Stats

HomeBuchbesprechungenIris Bohnet: "What works." Buchempfehlung mit Gedankenexkurs

Iris Bohnet: „What works.“ Buchempfehlung mit Gedankenexkurs

Die Quintessenz von „What works“? „Wir haben zu viele Männer, die sich überschätzen und unterdurchschnittliches leisten, und zu wenige hochleistungsfähige, aber mit geringerem Selbstbewusstsein ausgestattete Frauen, die bereit sind, sich auf Konkurrenzsituationen einzulassen.“

Autsch – wer sagt denn sowas? Iris Bohnet (S. 209), und sie kann das alles sogar wissenschaftlich begründen. Bohnet ist Professorin für Verhaltensökonomie in Harvard, Schweizerin, Feministin und zweifache Mutter. Und sie ist in den USA eine gefeierte Buchautorin: Ihr Buch „What Works. Wie Verhaltensdesign die Gleichstellung revolutionieren kann“ wurde von Kritikern gelobt, interessiert diskutiert und empfohlen.

Subtile Beeinflussungsprozesse haben große Wirkung

Seit Herbst 2017 ist „What Works“ auch auf Deutsch verfügbar (geschrieben hat Bohnet auf Englisch, und das merkt man, einwandfreie Übersetzung hin oder her, auch beim Lesen am Duktus), und es lag für eine Weile auf dem Stapel der Rezensionsexemplare, die ich unbedingt noch lesen möchte, für die es aber Lesezeit am Stück braucht. Denn dies ist kein Buch fürs häppchenweise Lesen vor dem Einschlafen, oder fürs Wartezimmer beim Arzt, sondern ein zwar populärwisssenschaftliches, aber anspruchsvolles Buch voller Fakten mit umfangreichen Fußnoten und Quellenangaben, das jeden/jede, die an Gleichstellung interessiert ist, schwer schlucken lässt und nachdenklich macht.

Ende Dezember kam dann die Gelegenheit: Ich hatte eine längere Zugfahrt nach Magdeburg vor mir und packte Bohnets Buch ein. Und noch ein zweites, weil ich ja nicht wusste, ob mir „What works“ gefällt und/oder lesbar erscheint. Ich habe das zweite Buch gebraucht, um zwischendurch immer wieder zu verdauen, was ich bei Bohnet las: denn dass es SO schwierig sein würde, Gleichstellung zu erreichen, und wie subtil Beeinflussungsprozesse im Berufsleben und auch gesamtgesellschaftlich ablaufen, war mir trotz einer gewissen bereits bestehenden Grundbildung und auch durchaus vorhandener Grundernüchterung nicht klar gewesen.

Tatsächlich ist Bohnets Blick auf die Gleichstellung als Wirtschafts- und Politikwissenschaftlerin sowie Feministin äußerst verstörend. Zum Beispiel, dass scheinbar winzige Details, wie die Frage, ob auch Bilder von bedeutenden Frauen in Amtsfluren hängen, entscheidend dafür ist, ob Frauen und Mädchen sich trauen, für Ämter zu kandidieren, wissenschaftlich eindeutig nachweisbar eine Rolle bei der Erreichung von Gleichstellung spielen.

Dass Frauen in politischen Sitzungen meist weniger reden, gerade wenn sie mehr wissen als Männer, und dass sich das Redeverhalten positiv ändert, wenn entweder Vorbilder da sind oder ans Unterbewusste apelliert wird (selbst ein Bildschirmschoner kann einen Unterschied machen!) – dazu gibt es spannende Studien und Experimente. Und wie sehr wir alle, auch und gerade Frauen, auf Stereotype und Klischees hereinfallen, vor allem, wenn es um Bewerbungen und die Jobsuche geht.

Bohnet streut für ihre Thesen Studien aus aller Welt ein, von Afrika bis Skandinavien, und dröselt sauber auf, wo die Stellschrauben für Gleichstellung wären, wenn man sie denn erreichen will – und vor allem auch, warum frau sie überhaupt erreichen wollen sollte. Die Diversität von Teams, ihre Gruppenintelligenz, das Rivalitätsverhalten (wozu auch Mommy Wars gehören), und welche Konsequenzen das für Firmen und auch den Staat und die Gesellschaft hat, nichts lässt die Autorin aus. Es ist ein Buch, das einem beim Lesen leichten Schwindel verursacht, weil, Ihr ahnt es, alles mit allem zusammenhängt, und wir sind mittendrin.

Verhaltensökonomie erklärt, was Unterhaltsprellen, private Beziehungen und Gender Pay Gap miteinander zu tun haben

Besonders frappierend fand ich, wieviel ich für meinen Lebensbereich und auch die politische Lobbyarbeit für Frauen und Alleinerziehende ich aus dem verhaltensökomisch angelegten Buch ziehen konnte: So verstand ich auf einmal, warum Unterhaltsprellen okay ist, wenn es „alle“ machen und nicht sanktioniert wird, und wieso ich solches Bauchgrummeln dabei hatte, als es vor den Wahlen hieß, das Wechselmodell solle als Standard für getrennte Eltern im Gesetz verankert werden. (Weil es verhaltensökonomisch nämlich einen riesigen Unterschied macht, ob man sich gegen etwas entscheiden muss oder mit dem Flow geht!)

Wer wissen will, was wirklich hinter dem Gender Pay Gap steckt, und wieso es eben nicht reicht, wenn Frauen einfach fordernder und selbstbewusster auftreten, sich also an die männliche Arbeitswelt anpassen (sehr stark verkürzt: weil sie dadurch aufgrund der bestehenden Rollenzuschreibungen als unsympathisch wahrgenommen werden und somit rausgemobbt werden), und wieso das alles Auswirkungen auf unsere höchst privaten Lebensbereiche hat, nämlich den Haushalt und die Kinderbetreuung und Erziehung, für die es auch in der Paarbeziehung eine Verhaltesnökonomie gibt, dem lege ich dieses Buch dringend ans Herz.

Sichtbarkeit, Quoten und Qualität – What works

Was ich für mich als „Bonbon“ mitnehme: Wie wichtig Sichtbarkeit ist, um ein Thema weiterzubringen, die Welt ein bisschen zu verändern, und selbst vorwärts zu kommen, erkärt Iris Bohnet auch in diesem Buch, und begründet damit, wieso Quoten eine sehr sinnvolle Sache sein können (Und vor allem: wieso Quoten der Qualität nicht schaden, wie immer behauptet wird!). Irgendwie gewusst habe ich das zwar schon immer, aber wissenschaftlich belegt zu bekommen, was einen umtreibt, ist eine schöne Bestätigung fürs eigene Tun. Auch wenn noch so wahnsinnig viel zu tun ist.

Iris Bohnet. What works. Wie Verhaltensdesign die Gleichstellung revolutionieren kann. Verlag Ch. H. Beck August 2017. ISBN 978-3-406-71228-9. 381 Seiten für 26,95 € und 21,99 € (Hardcover und E-Book)

Linktipp: Hintergrundartikel zu Iris Bohnet und ihrem Wirken in der Schweizer Weltwoche