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„Familie ist ein hochpolitischer Ort!“ Interview mit Mariam Tazi-Preve

Wieso geht es nicht richtig vorwärts mit der Gleichberechtigung? Und sind Entscheidungen über den Rückzug von Frauen ins Private nach der Geburt wirklich rein private, persönliche Entscheidungen?

Oder stecken wir alle so sehr in den Denkstrukturen fest, mit denen wir großwurden, dass wir uns nur vormachen, die Familie sei der einzig seligmachende Ort in einer feindseligen Gesellschaft und Arbeitswelt? Mariam Irene Tazi-Preves neues Buch „Das Versagen der Kleinfamilie. Kapitalismus, Liebe und der Staat“ ist lohnende Lektüre für alle, die sich für Geschlechterrollen, Feminismus und die Auswirkung männlicher Machtstrukturen auf unser Leben interessieren, und die überlegen, wie wir in Zukunft besser und gleichberechtigter leben können.

Es ist kein leicht verdauliches Buch, aber trotz wissenschaftlichen Anspruchs sehr gut lesbar, und hinterlässt die Leserin einerseits desillusioniert, andererseits aber mit einer Vision und vielen neuen Erkenntnissen. Wer keine Berührungsängste mit den Begrifflichkeiten Patriarchat und Matriarchat hat, politisch interessiert ist und eine gewisse Unzufriedenheit über die immer noch herrschende Diskriminierung von Frauen in sich trägt, dem sei dieses Buch wärmstens empfohlen.

Tazi-Preve, die als Professorin für Politikwissenschaft und Geschlechterforschung an der University of New Orleans lehrt, greift aktuelle Fragen auf, die mit Mutterschaft, Vaterschaft und Vereinbarkeit einhergehen, und setzt diese Fragen in historische Perspektive. Sie hat mir vier Fragen beantwortet, die euch helfen, eine Vorstellung davon zu bekommen, worum es in dem Buch konkret geht.

Befürworter der Kleinfamilie sagen, diese Familienform habe sich über Jahrhunderte bewährt. Warum ist die Kleinfamilie in Ihren Augen zum Scheitern verurteilt?
Tazi-Preve
Foto: privat

Tazi-Preve: Die Kleinfamilie hat sich aus Sicht derer, die die Verhältnisse genau so haben wollen, also die klaglose und nichtentlohnte Nachwuchsproduktion, tatsächlich bewährt. Mein Ausgangspunkt ist der, den Preis dieses Zwangsarrangements zu benennen.

Also das Leiden an den Verhältnissen, die Normalität des Zerbrechens angeblich lebenslanger romantischer Beziehungen und die Gefühle von inidvidueller Schuld, das Phänomen der Mutterfalle, also der Isolierung, Erschöpfung und unablässiger Schuldzuweisung an sie, die Neurotisierung von Kindern, die nicht nachlassende Gewalt in der Familie und vieles mehr.

Und wenn man – wie ich – historisch und ideologiekritisch arbeitet, wird klar, dass das Phänomen Kleinfamilie ein Konstrukt ist, deren Begründungsszsenarien über die Jahrhunderte variierten. Erst sollte die Ehe die Vererbung vom Vater auf den legitimen Sohn regeln, dann kam die christliche Sexualmoral und die Lehre von der Unauflösbarkeit der Ehe hinzu.

In modernen Zeiten ist die Grundlage die angeblich ewige romantische Liebe. Die Kleinfamilie scheitert, weil zwei Dinge auf engstem Raum verquickt werden, die nicht notwenig miteinander zu tun haben: eine Liebesbeziehung und das sichere Aufwachsen von Kindern.

Was bedeutet das für Alleinerziehende? Haben wir als Familienform überhaupt eine Chance?

Tazi-Preve: Das Alleinerziehen ist oft die einzige Alternative, da es so wenige Familienformen gibt. Zumeist sind es Frauen. Viele von ihnen verfügen über ein gute soziales Netz von Grossmüttern, Vätern, Schwestern u.a., das den Altag erträglich macht. Im Falle, sie sind wirklich alleine, halte ich die Situation für grob fahrlässig.

Oft sind sie “clearly understaffed”, wie es auf englisch heisst, also personell unterbesetzt. Eine Gesellschaft, die gearde darauf picht, dass ihre BürgerInnen die 2-Kind-Norm erfüllt, darf Mütter nicht alleine lassen. Im schlimmsten Falle kommt es zur Kindeswegnahme, anstatt Hilfe hinzuzufügen. Auch eine Kindergärtnerin würde man nicht 24 Stunden 7 Tage die Woche durcharbeiten lassen.

Aktuell gibt es eine neue, teils radikale Bewegung der sogenannten Väterrechtler, die das Wechselmodell fürs Kind als Standard anstreben. Wie sehen Sie diese Strömung?

Tazi-Preve: Die Väterrechtler sind ein Phänomen aus den USA, die klar gegen die angeblich bereits erreichte Emanzipation der Frauen Stellung nehmen. Ich habe selbst eine Studie geleitet, die den Gründen für die häufige Abwesenheit von Vätern nach einer Scheidung/Trennung nachgeht. Die Ergebnisse zeigen, dass nur bei einem kleinen Teil der Grund dafür ist, dass Mütter den Vätern den Zugang zum Kind verwehren. Die Väterrechtler aber behaupten, das sei die Norm.

Es geht also oft um Rache an der ehemaligen Partnerin – Frauen reichen ja häufiger die Scheidung ein als Männer – und nicht um ein echtes Interesse am Kind. Leider haben die Väterrechtler unglaublichen Einfluss auf die Gesetzgebung gewonnen. Das Rechtssystem ist per se historisch gesehen ein Instrument, um Herrschaft durchzusetzen.

Das Zwangssystem “Recht des Kindes auf beide Elternteile” treibt derzeit unglaubliche Blüten und ändert selten etwas an der Hauptverantwortung der Mutter. An Stelle dessen tritt der Zwang: zum Wechselmodell, zur Nennung des Vaters bei Geburt, um seine Rechte auch gegen den Willen der Mutter durchzusetzen etc. Das Wechselmodell ist gerade Beispiel dafür, dass dies per se nur durch freiwillges Verhandeln zustande kommen kann.

Wie können wir als Privatpersonen unsere politische Dimension spüren und etwas ändern, auch ohne unbedingt in die Politik gehen zu müssen?

Tazi-Preve: Ich nenne es das “Abfallen” vom Glauben. Frauen hören auf, an die Kleinfamilie zu glauben. Sie benennen vielmehr das, was sie zumeist ohnehin haben, nämlich ein weibliches Netz an Großmütter, Schwestern etc als Familie, Die aktive Beteiligung von Vätern ist willkommen. Motto: je mehr Personen, desto besser. Frauen hören auf, ihre Töchter Richtung Kleinfamilie zu erziehen und sozialisieren ihre Söhne zu sozialer Verantwortung statt ihr Männlichkeitsbild Richtung Konkurenz und Karriere zu stützen.

Frauen verstehen, dass Familie hochpolitisch ist, weil sie historisch willkürlich aus dem, was als politisch gilt, ausgeschlossen worden war. Sie glauben auch nicht mehr an die Rhetorik von der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Weil das Arbeitssystem per se ein Problem darstellt und deren Kosten-Nutzen-Ratio im Widerspruch zu allen Werten steht, die Familie stützen. Zu Politik und Wirtschaft gehe ich ausführlich in meinem Buch ein, gerade um zu zeigen, dass Familie ein hochpolitischer Ort ist.

Mariam Irene Tazi-Preve. Das Versagen der Kleinfamilie. Kapitalismus, Liebe und der Staat. Verlag Barbara Budrich 2017, 228 Seiten für 22,90 €. ISBN 978-3-8474-2010-1.