In Skandinavien sei alles besser, was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf betrifft, sagen viele. Oder auch nicht, sagen andere. Drum will Ich euch berichten von den fabelhaften Jahren, in denen ich Einblick in die skandinavische Firmen- und Elternkultur bekam, von September 2007 bis August 2011.
Ich arbeitete für eine norwegische Firma mit Firmensitz in der Schweiz, einen Kinderbuchverlag. In der Stellenausschreibung hatte gestanden „regular trips to Norway must be expected“, und es stellte sich heraus, dass ich pro Jahr 4-5 Wochen in Norwegen verbringen sollte. Das fand ich toll. Hotels, ausschlafen, Kultur erleben, andere Länder, andere Sitten!
Innerhalb der ersten 3 Monate des neuen Jobs war ich bereits 5 Wochen in Norwegen, um eingelernt zu werden. Insgesamt waren es über diese 4 Jahre etwa 20 Wochen, die ich dort arbeitend verbracht habe, und zwar innerhalb eines norwegischen Familienbetriebes (ich habe sogar etwas Norwegisch gelernt nebenbei, obwohl die Firmensprache Englisch war).
Jaha, Familienbetrieb, mögt Ihr sagen, das sei doch etwas ganz anderes als börsennotierte Unternehmen. Aber alle Norweger, die ich dazu befragte, ob das ein Unterschied sei, was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf betreffe, guckten ganz verständnislos. Es ist dort, so mein Eindruck, wirklich ganz anders als in Deutschland für berufstätige Eltern. Und jener Familienbetrieb war eine für Norwegen recht große Firma, vergleichbar mit dem hiesigen Ravensburger Verlag.
Es fängt schon damit an, dass es ganz normal ist, dass beide Eltern arbeiten. Und zwar nicht nur einer in Teilzeit und einer voll, sondern beide Vollzeit (keinesfalls mehr als 38 Stunden pro Woche). Und dass in der Elternzeit, die viel besser bezahlt wird als hierzulande, sich beide Eltern für das Baby verantwortlich fühlen. Von der „Ich nehme mal 2 Monate frei, während meine Frau sich um unser Kind kümmert“ Mentalität in Deutschland war in Norwegen so rein gar nix zu spüren. Wenn der Vater seine 12 Wochen der Elternzeit nicht nimmt, verfallen die Ansprüche, das ist ähnlich wie bei uns. Aber ansonsten liegen Welten zwischen den beiden Elternkulturen, fand ich.
Elterngeld
Die Norweger erhalten 80% ihres Gehalts, wenn sie 56 Wochen (also 13 Monate) in Elternzeit gehen, und wenn sie nur 45 Wochen beim Baby zuhause bleiben, sogar 100 % des Gehalts, sagten mir meine Kollegen. Ohne Deckelung wie hier, so dass auch die leidige Diskussion, ob der/die Besserverdiener/in es sich überhaupt leisten könne, mehrere Monate „zu pausieren“, also einfach weniger Geld nach Hause zu bringen, ganz und gar ausfällt. Alleine das schon finde ich vorbildlich.
Alltag und kranke Kinder
In Norwegen sah ich die Väter ihre Kinder in die Kita bringen und abholen, das war ganz normal. Auch, dass Väter Zahnarzttermine mit dem Nachwuchs, Theateraufführungen mit den Kindern und selbstverständlich auch Krankheitstage mit den Kindern als ihre Aufgabe betrachten, und zwar egal, auf welcher Firmenebene sie hierarchisch angesiedelt waren, schien nur mir bemerkenswert, nicht meinen norwegischen Kolleginnen und Kollegen. Es war für sie gar keine Frage, ob sie sich Zeit dafür nehmen, denn das tun dort alle. Keiner wird schief angeguckt, wenn er/sie wegen einer wichtigen Sache, die das Kind betrifft, später zur Arbeit kommt, früher geht oder von Zuhause aus arbeitet, weil sich die Brut z.B. die Masern eingefangen hat.
Meetings oder später kommen bzw. früher gehen
Auch in Meetings, die sowieso immer so gelegt wurden, dass sie eben nicht in den Randzeiten stattfanden, war es überhaupt kein Grund, die Augenbrauen zu heben, wenn jemand sagte, er müsse nun los zur Kita. Das verstand jeder in der Firma, und mir wurde glaubhaft versichert, dass das nicht nur in dieser Firma so sei, sondern in eigentlich allen Firmen in Norwegen so sei. Ich staunte Bauklötze und überlegte kurzzeitig, auszuwandern.
Kinderbetreuung
Die Eltern in Norwegen können sich sicher sein, dass ihr Baby mit 1 Jahr einen Platz in einer Krippe bekommt. Die kostet wenig Geld und hat lange Öffnungszeiten: Von 7-17 Uhr war der Normalfall bei meinen Kollegen. Klagen über schlechte Personalschlüssel und schlechte Ausstattung habe ich nicht gehört, im Gegenteil wurde mir vorgeschwärmt, die gut es die Kinder in diesen Kinderbetreuungseinrichtungen hätten.
Ich seufzte damals leise, denn für mein Baby, die Jüngste, musste ich teure Au-Pairs und Kinderfrauen beschäftigen. Da die Norweger, jedenfalls in meiner Firma, nur 35 Stunden arbeiteten (ich in der Schweiz hatte hingegen eine 42-Stunden Woche!) und sich die Kinderbetreuung tatsächlich in der Partnerschaft teilen, kommen sie gut damit hin. Auch Schließzeiten und Ferien wurden mir als völlig unproblematisch dargestellt. Wusste doch jeder, dass Mitte Juni bis Mitte Juli das halbe Land lahmliegt, weil alle Ferien machen…
Arbeitsteilung in der Ehe/Partnerschaft
Es wäre sehr praktisch gewesen, sich in einen Norweger zu verlieben, aber leider finde ich diesen Männertypus so unattraktiv. Rein vom partnerschaftlichen her ist so ein Norweger nämlich ein Traum: dass Kinderbetreuung und der Haushalt von beiden Ehepartner zu schmeißen sind, finden sie selbstverständlich.
Ob das im echten Leben immer so hinhaut, habe ich bezweifelt und tatsächlich auch die Rückmeldung bekommen, dass es in diesem Punkt eine Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis gibt. Aber immerhin in der Theorie sind uns die norwegischen Männer voraus. In Deutschland, dem Land der Hausfrauen und Alleinverdienerehe, in dem die Durchschnitts-Frau höchstens Teilzeit arbeitet, um „etwas dazuzuverdienen“, sehen das die wenigsten Männer so.
Altersarmut und Scheidung
Wenn norwegische Frauen sich trennen, haben sie drum auch gar nicht das Problem, in Armut abzurutschen. Ihre Rente ist gesichert, das Land ist reich, und bei der Betreuung der Kinder nach der Trennung wählen nicht wenige das Modell 50%-50%, bei dem die Kinder eine Woche beim Vater und eine Woche bei der Mutter wohnen. Auch meine beiden ehemaligen Arbeitskolleginnen aus Finnland und Schweden praktizieren dieses Wechselmodell und alle sind zufrieden damit. In Deutschland kenne ich niemanden, der das macht. Es wäre vielleicht doch für manche getrennte Familie einen Versuch Wert, denke ich. Was für skandinavische Kinder gut ist, kann doch deutsche Kinder nicht traumatisieren? Aber das ist ein anderes Thema.
Eine Scheidung ist in Norwegen, Schweden und Finnland eine schnelle Sache, die etwa 6 Monate dauert und nicht Jahre wie hier in Deutschland. Teuer ist sie auch nicht, wie mir meine Freundinnen erzählen. Und keine meiner ehemaligen Kolleginnen kann sich so recht vorstellen, dass Frauen in Deutschland alleine aufgrund der Tatsache, dass sie a) Mutter oder b) alleinerziehend sind, keinen Arbeitgeber mehr finden. Das ist in Skandinavien wirklich kein Problem. Skandinavierinnen, Ihr habt es besser!