und so wurde aus meinem fröhlichen Mädchen, das bis zur Einschulung allseits beliebt und mit der Welt im Reinen war, ein kleiner Mensch, der mit der Welt hadert, was extrem bitter mit anzusehen ist als Mutter. Ich war wütend auf diese Klinik, und ich hatte mir vorgenommen, ihr auch mitzuteilen, warum.

Die Sache lieber ruhen lassen oder nochmal aufarbeiten?

Als ich vor kurzem den finalen Bericht der Autismusdiagnostik der Uniklinik vorliegen hatte, wo ich mit meiner Tochter vergangenen Herbst etliche Male war, ließ ich ihn erstmal ein paar Tage liegen. Zu schwer war das erlebte, und zu schwierig ist auch immer noch unsere Situation, denn neben dem Autismus bestimmt ja auch Geldmangel unser Leben, da der Vater der Kinder keinen Unterhalt mehr zahlt. Ich brauche keine weiteren Baustellen und Kämpfe, ich brauche Aufarbeitung. Und so ging ich dann auch an die Sache ran, vor etwa 10 Tagen:

Ich setzte mich an einem Samstagnachmittag hin und schrieb einen 3-seitigen Brief an die Klinikleitung, mit Verteiler an die Geschäftsührung und den Vorstand. Darin schilderte ich, was uns passiert ist, was die Klinik hätte besser machen müssen, und welche Folgen die Fehldiagnose für uns hatte. (Dazu gehörte auch Stress mit dem Jugendamt, was extrem unangenehm war, aber mittlerweile komplett vom Tisch ist. Hätte ich aber gerade in so einer Situation vor 2 Jahren wirklich nicht gebraucht.)

Den alten Weg nochmal gehen, um neue Wege zu finden

Als ich die Briefe in den Briefkasten geworfen hatte, war mir schon wohler. Ich merkte, wie wichtig es war, dass ich diese Erlebnisse eben nicht einfach wegdrücke, sondern umwandele in Handlung, und ich war gespannt, ob irgendeine Resonanz kommen würde. Und die kam, sogar ziemlich schnell – per Mail, als Anruf, von allen Stellen. Man lud mich zum Gespräch ein und bedankte sich für die Kritik.

Gestern nun bin ich den alten Weg gefahren, in die Klinik, in der ich 2016 auf Hilfe für mein Kind gehofft hatte, und mit der mich am Ende so viele negative Emotionen verbanden. Es war eigenartig, das zu tun, und als hätte Claas Relotius seine Hände im Spiel, war auch noch im Zielort eine riesige Baustelle auf dem Weg, den ich hätte nehmen sollen, und ich ohne Navi unterwegs erstmal aus der Bahn geworfen. Ich fuhr nach meinem Orientierungssinn, auf Sicht, und kam an.

Das Gespräch mit der Klinikleitung – und Abendrosa

In der Klinik war es leer, denn um 17 Uhr ist dort nur noch das Reinigungspersonal, und als ich der neuen Klinikleitung, die mich an der Rezeption abholte, die Hand gab, war ich nicht mehr sicher, was ich dort wollte. Wir liefen schweigend in ihr Büro, 3 Etagen hoch, und ich nahm Platz. Der Besprechungstisch hatte eine atemberaubende Aussicht auf die Landschaft, die im Abendrosa leuchtete. Auf einmal wusste ich wieder, was ich sagen wollte.

Wir sprachen eine Stunde, und es war gut. „Das ist wirklich sehr schlecht gelaufen“, sagte die Klinikchefin („Das tut uns furchtbar leid“ wäre netter gewesen, aber sowas sagen Menschen in solchen Positionen eher nicht, weil das einem Schuldgeständnis gleichkommt), und als sie gemerkt hatte, dass es mir wirklich um ein konstruktives Gespräch ging, das im besten Falle verhindert, dass sowas wieder passiert, erkundigte sie sich sich am Ende noch aufmerksam nach der jetzigen Situation und gab mir einige wertvolle Tipps.

2 Jahre lang hatte ich Groll gehegt, weil wir schlecht und falsch behandelt worden waren. Es ist durch das Gespräch gestern nicht wieder gut geworden, aber ich habe mit diesem Teil der Geschichte abgeschlossen. Als ich nach Hause fuhr, spürte ich großen Frieden in mir. Seelenhygiene und gleichzeitig Dinge in etwas Konstruktives verwandeln? Kann ich.