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Buchtipp: Herzinfarkt? Aber doch nicht jetzt! Interview mit Lisa Ortgies

Meine Güte, was für eine Geschichte, und wie gut Lisa Ortgies das Lebensgefühl der mittelalten Frau da zu Papier gebracht hat!

Das neue Buch von Lisa Orties habe ich innerhalb von 2 Tagen durchgelesen, nachdem es mir der Verlag mit freundlichen Grüßen von der Autorin zugeschickt hatte. Wir sind ja derselbe Jahrgang, und ich kann fast alles genau nachvollziehen, was sie da aufgeschrieben hat. Nur, dass ich nicht mehr in einer Partnerschaft bin. Aber was sie ansonsten so schreibt übers Unsichtbarsein ab 45, über den Umgang mit Körperbehaarung, über die durch den Krieg zu großen Teilen dysfunktionale Generation unserer Eltern, die wiederum uns als Kinder maßgeblich prägten, und sei es „nur“ durch Schreienlassen im Babybett, um die Lungen zu kräftigen (das elterliche Trauma ist mindestens genauso prägend), über unseren Drang, zu funktionieren und alles unter Kontrolle zu haben, das trifft es sehr genau.

Dass Lisa Ortgies Herzprobleme hatte, oder eher vielleicht, ein ungewöhnliches Herz, hat man nicht gemerkt, als wir uns vergangenen Juni in Hamburg beim Emotion Award trafen. Aber Herzprobleme sieht man ja auch nicht. Ich bin jedenfalls sehr froh, dass ich Lisa über den #muttertagswunsch kennenlernen durfte und wir auch ansonsten immer wieder miteinander zu tun hatten. Und ich hoffe, sie lebt noch lange und sehr glücklich!

Liebe Lisa, hast du jemanden gefunden, mit der du über das Thema Herzinfarkt reden kannst, und zwar, wie du es dir im Buch gewünscht hast, eine junge Frau oder jemanden deines Alters?

Bezeichnenderweise kommen plötzlich alle möglichen Leute auf mich zu, die ich teilweise schon seit Jahren aus dem Job kenne, tippen mir auf die Schulter und sagen: „Du, ich auch.“

Ein Kameramann hat mir vor kurzem erzählt, dass er mit einem Defibrillator zurück geholt werden musste. Er hat mir sein Nahtoderlebnis anvertraut, dass ich lieber für mich behalten möchte. Nur soviel: Es scheint etwas sehr Schönes auf uns alle zu warten und auch wenn es alle möglichen hirnphysiologischen Erklärungen für dieses Phänomen gibt – ich neige zu etwas mehr Gottvertrauen…

Es schreiben mich sowohl Frauen als Männer an und in ihren Briefen gibt es keinen Unterschied in der Verletzlichkeit. Das berührt mich sehr. Viele finden sich in meinen Texten wieder, vor allem, wenn es um den Erwartungsdruck geht, die eigene Krankheit zu managen und in den Griff zu kriegen.

Hattest Du Angst/Bedenken, so offen über deine Therapeutin und deine Therapieerfahrungen zu sprechen? Das ist hierzulande ja immer noch nicht selbstverständlich…

Ich habe beim Thema Therapie eine sehr amerikanische Einstellung: Die wichtigsten Bezugspersonen im eigenen Leben sollte man langfristig schonen, indem man auch mal auf professionelle Hilfe zurück greift. Ich bin der Meinung, dass selbst intime und langjährige Freunde nicht dazu da sind, jede Hysterie – vorhersehbar unglückliche Liebschaften ebenso wie vorhersehbare Jobkrisen – im Detail zu ertragen. Und eben erst recht nicht ein Partner, dem man ja schon Morgenmuffeligkeit oder Streitsucht und ähnliche Unzulänglichkeiten zumutet. Außerdem: Wenn man für das Wälzen seiner Probleme zahlen muss, stellt sich der Effekt ein, dass sich die Anzahl der Probleme schnell auf ein paar elementare Themen reduziert, denn nichts ist ärgerlicher als eine ungenutzte Therapiestunde.

Ich halte diese Überlegungen für überaus pragmatisch und zielorientiert. Trotzdem zucken die meisten Menschen zusammen, wenn ich in Gesprächen meine Therapeutin zitiere. Oder Vorschläge und Empfehlungen unter dem Vorbehalt beantworte: „Da muss ich mal meine Therapeutin fragen …“ Obwohl ich diesen Satz stets mit einem Augenzwinkern versehe, sind viele Menschen besorgt: „Das klingt wie ein Elternersatz!“, kommt dann beispielsweise zurück. Da ist was dran, aber: Na und?

Was würdest du deinem jüngerem Ich raten, damit es gar nicht erst soweit kommt, dass dein Herz Alarm schlagen muss? (Genetische Faktoren jetzt  mal beiseite lassend.)

Ich würde meinem Jüngeren Ich raten, das Leben von hinten zu denken. Ich würde ihm gern sagen, dass es am Ende wahrscheinlich nicht die Zahl der Projekte oder Aufträge ist, auf die man am Ende mit Sehnsucht oder Stolz zurück blickt. Es sind ganz andere Erinnerungen…

Ich hatte damals zum Beispiel das Gefühl, dass die Kleinkindphase meiner Beiden ewig andauert. Heute weiß ich, dass diese Zeit mit einem gefühlten Fingerschnipsen vorbei ist und ich fürchte, beide Seiten hätten mehr davon haben können. Wenn ich heute bedenke, dass ich unter Umständen auf fast 50 Arbeitsjahre komme, dann hätte es meiner Berufslaufbahn nicht geschadet, wenn ich mir nach der Geburt auch mal ein Jahr Zeit genommen hätte – nur ein Beispiel.

Selbst bewusst steuern und nicht getrieben werden – das wäre meine Überschrift über dieses Kapitel.

Lisa Ortgies. Ich möchte gern in Würde altern, aber doch nicht jetzt. Erwachsenwerden für Profis. Kiepenheuer und Witsch 2018, 256 Seiten für 14,99 €.  ISBN 978-3-462-04995-4