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In eigener Sache: Nachhall zum Armuts-Text

„Das habe ich nicht gewollt“ kann ich nicht sagen. Denn tatsächlich ist Teil meines Antriebs beim Bloggen, Aufmerksamkeit für die Sorgen Alleinerziehender zu erzeugen und Dinge herauszuposaunen, die zeigen, wie strukturelle Probleme sich ins Private und auf unsere Kinder auswirken. Ich möchte nachdenklich machen.

Aber als ich vergangenen Dienstag mal eben schnell etwas herunterschrieb, das mir beim Autofahren eingefallen war, und das einen aktuellen Anlass hatte (und zwar nicht Weihnachten, sondern den verlorenen Prozess vor dem Oberlandesgericht, bei dem es um die Unterhaltstitel für die Kinder ging), weil ich wieder einmal dachte „Wie soll ich das alles schultern und dabei noch optimistisch genug sein, um die Kinder nicht mit meinen Sorgen zu behelligen?“, als ich also relativ unbedacht meinen Blog als Ort nutzte, an dem ich meine Gefühle ablade, da ist etwas passiert.

Ich habe eine Lawine losgetreten. Der Text, den ich schrieb, wurde in den vergangenen 10 Tagen 64.000 Mal angeklickt, sagt die Serverstatistik AWStats, und sogar Google Analytics zählt 30.000 Besuche für nur diesen einen Text. 117 Kommentare unter diesem Blogpost, und darunter nur zwei bösartige oder feindselige, das ist Rekord. Der Blogpost wurde 102 Mal auf Facebook geteilt, wo meine Reichweite auf über 50.000 stieg, und auch auf twitter ging die Post ab. Knapp 3.000 FB-Interaktionen hat es gegeben, sagt mein Social Media-Zähler unter dem Text. Das ist Wahnsinn.

 

social effect armutstext screen

 

Es ist schön und schaurig zugleich, denn dass sich so viele Leser wiederfinden in meinen 13 Punkten, was Armut mit dir macht, kann uns als Gesellschaft nur bestürzen. Das sind nicht nur Alleinerziehende, es sind normale Familien, die jeden Monat gucken müssen, wie sie über die Runden kommen.

Kinder sind in Deutschland ein Armutsrisiko, und je mehr Kinder eine Familie hat, desto höher ihr Armutsrisiko. 1,64 Millionen Kinder wachsen in Haushalten auf, die Hartz IV beziehen. Fast jede zweite Alleinerziehende muss Hartz IV in Anspruch nehmen, die Hälfte der Alleinerziehenden bekommt keinen oder nur unregelmäßig Unterhalt vom Kindsvater, und nach 6 Jahren endet der spärliche Unterhaltsvorschuss, den der Staat zahlt, ebenso wie beim Erreichen des Alters von 12 Jahren, als ob Kinder dann nichts mehr kosten würden. Dass die meisten Alleinerziehenden einen mittleren oder sogar hohen Bildungsabschluss haben, nützt ihnen leider wenig auf dem Arbeitsmarkt. (Statistik des Verbands Alleinerziehender Mütter und Väter VAMV).

Das waren Zahlen, sie sind und bleiben abstrakt. Ich bin, wie ich das oft hier im Blog mache, persönlich geworden. Und meine Leser waren bewegt. Sie haben mir gemailt, sie haben meine (zum Glück nur mit einigen Artikeln befüllte) Amazon Wunschliste binnen weniger Stunden leergekauft, sie haben mir Facebook-Direktnachrichten geschrieben und Briefe gesandt. Das hat mich ziemlich umgehauen, denn jeder, der mir schrieb, sollte eine wertschätzende Antwort bekommen, kein Copypaste-Danke, und manche schrieben mir auch von ihren Sorgen, auch denen wollte ich sorgfältig antworten. Ich konnte die Flut an Leserpost gerade noch bewältigen, und ich hoffe, ich habe bei keinem vergessen, mich zu bedanken.

 

 

Nichtsdestotrotz habe ich mich sehr über Süßigkeiten, Kerzen, Bücher von der Wunschliste und einige vorgezogene Geschenke für die Kinder für Weihnachten gefreut. Der Sohn hat nun ein Schachbrett und ich einen neuen Bademantel und einen funktionierenden Wecker, das kann ich gerne annehmen, es hat mich auch keiner beschämt, wie sich einzelne sorgten. Es war wunderbar warmherzig von euch, und ich danke euch.

Dass ich nicht für mich um Spenden werben wollte oder Geld auf mein Konto überwiesen haben möchte, habe ich noch am Tag der Veröffentlichung auf twitter geschrieben und hier unter den Blogpost gesetzt, weil mir das Ganze ein wenig unheimlich wurde, zumal ich wusste, dass die Brigitte Mom mich als „Blogliebling“ vorstellen würde am vergangenen Freitag mit diesem Text, der ihre Aufmerksamkeit gewonnen hatte.

Die Kollegen von Nido haben mich bei den Links der Woche aufgeführt, auf dem Ehrenplatz ganz oben, und auch auf der feministischen News-Seite diestandard.at wurde ich verlinkt mit dem Text. Rivva kam dazu, das ist eine Übersicht, in der das Social Web nach meist empfohlenen Artikeln und debattierten Themen gefiltert wird, die wiederum für weiteren Traffic auf dem Blog sorgte. Der Text wurde in einigen prominenten Blog-Wochenrückblicken (auch hier: danke!) erwähnt, ich kann sie unmöglich einzeln aufzählen, ohne jemanden zu vergessen – es war jedenfalls ein Riesenbohei.

 

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Was ich eigentlich hätte sagen wollen, als ich diesen Text schrieb, ohne die Folgen absehen zu können: Ihr seid nicht allein. Es gibt so viel versteckte Geldnot in der Mittelschicht mit Kindern, jenseits dessen, was einem als drastische Beispiele für Armut auf den privaten Fernsehsendern entgegenflimmert.

Ich wünsche mir nichts für mich, denn wir haben eine wirklich schöne Sozialwohnung, genug zu essen und wunderbare Nachbarn und Freunde. Aber so kann das in Deutschland nicht mehr lange weitergehen – unsere Geburtenrate wird nicht steigen, wenn man es Familien so schwer macht, über die Runden zu kommen. Wir sind nicht nur steuerlich und strukturell ein kinderfeindliches Land, sondern auch von der Geisteshaltung her. Ich wünsche mir, dass Eltern sich in der Politik einbringen, dass sie wählen gehen und besser noch selbst aktiv werden. Wenn wir es nicht machen, tut es keiner. Isso.