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Gelesen: Problemkiez, Geborgen wachsen, Alleinerziehende, müde Mütter

Viel ist es ja nicht, was ich gelesen habe. Vor lauter Gemeinderatsunterlagen blieb mir im Sommerhalbjahr kaum Zeit für Bücher. Aber immerhin habe ich vier Bücher nach dem „Jeden Tag ein bisschen“ Prinzip geschafft.

Achja, und das neue Buch von Bernadette Conrad über Alleinerziehende hier im Blog schon lobend vorgestellt, plus Rainer Stadlers kritisches Buch zur Fremdbetreuung und berufstätigen Müttern besprochen – weniger lobend. Hier also meine neueste Auslese samt Urteil:

„Keine Angst, hier gibt’s auch Deutsche!“ von Thomas Lindemann
buch lindemann

Wenn ich jetzt nach Berlin ziehen würde, dann würde ich wahrscheinlich auch in Neukölln landen. Weil’s da etwas rauer zugeht, die Mieten noch bezahlbar sind, und es ein bunter, etwas schmutziger, vielfältiger Stadtteil ist.

Von daher habe ich Thomas Lindemanns Bericht aus dem „Leben im Problemkiez“ sehr gerne gelesen. Auch er hat drei Kinder, genau wie ich, und den Kulturschock mitzuerleben, wie er samt Familie aus dem Prenzlauer Berg ins wilde Neukölln zieht, insbesondere aus dem Blickwinkel von Eltern, ist unterhaltsam, lehrreich und spannend.

Lehrreich deswegen, weil Lindemann auch journalistisch an das Thema Gentrifizierung und Durchmischung geht: Er interviewt einen Iman, eine ehemalige Schulrektorin, einen Sozialarbeiter, einen Integrationsbeauftragten und die Bezirksbürgermeisterin, und streut zwischen den Kapiteln immer wieder Fakten ein – das können auch Speisekarten mitsamt Preisen sein, die ja auch etwas über den Geist des Viertels aussagen. Insgesamt 286 sehr kurzweilige Seiten, die auch ein Zeitdokument sind. Für 14,99 € eine Menge Lesespaß und Bereicherung.

„Geborgen wachsen“ von Susanne Mierau

geborgenwachsenEin Buch, das 100% zu Susanne Mieraus Blog passt, und ebenso wie die Texte, die sie dort schreibt, von sehr viel Empathie und der Bereitschaft zeugt, sich selbst zu hinterfragen.

Ich würde mir wünschen, dass es zu einem Standardwerk für Eltern, Pädagogen und alle Menschen wird, die beruflich mit Babys und kleinen Kindern zu tun haben – wenn mehr Eltern so bedürfnisorientiert und liebevoll mit ihren Kindern umgingen, dann wäre unsere Gesellschaft irgendwann deutlich friedfertiger, davon bin ich überzeugt.

Susanne Mierau liest sich flüssig, versorgt den Leser mit Fakten, schreibt aber trotzdem persönlich und authentisch. Und vor allem: die Autorin ist nie übergriffig, belehrend, dogmatisch. Das sind alles sehr angenehme Eigenschaften an einem Menschen. Dieses Buch ist es auch. Mit 16,99 € für 176 Seiten nicht billig, aber haptisch besonders schön.

Stark und alleinerziehend von Alexandra Widmer

buch alexandra widmerEin ganz neues Kaliber an Alleinerziehenden-Büchern: weder ein reines Selbsthilfebuch, noch ein klassisches Fachbuch, und auch kein Erfahrungsbericht – irgendwie hat Alexandra Widmer, die selbst alleinerziehende Mutter zweier Kinder und Therapeutin ist, das Kunststück vollbracht, all diese Genres zu einer Art Kompendium zu mischen.

Sehr sympathisch insbesondere, dass Alexandra Widmer auch von sich selbst erzählt, hier erleben wir die Therapeutin mal als Mensch, der auch gelegentlich überfordert ist und mit dem Alltag hadert. Am Ende stehen aber immer Lösungen, so wie das ganze Buch eindeutig lösungs- und nicht problemorientiert ist. Für 19,99 € bekommt man ein sehr schön übersichtlich gelayoutetes Buch mit vielen Fallbeispielen, Übungen und Tipps auf 252 Seiten.

„Müde Mütter, fitte Väter“ von Sybille Stillhart

buch stillhartMit 24 € (Taschenbuch, 142 Seiten) ziemlich teuer. Und ziemlich bitter obendrein. Autorin Stillhart, die zwar auf die Situation in der Schweiz fokussiert, aber Deutschland im gesamten Buch mit im Blick hat, geht der Frage nach, warum so vieles, was unter dem Begriff „Vereinbarkeit“ verstanden wird, zu Lasten der Frauen geht.

Sie selbst hat ihren Teilzeitjob gekündigt, weil sie ständig nur noch gehetzt war und den Kindern nicht mehr gerecht wurde – in diesem Buch befragt sie eine Gleichstellungsbeauftragte, den bekannten Wissenschaftler und Autor Remo Largo, etliche ihrer Bekannten und eine Burn-Out Spezialistin. Das Resultat fällt deprimierend aus:

„Mir begann zu dämmern, dass dieses Alles ist möglich-Gerede von Kind und Karriere nicht stimmen konnte… Das ist kein emanzipiertes Leben. Eher das einer Sklavin, die es allen Recht machen muss: dem Arbeitgeber, den Kindern, dem Mann… Heute weiß ich: Arbeitende Mütter haben nicht dieselben Chancen wie arbeitende Väter. Wirtschaft, Staat und Gesellschaft sind nach wie vor auf die männlichen Bedürfnisse ausgerichtet, und die Männer haben es sich darin eingerichtet.“ (S. 139, Fazit des Buchs.)

Ich rate, dieses Buch  nur zu lesen, wenn Ihr gerade nicht besonders wütend oder frustriert seid. Mich hat das nämlich ziemlich bedrückt. Aber Recht hat Sybille Stillhart. Leider ist das Buch weder schön gesetzt noch haptisch ansprechend, aber das Kapitel über die Rolle der Frau/Mutter und wie man Kinder in den vergangenen Jahrhunderten sah bzw. mit ihnen umging, ist ausgesprochen lesenswert. Falls Ihr das Buch in einer Bücherei findet, unbedingt ausleihen – kaufen würde ich es nicht (Und danke an die Leserin, die mir ihr gebrauchtes Exemplar zusandte!).