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Candy Bukowski: Wir waren keine Helden (Alleinerziehendensicht)

Ein Buch wie eine Achterbahnfahrt. Am Anfang etwas dahinzuckelnd, fast gemächlich. Dann Fahrt aufnehmend, auf zu unerreichten Höhen, in Abgründe rasend, manchmal auf einem Plateau kurz zur Ruhe kommend, und weiter zu immer neuen Wendungen, Gipfeln, Tälern.

24 Kapitel aus dem Leben von Candy Bukowski, die ihr Buch zwar „Roman“ nennt, aber nicht den Eindruck erweckt, es handle sich um Erfundenes. Jedes Kapitel so schwer, dass ich Wochen brauchte, um dieses Buch zu lesen, zum Einen, weil ich wollte, dass ich lange etwas davon habe, aber zum anderen auch, weil so viel Tiefe drinsteckt (Vorgestern habe ich die letzte Seite umgeklappt. Und angefangen habe ich im Sommer). Sepia nennt Candy das, für mich gefühlt eher sowas wie Blei an den Füßen, aber vielleicht meinen wir dasselbe, das könnte ich mir gut vorstellen. Dieses Gefühl, komplett runtergezogen zu werden, das sich wie ein roter Faden durchs Buch zieht, ist gelegentlich schwer zu ertragen, aber immer schön zu lesen.

 

„Ganz unten ist alles, was du bist, und alles, was du brauchst. Ganz unten lässt sich wieder Boden finden“, endet Kapitel 21, das von der Psychiatrie erzählt. Candy steht immer wieder auf, auch wenn sie tiefe Krisen durchlebt, und es teils knapp war mit dem Überleben, weil sie von Menschen, die andere in Gefahr bringen können, Menschen wie schwarze Löcher, angezogen wird. „Leben zurückerobern ist Arbeit“ (S. 197), schreibt sie, und ich weiß, was sie meint. So wie ich mit ihr fühle, wenn sie vom Vermissen schreibt, vom Liebeskummer, davon, sich voll und ganz in die Dinge zu stürzen, anstatt sie halbherzig zu tun und zu fühlen: „Uneingeschränkt, bedingungslos, ungezielt, ungestüm. Vor allem ungestüm… Ohne den verdammten Deal um die Ewigkeit.“ (S.158)

Unsere Stationen ähneln sich, und es ist fast schon komisch, dass Candy ausgerechnet hier in Konstanz gelebt hat, nicht weit von meiner Wohnung, wo das Kapitel 10 spielt. Auch war sie in Berlin, um weit weg von allem zu kommen, und heute lebt sie in Hamburg, wo ich meine älteste Tochter zur Welt brachte und wohnte, als ich heiratete. Wie Candy komme ich vom Dorf, sie aus Murnau, ich aus dem Schwarzwald, und ich kenne dieses Gefühl, da raus zu wollen, etwas zu erleben, dort nicht genügend Luft zu bekommen.

Die Zeit als Alleinerziehende – Candy Bukoswki macht sie zu Literatur

Vor allem aber berührt hat mich das Kapitel, in dem sie über die ersten Jahre als Alleinerziehende schreibt, Kapitel 16, „Sabbatical Years“. Sie erzählt davon, wie einsam es war, immer zuhause zu sein, nahezu von der Bildfläche verschwunden, und nur mit Kind zusammen. Keine Zeit, die Wunden zu lecken, zu heulen, zu leiden, stattdessen andauerndes Funktionieren. Die Umarmung eines anderen Erwachsenen fehlte ihr, raus konnte sie nur nach Absprache, als Bittstellerin, und dass es fast unmenschlich ist, nie frei über die eigene Zeit verfügen zu können, kann ich so sehr unterschreiben:

„Ich habe mich nie daran gewöhnt, unfrei zu sein. Keine eigenen ausreichenden Mittel mehr zu haben und auch keine eigene Zeit.“ (S. 153)

Am Ende hat Candy, wie auch in in meinem Buch, die neue, zaghafte Liebe hineingeschrieben, „Es gibt da einen….. Wer weiß…?“ (S. 220), und dass ihr Glück nicht verschreien wolle (meins ist zerplatzt und hat mich in den #fuckingliebeskummer Winter gestürzt. Ich glaube, Candy erging es leider auch nicht viel besser). Im nächsten Leben könne sie eine durchgängige Geschichte erzählen anstatt viele aneinanderzureihen, sagt sie noch, und man glaubt ihr, dass sie das nicht kokett meint. Aber genau dieses episodenhafte macht den Charme des Buches aus. Es ist schwer verdaulich, aber bleibt im Kopf. Und im Herzen.

„Wo immer ich hinkomme, finde ich eine Handvoll Besondere. Vielleicht ziehen Seeleute einander immer an. Sehnsüchtige Piraten auf Landgang. Alles Eremitenseelen. Ich finde sie immer. Oder sie mich. Das ist groß und es hat seine Tücken.“ (S. 218) Ja, Candy. Seeleute finden sich. Und obwohl es stimmt, „Eremitenseelen verstecken sich die meiste Zeit“, so erkennen sie einander sofort. Im Internet, in Texten, in Bars und einfach so, wenn es Bämm! macht, unverhofft. Die nächste Wendung kommt bestimmt.

 

P.S.: Ein bisschen schade, dass es dieses Buch neben der E-Book Version nur bei Books on Demand gibt. Ich las das Hardcover, das ich mir selbst gekauft habe, und war mit dem Druckbild nicht wirklich glücklich.

Candy Bukoswki: Wir waren keine Helden. Norderstedt, 2016. ISBN 9-783837-098044 für 19,90.

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