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Buchvorstellung und Interview: „Die Sorgen der Alleinerziehenden“ von Dunja Voos

Sie weiß, wovon sie redet. Dunja Voos ist Ärztin und Psychotherapeutin, sie betreibt seit 2005 einen qualitativ herausragenden Blog namens „Medizin im Text“ und ist alleinerziehende Mutter. Als Autorin von Fachbüchern zur Psychologie hat sie sich bereits einen Namen gemacht – vor allem aber kenne und schätze ich sie als pointiert formulierende, warmherzige und kontroversen Diskussionen nicht abgeneigte kluge Frau.

Nun hat Dr. med Dunja Voos ein E-Book herausgebracht. Es ist heute erschienen, ich durfte es vorab lesen und der Autorin einige Fragen stellen. Rezensieren möchte ich das Buch nicht, denn um das zu tun, habe ich längst nicht mehr genügend kritische Distanz zur Autorin. Aber ich kann ganz unkritisch sagen, dass dieses E-Book sehr schön lesbar ist, neue Wege denkt, und von den persönlichen Erfahrungen der Autorin profitiert, die sie mit ihrem Fachwissen in Beziehung setzt.

Der Titel „Die Sorgen der Alleinerziehenden. Warum Lösungen nicht immer die Lösung sind“, verrät schon recht genau, was hier der Ansatz ist: weniger sachlich auf die Nöte der Alleinerziehenden zu gucken, sondern eher mit Blick auf die emotionalen Verstrickungen. Ein Ansatz, den ich gut finde, auch wenn ich nicht alle Thesen, die Dunja Voos in ihrem Buch aufstellt, unterstütze und teilweise völlig andere Lebenswelten sehe – insbesondere im Bereich des ehemaligen Partners. Aber ich bin ja auch keine Therapeutin und darf das.

Die zentrale Idee des Buchs, dass die Helfer (Mediatoren, Therapeuten, Jugendamt, Anwälte und Richter) weniger auf Sachlichkeit bei den Versuchen, Frieden zu schaffen, setzen sollten, sondern mehr auf Empathie, kann ich jedenfalls uneingeschränkt unterstützen. Nichts macht einen direkt nach einer hässlichen Trennung so hilflos wie der gebetsmühlenartig vorgetragene Satz, man solle sich doch zum Wohle des Kindes zusammenreißen und auf Elternebene verhandeln, wenn man sich fühlt wie eine Nussschale auf hoher See. Und dass zum Streiten nicht immer zwei gehören, ist auch eine These, die sich bei neutralen Helfern herumsprechen sollte. Aber genug verraten – lest selbst.

Dr. Dunja Voos. Die Sorgen der Alleinerziehenden. Warum Lösungen nicht immer die Lösung sind. Medizin-im-Text Verlag. 62 Seiten für 7,49 € im Download.

1) Für wen hast du das E-Book geschrieben? Eher für Alleinerziehende oder diejenigen, die beruflich mit Ihnen zu tun haben? Und was soll das Buch bewirken?

Dr. Dunja Voos
Dr. Dunja Voos

Ehrlich gesagt habe ich mir darüber beim Schreiben gar keine Gedanken gemacht. Ich habe nur festgestellt, dass Alleinerziehende immer wieder auf dieselben Sätze treffen, wie z.B. auf den Satz: „Der Vater/die Mutter macht Spielchen.“

In der Beratung kann ich sowohl die Mutter als auch den Vater verstehen. Meistens leiden beide unter großen Ängsten und inneren Nöten, die sich dann manchmal in einer Weise äußern, die zunächst nicht zu verstehen ist. Ich selbst habe als Alleinerziehende Erfahrungen mit „lösungsorientierten Gesprächen“ gemacht und fand diese Gespräche größtenteils nicht hilfreich.

In meiner Ausbildung zur Psychoanalytikerin mache ich neue Erfahrungen, sodass ich die gängigen Beratungsangebote immer mehr infrage stelle. Ich habe also eine recht breite Zielgruppe vor Augen – sowohl Betroffene als auch „Helfer“ wie z.B. MediatorInnen oder MitarbeiterInnen des Jugendamts oder des Familiengerichts.

2) An einer Stelle schreibst du „Jeder versucht, den Schaden am Kind so klein wie möglich zu halten.“ Ist das nicht naiv? Es gibt doch auch Elternteile, oft getrennte Väter, denen das Kindeswohl herzlich egal ist, und die nur an sich denken. Hast du für Alleinerziehende, die so einen Ex als Vater ihrer Kinder haben, auch Rat?

„Väter, denen das Kindeswohl herzlich egal ist“ sind mir bisher noch nicht begegnet. Das ist ja meistens die Sichtweise der Mutter, die tief in die Konflikte verstrickt ist. Der Vater wiederum denkt, dass der Mutter das Kindeswohl herzlich egal ist. Beide Eltern denken voneinander, dass jeder nur an sich denke. Wenn ich aber einmal Vater oder Mutter in einer psychoanalytischen Beratung vor mir sitzen habe, bin ich sehr bewegt davon, was in dem Vater oder in der Mutter vorgeht.

Immer sind große Sorgen und tiefe Verletzungen dabei, die häufig bis in die eigene Kindheit zurückreichen. Wird der Schmerz zu groß, wenden sich die Väter – seltener die Mütter – auch ganz ab. Das ist aber kein Zeichen dafür, dass ihnen das Kind egal ist. Abwenden ist oft ein Zeichen von Hilflosigkeit und Ratlosigkeit. Manche Menschen kommen nur so mit ihrem Schmerz zurecht – ob sich jemand abwendet oder nicht hängt von vielen Umständen ab. Einen Rat für Alleinerziehende die „so einen Ex“ haben, habe ich leider nicht, denn diese Mütter sind selbst noch seelisch sehr verletzt, sodass jedes Argument ihnen wie Spott erscheint.

Sie denken dann: „Ha, du hast meinen Ex noch nicht kennengelernt – bei ihm ist alles anders!“ Diese Gedanken sind verständlich, denn in der Regel ist die Mutter/ist der Vater alleingelassen in der Verstrickung mit dem ehemaligen Partner. Oft ist eine neue Sicht erst möglich, wenn die eigenen Verletzungen aufgefangen wurden, wenn der Abstand größer geworden ist und wenn die Kinder älter sind. Der einzige „Rat“, den ich geben könnte, wäre, sich eine/n Therapeut/in zu suchen, die/der die Alleinerziehende begleitet. Dadurch ist die Mutter entlastet und es kann wieder ein größerer innerer Raum entstehen. Manchen hilft es auch, zu denken, dass Wut und Angst sozusagen „gleich schmecken“. Wenn ich als Mutter in dieser Verzweiflung stecke, kann ich oft davon ausgehen, dass es dem Vater innerlich nicht viel anders geht.

Wichtig zu wissen ist auch: Wenn ich selbst in der Not stecke, dann ist die Fähigkeit zur Empathie herabgesetzt. Je schlechter es also einer Mutter geht, desto weniger kann sie Verständnis für den Vater aufbringen. Es ist dasselbe wie bei körperlichen Verletzungen auch: Wer einen Autounfall und ein gebrochenes Bein hat, der kann sich selbst nicht um andere Verletzte kümmern. Ist der Schmerz zu groß, ist der andere einem „herzlich egal“.

3) Denkst du, dass das Kind unbedingt die Mutter braucht als erste Bezugsperson, als sicheren Hafen, oder könnte das nicht genausogut der Vater sein?

Es könnte genauso gut der Vater sein, wenn er direkt nach der Schwangerschaft genauso viel Zeit mit dem Kind verbringt wie die Mutter. In unserer Gesellschaft ist es in der Regel die Mutter, die die meiste Zeit mit dem Kind verbringt. Diese Verantwortung spüren die Mütter. Ich glaube, Mütter haben daher immer auch Angst vor ihrer Aufgabe, weil sie wissen, welche große Bedeutung sie für das Kind haben und weil sie oft alleingelassen werden mit dem Kind.

Bindung ist nicht nur eine Frage von „Qualitätszeit“, sondern auch von der Menge an Zeit, die man miteinander verbringt. Mit dem sicheren Hafen meine ich das, was die Psychoanalytikerin Margaret Mahler beschreibt: Spielt das Kleinkind eine Weile, kehrt es zurück zur Mutter. Es lehnt sich an ihr Bein oder setzt sich kurz auf ihren Schoß, um emotional aufzutanken. Nach einer Weile rutscht das Kind vom Schoß und spielt wieder.

Mütter nehmen ihre Kinder eher in einer ruhigen Weise auf. Väter können das genauso gut, doch sie sind eher diejenigen, die die Kinder aktivieren. Manchmal werden Väter jedoch auch in eine „Mutterrolle“ gedrängt, z.B. wenn die Mutter aufgrund einer postpartalen Depression oder einer anderen Erkrankung nicht ausreichend für das Kind verfügbar ist. Dann ist die Vater-Kind-Beziehung sehr mit der Mutter-Kind-Beziehung vergleichbar. Auch der Vater ist in der Regel ein „sicherer Hafen“, aber die Qualität ist eine andere. Mütter und Väter geben dem Kind jeweils etwas anderes, aber beides ist gleich wertvoll.

Trotz aller Emanzipation – die Unterschiede zwischen Mutter und Vater bleiben ja bestehen und das ist gut so. Fehlt der Vater oder fehlt der Mutter, fehlen auch dem Kind wichtige Aspekte für seine Entwicklung.

4) Du sagst, eine Mutter und ein Kind, das sei noch keine Familie. Dazu brauche es Mutter, Vater und Kind. Was antwortest du Alleinerziehenden, die sagen, sie fühlen sich durch diese Sichtweise diskriminiert?

Ich sage nicht, dass eine Mutter und ein Kind keine Familie sind. Das ist wohl Ansichtssache. Ich sage, dass ich mich alleine mit Kind nicht als Familie fühle. Ich persönlich habe die Vorstellung, dass zu einer Familie mindestens drei Menschen gehören. Das empfindet aber jeder anders. Eine Mutter, die sich alleine mit ihrem Kind als Familie fühlt, kann sich glücklich schätzen, finde ich. Ich beneide solche Mütter um dieses Gefühl. Wenn dieses Gefühl echt ist und die Mütter darin ruhen, dann fühlen sie sich auch nicht dadurch diskriminiert, weil ich oder andere es anders sehen.

Meiner Erfahrung nach fühlen sich die Mütter diskriminiert, in denen doch noch ein Zweifel steckt. Es sind oft die Mütter, die sich wünschen, sie könnten sich wie eine Familie fühlen und die sich darum bemühen. Doch der Zweifel ist tief innen drin und will verdrängt werden. Dann schmerzt es, wenn andere das aussprechen, was der eigenen inneren Stimme entspricht. Es geht dabei immer um innere Schmerzen und um das Gefühl von Mangel. Wer allein damit ist, kann diesen Schmerz nur schwer ertragen und dann ist es leichter zu sagen: „Das ist Diskriminierung.“

Vielen Dank für das Interview, Dunja. Und viel Erfolg mit dem Buch, dem Blog, und allem, was du anpackst!