Ganz unvoreingenommen bin ich an dieses Buch nicht herangegangen, das muss ich vorwegschicken.
Malte Welding lese ich gern, er hat mich mit seinem Text über die Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen, als er werdender Vater war, sehr beeindruckt, und was ich bisher von ihm las, war immer gut. Aaaaber – so ging’s mir mit dem geschätzten Autorenpaar Lindemann/Heilmann auch, deren Buch Kinderkacke ich in den Himmel lobte, und deren zweites Werk ich hier auch gerne vorstellte, aber von dem ich im Vergleich mit dem Erstling etwas enttäuscht war.
Ich fange mal mit dem weniger Positiven an. Erstens: das Cover. Wer, um Himmels Willen, hat sich das ausgedacht!? Ein schreckliches Kind mit einer Original Ray Ban Pilotenbrille, das sich ein Handy ans Ohr hält und den Mund blöde aufgerissen hat? Ich habe extra im Impressum nachgeschaut, das ist nicht der Sohn von Malte Welding, der muss ja auch jünger sein, sonst hätte ich das anders ausgedrückt. Und wer sich das ausgedacht hat, steht auch im Buch auf S. 4, wie das so üblich ist. Okay, es ist ein Hingucker. Aber vor allem ein Gruseliger. Nun bin ich kein Vater, vielleicht gefällt so etwas Vätern? (Feedback, bitte?).
Was mich gleich zum nächsten Punkt bringt: Ich habe das Buch gerne gelesen, und zwar an zwei Abenden in quasi einem Rutsch. Mir gefällt Malte Weldings Einstellung, er ist quasi das Musterexemplar eines modernen Vaters, und trotzdem kam mir dieses Buch nicht so nahe wie Maya Dähnes „Deutschland sucht den Krippenplatz“, das ich mit höchstem Vergnügen las, und das sowohl unterhaltsam als auch fachlich fundiert und verzweifelt war. Man spürt den Mann, Menschen und Vater Malte Welding gelegentlich, aber er kommt unter den ganzen Fakten so selten durch. Dabei ist Maya Dähnes Buch auch voller Fakten. Vielleicht, dachte ich mir, ist das eher ein Buch für Männer. Damit wäre es, soweit ich weiß, ein Marktlückenfüller in genau diesem Bereich der Bücher über Vereinbarkeit und Familie, und das ist ja auch fein.
So, und nun zum Lob. Der Mann hat Recht: Eltern und Menschen mit Kinderwunsch müssen endlich lauter, hörbarer, energischer werden. Wenn der Staat möchte, dass wir Kinder in die Welt setzen, aus welchen Motiven auch immer, dann sollte er diesen Wunsch unterstützen. Vielleicht würde es schon reichen, Eltern weniger Steine in den Weg zu legen, steuerlich, arbeitsrechtlich, aber auch gesellschaftlich.
Es kommen übrigens auch Alleinerziehende vor (S.64 f.), und auch da wartet der Autor mit den zutreffenden und erschreckenden Zahlen über steuerliche Benachteiligung, Hartz-IV-Bezug und Kinderarmut auf. Dafür gibt’s von mir einen weiteren Sympathiepunkt.
Welding sieht die Probleme, er kann sie präzise benennen und hat auch Ansätze, wie das Dilemma zu lösen sei (doch ein Männerbuch, ich sag’s ja). Anekdotisch eingestreute Fakten aus anderen Lebenswelten machen das Buch bunt, so das Elternparadies im finnischen Tampere, oder die Väter in Neu-Guinea, die ihre Babys an ihren Brustwarzen saugen lassen. Aber immer wieder kommt er auf unser grundlegendes Dilemma zurück: dass Vereinbarkeit in Deutschland solche Schwierigkeiten bereitet und zu einer der geringsten Geburtenraten der Welt führt, ist ein strukturelles, kein individuelles Problem. Dazu mein Lieblingszitat aus dem Buch, das sich alle Eltern hinter die Ohren schreiben sollten. Es geht um Gleichberechtigung:
Da die meisten modernen Paare auf die Idee der Gleichheit … nicht verzichten wollen, bleibt ihnen letztlich nur die Möglichkeit, die fortbestehenden Ungleichheiten zu leugnen oder so zu tun, als seien sie das Ergebnis einer bewussten Entscheidung.“ (S. 143)
DAS ist Deutschland in einem Satz, und es ist tragisch, denn so lange geleugnet wird, dass es überhaupt Handlungsbedarf gibt, wird nichts passieren. Die Familie ist die Keimzelle der Gesellschaft, sagt man. Und wenn wir dort, im Privaten, nicht anfangen, die Dinge beim Namen zu nennen, dann können wir kaum erwarten, dass die Politik angemessen reagiert. Das wäre nämlich der nächste Schritt, nicht nur wählen zu gehen, sondern selbst politisch aktiv zu werden. Amen.
P.S: Die auf S. 136 ins Spiel gebrachte Frauenquote mit einem Babybonus würde ich befürworten. Und ebenso das Wahlrecht ab Geburt, das von den Eltern ausgeübt wird, das Welding auf S. 66 erwähnt („Ein Freund schrieb mir…“ vielleicht doch sein vorsichtiges Alter Ego?). Nennt mich radikal, aber ich denke, das wäre geeignete Maßnahmen, um die Geburtenrate und die Zufriedenheit von Frauen/Müttern zu erhöhen. Und somit auch die der Kinder, der Väter, der gesamten Gesellschaft. Kinder zu haben ist KEIN Egotrip.
Fazit: Kaufen, ja oder nein? Ja! Und an Männer verschenken. Oder einfach, um informiert zu sein. Ein gutes Buch zum Thema Vereinbarkeit.
Malte Welding. Seid fruchtbar und beschwert euch! Ein Plädoyer für Kinder – trotz allem. Kiepenheuer & Witsch 2015. Taschenbuch mit 203 Seiten für 13,99 €. ISBN 978-3-462-04708-0.
Linktipps: Meine Rezension zu „Kinderkacke“ von Lindemann/Heilmann auf der liliput-lounge aus dem Jahr 2010
Hier im Blog: Rezension „Alle Eltern können schlafen lernen“ von Lindemann/Heilmann 2014
Rezension „Deutschland sucht den Krippenplatz von Maya Dähne 2013
Rezension „Die Alles-ist-möglich-Lüge“ von Garsoffky/Sembach 2014
FAZ: Malte Welding „Gedanken eines werdenden Vaters“ aus dem Dezember 2012
Disclaimer: Dieser Blog ist journalistisch frei und kooperiert (bis auf das Rezensionsexemplar, das ich mir auf Wunsch zusenden lasse) weder mit den jeweiligen Verlagen noch mit Osiander, wohin der Kauflink führt. Hier wird nur vorgestellt, was mir gefällt oder zumindest interessant ist.