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Garsoffky/Sembach: „Der tiefe Riss.“ Familienpolitik-Buchtipp!

Kinder sind in Deutschland ein Armutsrisiko, und je mehr Kinder eine Familie hat, desto höher ihr Risiko, in Armut zu leben. Dabei tragen Familien das System, und sie müssten wesentlich stärker unterstützt werden – nur wie macht man das, ohne Kinderlose zu bestrafen? Dieser Frage geht das neue Buch von Susanne Garsoffky und Britta Sembach nach.

Wenn wir uns nicht bald etwas überlegen, dann wird der Riss, der sich durch die Gesellschaft zieht, so groß sein, dass ein Graben entsteht, und das Fundament unseres Zusammenlebens wackelt, sagen die Autorinnen. Dabei geht es nicht nur ums Jetzt, wo Familien überproportional stark von Steuern und Abgaben belastet werden, Kinderlose sich jedoch zu hoch besteuert und ausgenutzt fühlen, sondern auch um die Zukunft. Denn keiner weiß, wie unser Rentensystem zukünftig funktionieren soll, wenn die Geburtenrate so niedrig bleibt, die Alten immer älter werden, und die Kosten für Pflege explosionsartig steigen, weil niemand mehr da ist, der Sorgearbeit kostenlos machen kann, weil es dann zum Leben nicht mehr reicht.

„Die Entscheidung für oder gegen Kinder ist zutiefst privat. Aber ihre Auswirkungen sind es nicht“

Das ist, kurz gefasst, die Botschaft von Susanne Garsoffky und Britta Sembach. Vor 3 Jahren erschien ihr erstes gemeinsames Buch mit dem Titel „Die alles ist möglich-Lüge.“ Ich habe es damals eigentlich nur widerwillig in die Hand genommen, dann aber mit wachsender Begeisterung gelesen und hier im Blog rezensiert.

Nun also liegt ihr neues Buch vor, und ich dachte schon nach wenigen Seiten, dass dieses Buch möglichst viele Politiker lesen sollten, und zwar egal aus welcher Fachrichtung sie kommen, und es ein sehr logischer, würdiger Nachfolger für das erste Buch ist. Denn die beiden Journalistinnen Garsoffky und Sembach haben ihre gesellschaftskritischen und famlienpolitischen Gedanken weiterentwickelt, alles sauber auf 25 Seiten Anhang in Fußnoten belegt, und ein wunderbar leicht zu lesendes Buch mit gewichtigen Thesen und Argumenten geschrieben.

In 5 Kapiteln, die jeweils in 12-15 Unterkapitel unterteilt sind, schlagen die Autorinnen einen Bogen von der Strukturierung unserer Erwerbsarbeit und den Gründen für (nicht biologisch bedingte) Kinderlosigkeit bis hin zum Entwurf einer besseren Gesellschaft, in der eventuell eine Kindergrundsicherung dafür sorgt, dass Sorgearbeit nicht mehr automatisch zu Armut und Altersarmut führt, und Kinderlose und Familien sich nicht mehr gegenseitig als Opponenten betrachten.

(Einschub: Ich muss gestehen, dass ich Sorgearbeit früher auch abschätzig betrachtete, und was meine Mutter als Hausfrau tat, sah ich nicht als Arbeit an. Seitdem ich selbst als Alleinerziehende versuche, Erwerbsarbeit, Haushalt und Kindererziehung zu jonglieren, hat sich meine Einstellung dazu gründlich geändert, und das gilt auch für pflegende Angehörige von alten Menschen und Kranken.)

Kinder zu haben ist ein Wettbewerbsnachteil auf dem Arbeitsmarkt

Besonders gut gefällt mir an dem Buch, dass Kinderlosigkeit nicht nur auf Frauen beschränkt wird, und dass auch die Männer in den Blick genommen werden. Und dass es sehr genau erklärt, dass weder Teilzeitarbeit noch die viel gelobte Vereinbarkeit von Familie und Beruf uns alle erlösen werden, weil die Vereinbarkeit in vielen Firmen auf dem Rücken der Kollegen ausgetragen wird, die keine Kinder haben. (S. 68)

Massenhaft Überstunden, Stress, ausfallende Pausen, mangelnde Trennung von Beruf und Privatleben, all das sind bekannte Problemfelder – aber dass Kinder ein Wettbewerbsnachteil auf dem Arbeitsmarkt sind (ich stehe, gemeinsam mit Arbeitsrechtlerin und Autorin Sandra Runge sogar auf dem Standpunkt, dass Elternschaft als Diskriminierungsmerkmal aufgenommen werden sollte), sagen wenige so deutlich wie Garsoffky/Sembach.

Familienpolitik: „Die Lage ist ernst und erfordert neue, mutige Ideen“

Auch die Ausrichtung der gesamten Arbeitswelt und Gesellschaft auf männliche Normen ist etwas, das im Buch thematisiert wird, und gleichzeitig kritisiert – Wasser auf meine Mühlen.

Kinder zu haben, darf nicht mehr als reine Privatsache betrachtet werden, die Familienpolitik muss vom Kind her gedacht werden, fordern Garsoffky und Sembach. Es lohnt sich, ihre Ausführungen zu unserem Rentensystem zu lesen (S. 112 ff. und S. 160 ff.), und auch die Idee eines Familienwahlrechts, einer Kinderrente oder der Herabsetzung des Wahlalters halte ich für Themen, die wir diskutieren müssen – und zwar bevor noch mehr Entscheider und Wähler steinalt und grau sind.

Das Buch hat viele gute Ansätze und legt den Finger in die Wunde unseres Sozialstaates. Meine Empfehlung: Unbedingt kaufen, auch verschenken – liest sich gut und macht klüger!

 

Susanne Garsoffky und Britta Sembach. Der tiefe Riss. Wie Politik und Wirtschaft Eltern und Kinderlose gegeneinander ausspielen. Pantheon Verlag, September 2017. IBN 978-3-570-55335-0. 256 Seiten für 15 € und 11,99 (Taschenbuch und E-Book)