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Stille Stunde für Autisten im Edeka Konstanz

Frappierende Dunkelheit im Eingangsbereich. Die und ein großer Aufsteller mit der Info, dass heute von 15-17 Uhr „stille Stunde“ sei, empfingen uns heute im Edeka.

Das wussten wir allerdings schon, weil wir die Vorbereitungen dafür mitbekommen hatten und auch auf Insta auf diversen Accounts, denen ich folge, die Info geteilt worden war, dass es wirklich und wahrhaftig so etwas für Konstanz geben würde. Versuchweise, und zum ersten Mal. Wie spannend!

Ich schnappte mir einen Einkaufswagen, passierte die automatisch öffnende Schranke vor dem Obst- und Gemüsebereich, und guckte aus den Augenwinkeln neugierig auf mein autistisches Kind, das auch sonst beim Einkaufen in diesem Supermarkt eigentlich immer bei mir ist. Wie würde sie die stille Stunde finden?

Aufsteller Eingangsbereich für stille Stunde

Kleiner Spoiler vorab: Ich fand’s großartig, ich hätte die ganze Zeit „Wow!“ rufen können, aber das widerspricht ja dem Konzept. Und um mich geht es gar nicht, denn obwohl ich mich durchaus als sensibel bezeichnen würde, bin ich nicht die Zielgruppe für diese stille Stunde. Wobei – als Begleitperson einer Autistin schon.

Denn auch mich stresst es deutlich mehr, wenn laute Rollwagen mit neuer Ware oder leeren Kartons durch den Edeka donnern, während mein Kind dabei ist, denn jegliche Reize, die für sie überfordernd sind, machen das gemeinsame Einkaufen etwas schwieriger.

Das Licht kann man ausschalten, Gerüche nicht

Aber hauptsächlich geht es bei dem Konzept natürlich um die Betroffenen, Autisten und andere sehr reizoffene Menschen. Und um die Frage, wie die „normalen“ Kunden und die Mitarbeitenden das Ganze finden. Denn ohne Akzeptanz der Stammkundschaft ist so ein Projekt natürlich zum Scheitern verurteilt. Was also sagen die Leute, und was sagt mein Kind zur stillen Stunde?

Obst- und Gemüseabteilung in der stillen Stunde

In der Gemüseabteilung sagte mein Kind dasselbe wie immer, nämlich „Ich gehe zum Eis“, also den Eistruhen, um nach der Lieblingseissorte zu gucken, die es leider seit geraumer Zeit nicht mehr im Edeka gibt. Das hat auch damit zu tun, dass sie von den Gerüchen in dieser Abteilung extrem überwältigt wird, selbst wenn dort das Licht aus ist, und daran kann auch niemand etwas ändern.

Stille Stunde: Das Problem mit der Beleuchtung

Danach kam ein eher hellerer Bereich, der am Ende in sogar für meine Augen relativ grell erleuchtetem Käseregal, Fleischtheke und Fischregal mündete. „Uh“, klagte meine Tochter und hielt sich die Hand vor die geblendeten Augen, „Das tut mir weh. Dann sollen sie es lieber lassen und überall gleich hell machen. Warum ist es hier so furchtbar hell!?“ (Auflösung etwas weiter unten.)

Ich mutmaßte irgendwas mit Technik und Kühltruhen, und Schaltkreisen, aber andererseits konnte ich mir nicht vorstellen, dass im Edeka die ganze Nacht das Licht an ist, um die Kühltruhen bei +2° C zu halten. Das Kind runzelte die Stirn.

Dann die Ecke mit dem Fischregal, die besonders hell hervorstach, und nach der Fisch- und Käsetheke wieder ein total dunkler Bereich auf der rechten Seite (Weinabteilung und Getränke), während das Zahnpastaregal links wie eine angeleuchtete Freiheitsstatue strahlte. Auch die letzten Meter vor der Kasse waren sehr hell ausgeleuchtet, was mein Kind störte.

Zahnpastaregal in der stillen Stunde

Endlich einkaufen ohne nervige Musik!

Richtig gut fand meine Tochter, dass in der Nähe der Weinabteilung keine beschwingte Musik lief, die empfindet sie nämlich normalerweise fast als Körperverletzung. Und noch etwas ist ihr positiv aufgefallen: „Da waren heute mehr Menschen mit Kopfhörern als sonst“, meinte sie beim Rausgehen. Das muss man vielleicht erklärten: Menschen mit Kopfhörern sind potentiell eher solche, die sich vor zu vielen Reizen abschirmen wollen, und wenn man viel mit Autisten zu tun hat, dann kann man sich oft zusammenreimen, dass der eine oder andere Mensch wegen bestimmter Verhaltensweisen, Kleidung und Accessoires (es macht die Gesamtheit aus) wahrscheinlich auch Autist ist. Von daher kann man wahrscheinlich folgern, dass die angepeilte Kundschaft auch erreicht wurde, und dass der Inklusionsmoment geglückt ist.

Auch wenn es an der Kasse dann nochmal schwierig wurde, denn das Piepen der Scanner war in der stillen Stunde zwar leiser als sonst, aber halt aus praktischen Erwägungen noch vorhanden (die Kassiererinnen hören so, ob die Ware erfasst wurde), und es war dort ausnehmend hell.

Was sagt das Personal zur stillen Stunde?

„Die Leute haben sich beschwert“, erklärte mir die Kassiererin, als ich nachfragte, wie das Experiment denn aus ihrer Sicht laufe. „Und vorhin war es so dunkel hier, dass ich gar nicht sehen konnte, wieviel Geld ich rausgebe.“

Das ist natürlich nicht so gut, und so erklärt sich auch die Helligkeit. Dimmen scheint nicht möglich zu sein, es gibt offenbar nur „an“ oder „aus“ bei den Leuchten, und das macht es schwierig, die Helligkeit so zu regeln, dass sie für alle passt.

Dass die Kasse nur leise piepte, fand die Kassiererin schwierig – logisch, denn das Piepen sagt ihr ja, dass die Ware ordnungsgemäß vom System erfasst wurde. Und ich kann mir vorstellen, dass sich das leise Piepen irgendwie falsch anfühlt, wenn man es ganz anders gewohnt ist. Für meine Tochter hingegen machte es keinen großen Unterschied, ob die Kassen laut oder leise piepen beim Scannen, sie findet das Geräusch ab einer ziemlich geringen Lautstärke bereits furchtbar, da gibt’s dann keine große Steigerung mehr.

Bereich vor den Kassen

Und das Fazit meiner autistischen Tochter? „Ich bräuchte eigentlich nur eine Self-Checkout Kasse, das mit dem Licht ist für mich nicht so wichtig“, meinte die. Dass aber generell jemand versucht, auf die Bedürfnisse von Autisten einzugehen, findet auch sie gut. Und ihr ist klar, dass andere Autisten andere Bedürfnisse haben, auch wenn alle die Reizempfindlichkeit eint.

Das Fehlen von Musik hat ihr sehr gefallen (sie liebt Musik, aber nur ihre eigene), und mir ist positiv aufgefallen, wie bedächtig sich die Mitarbeiterinnen im Laden selbst bewegten – fast ein bisschen, als seien sie zu Gast im eigenen Laden. Ich fand das sehr rücksichtsvoll und angenehm als Begleitperson eines autistischen Menschen.

Wie geht’s weiter mit der stillen Stunde im Edeka Konstanz?

Das mit dem Self-Checkout würde ich dem Edeka-Chef gerne als Wunsch mitgeben – denn für viele Autisten ist der soziale Kontakt am Ende des Einkaufs ein Haupt-Stressfaktor. Die Waren im Einkaufswagen selbst einzuscannen und mit Karte zu bezahlen, würde da eine merkliche und einfach umzusetzende Verbesserung bringen, denn bei Ikea und Rossmann geht das ja auch.

Mein Fazit: Es macht alleine schon froh, dass überhaupt jemand versucht, neue Wege zu gehen und Inklusion zu leben. Es sagt sich nämlich leicht, dass man behindertenfreundlich und inklusiv sein möchte, aber danach zu handeln ist ziemlich anspruchsvoll. Vielen Dank für die Bereitschaft, sich auf dieses Experiment einzulassen, und ich hoffe, es bleibt nicht nur bei dem einen Mal.

Ach, und es fehlt noch die Auflösung zur Frage, warum es bei der Beleuchtung in der stillen Stunde so große Kontraste gab: Das hatte tatsächlich etwas mit Schaltkreisen und Technik zu tun. Das erfuhren wir am Ende, wo jemand vom Edeka Team mit einer Reporterin von Radio 7 stand, und mit denjenigen, die die Initiative ergriffen hatten, um Edeka von diesem Experiment zu überzeugen. Kann also sein, dass man meine Frage morgen im Radio hört. Ich hatte nämlich nichts dagegen, dass die aufgezeichnet wird, und die Reporterin war froh über O-Töne. So haben wir auch noch eine gute Tat getan und nebenbei Öffentlichkeitsarbeit gemacht.