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Gelesen: Alle Eltern können schlafen lernen von Heilmann/Lindemann

Vielleicht bin ich einfach nicht die Zielgruppe. Ich wollte dieses Buch mögen und in den höchsten Tönen loben, denn das Erstlingswerk der beiden Autoren Julia Heilmann und Thomas Lindemann  fand ich bemerkenswert. Das Buch „Kinderkacke“ war frech, polarisierend, ungewöhnlich. Damals hatte das Autorenpaar, das im echten Leben auch ein Paar ist, mich begeistert (Buchkritik von 2010 siehe hier).

Dieses Mal war ich beim Lesen ein bisschen gelangweilt. Gut, ich habe drei Kinder, die ich alleine erziehe, und bin ziemlich hartgesotten, was den Alltag mit den Kleinen betrifft. Und insofern kann mich ein schockierender Test der Eltern Heilmann/Lindemann, bei dem ein einziges Mal versuchsweise von 11 bis 18 Uhr an einem Samstag durchgehend DVDs laufen, nur müde lächeln lassen. Wenn ich mal krank bin oder trotz kranker Kinder im Home Office arbeite, dann bleibt mir gar nichts anderes übrig, als den Dingen freien Lauf zu lassen.

Auch, was „Die Leute denken“, „Gegessen wird, was auf den Tisch kommt“, „Räum dein Zimmer auf!“ und die meisten der Kapitel betrifft, die „Elternweisheiten auf den Kopf gestellt“ (so der Untertitel des Buchs) sein sollen, bin ich weitaus radikaler als die Autoren. Bei uns wird nicht nur gegessen, worauf die Kinder Appetit haben, sondern auch dann, wenn sie Hunger haben. Und zwar nur dann. Aufräumen mache ich meist selbst, und darüber, was die Leute denken, nachzudenken, versuche ich in meinen Kindern als äußerst unwichtige Nebensache zu verankern.

Trotzdem, es ist kein schlechtes Buch. Für junge Eltern, die das erste Kind bereits haben und sich fragen, wie das mit dem zweiten Baby gehen soll, das vielleicht gerade unterwegs oder geboren ist, kann das eine gute Lektüre sein, denke ich. Und auch zum Verschenken ist es bestimmt gut geeignet. Allerdings mit 16,99 € nicht ganz billig. Fluffig geschrieben und nicht dumm ist es auch. Aber eben nicht toll.

Gut gefallen haben mir die Kapitel, in denen es eher philosophisch zu geht: Das über Grenzen, über Gewalt und Fremdbetreuung von Kindern. Da blitzen die polarisierenden Ansichten durch, die ich einst so schätzte an den beiden Autoren. Kostprobe aus dem Kapitel „Kinder brauchen Grenzen“ gefällig?

Eltern brauchen ihre Grenzen, ihre Freiräume, ihren Platz – und nehmen sich das nicht. Das müssen sie aber unbedingt. Auch Eltern genießen Artenschutz. (S. 69)

Denn es ist wahr: „… ob nun Eltern oder Kinder die Grenzen brauchen“, ist entscheidend: „… auf diese Akzentverschiebung kommt es an, sie ändert alles.“ (S. 68) Ganz nebenbei erwähnt Thomas Lindemann, der dieses Kapitel schrieb, auch „Die Eltern. Deutschlands neuer Sündenbock“ (S. 69), denn es ist ja nach gängiger Ansicht die Schuld der Eltern, wenn die Kinder ihre Grenzen testen.

Julia Heilmann und Thomas Lindemann haben die 26 Kapitel auf 240 Seiten als Aneinanderreihung von persönlichen Essays unter dem Motto jeweils einer sogenannten „Elternweisheit“ (z.B. „Kinder brauchen Vorbilder“) gruppiert, und nur das Vorwort und das letzte Kapitel gemeinsam geschrieben. Vom Leseeindruck her macht das keinen großen Unterschied, positiv ausgedrückt ist das Buch stilistisch einheitlich, wenn man herummäkeln will, dann fehlt etwas der persönliche Stil. Aber das passt zu meinem Eindruck, dass die beiden insgesamt etwas stromlinienförmiger geworden sind in den letzten Jahren. Immerhin haben sie nun 3 Kinder und da hat man nicht viel Energie übrig, um anzuecken, denke ich mir.

Ein Stück weit kommen mir die einstigen Provokateure nun etwas ängstlich vor, als ob sie fürchteten, vom Jugendamt und der Großfamilie angegriffen zu werden für ihre zu Papier gebrachten Gedanken. Insgesamt erscheint mir Thomas Lindemann noch etwas spitzer, er formuliert schärfer, in dem er z.B. schreibt.

Wer findet, dass Kleinkinder einen Teil des Tages nicht bei ihrer Mutter verbringen, gilt in Deutschland als ein bisschen böse.

Behandelt man etwas, das eigentlich Ansichtssache ist, als Wahrheit, macht man seine Meinung zur Ideologie. (S. 177).

Die als Illustration eingestreuten Kinderkunstwerke und Fotos aus dem Familienalltag geben dem Buch eine persönliche Note, die man als dilettantisch abtun könnte, mir aber gefällt. Ebenso das Fazit, das Julia Heilmann und Thomas Lindemann im letzten Kapitel ziehen:

Spätestens beim dritten Kind haben wir gemerkt, dass ein starres Erziehungsregime nicht mehr funktioniert, dass wir flexibel bleiben müssen. (S. 237)

Und insofern kann dieses Buch vielleicht dazu beitragen, dass sich Eltern mit einem oder zwei Kindern vorstellen können, dass es auch ein Leben mit zwei oder drei Kindern gibt. Denn entscheidend, das kann ich unterschreiben, ist:

Die Fähigkeit, klare Ansagen zu machen. Und die Fähigkeit, loszulassen und weniger zu regeln. (S. 236)

Das gilt fürs ganze Leben. Und es ist tatsächlich „eine Art Weiterbildungsprogramm“ (S. 216) für Eltern. Kinder zu haben zwingt Eltern dazu, sich mit ihrer eigenen Vergangenheit, ihren eigenen Charakterzügen und ihren Vorstellungen von der Welt fast täglich auseinanderzusetzen. Und so bin ich sehr einverstanden, wenn Julia Heilmann schreibt:

Denn unsere Kinder stimulieren durch ihr Sosein unsere leicht unterbelichteten Seiten. Sie bringen uns Eltern an Grenzen, denen wir uns freiwillig nie genähert hätten. Sie bringen uns dazu, dass wir uns verändern. (S. 216)

Kaufen? Jein. Kommt darauf an, wo im Leben als Eltern man gerade steht. Verschenken an Menschen, die das zweite Kind bekommen? Ja, durchaus. Und falls Ihr Leute kennt, die das dritte Kind erwarten und noch Zeit zum Lesen haben, dann könnten die sich auch darüber freuen. :)

 

Julia Heilmann und Thomas Lindemann. Alle Eltern können schlafen lernen. Elternweisheiten auf den Kopf gestellt. Atlantik Verlag, 2014. 240 Seiten, 16,99 €. ISBN 978-455-700001-5.

Julia Heilmann und Thomas Lindemann. Kinderkacke. Das ehrliche Elternbuch. Hoffmann und Campe Verlag, 2010. 221 Seiten, 15 €. ISBN 978-3-455-501150-6.

Linktipp: Meine Buchkritik zu „Kinderkacke“ auf der liliput-lounge (2010).

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