Stats

HomeBuchbesprechungen"Vater, Mutter, Staat" von Rainer Stadler #Vereinbarkeit

„Vater, Mutter, Staat“ von Rainer Stadler #Vereinbarkeit

Der Untertitel von Rainer Stadlers Buch „Vater, Mutter, Staat“, nämlich „Das Märchen vom Segen der Ganztagsbetreuung – Wie Politik und Wirtschaft die Familie zerstören“ ist ja schonmal recht provokant – aber ich kann ganz ruhig sein, mein eigenes Buch trägt einen ganz ähnlich aufgebauten Untertitel, das ist wohl gerade Mode.

Schön anzufassen ist es, das Buch, schlüssig argumentiert, aber eben sehr einseitig (so hebt Stadler die hohe Erwerbsquote bei den deutschen Frauen hervor, vergisst aber zu erwähnen, dass diese oft in Teilzeit arbeiten, speziell, wenn sie Kinder haben), und die Befürworter von Krippen- und Kitabetreuung kommen durch die Bank schlecht weg, als hätten sie irgendetwas Entscheidendes nicht verstanden – leider kann Stadler mir nicht erklären, was das ist. Gerade als Feministin, die nach jeder Geburt früh wieder Lust hatte, zu arbeiten, und das auch in Vollzeit, hatte ich beim Lesen ständig den Eindruck, dass ich in den Augen des Autors meine Mutterschaft nur mangelhaft ausübe.

Frauen, die früh wieder arbeiten gehen, werden im Buch als fehlgeleitete Wesen dargestellt, weil doch eigentlich jeder Lust haben müsse, möglichst viel Zeit mit seinem Kind zu verbringen, und das Kind am allerbesten von seinen Eltern lerne. Eigentlich sei auch Homeschooling gar nicht so schlecht, und obwohl das so nirgendwo im Buch steht, klingt es so, als finde Stadler, so wie es in den 70er Jahren war, sei’s ganz gut gewesen: maximal 3-4 Stunden Betreuung für Kinder, und Kinder unter 3 sollen zuhause bleiben.

Kinder werden heute zu früh von ihren Eltern getrennt, und Schuld daran hat die böse Wirtschaft, so die Kernaussage, denn die Politiker fressen der Wirtschaft aus der Hand und übersehen die Bedürfnisse der Familien. Diese Ansicht, auch wenn in Sachen Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch viel zu tun ist, kann ich absolut nicht teilen. Familienfreundliche Politik kann in meinen Augen durchaus bedeuten, dass man den Erwachsenen auch die Möglichkeit gibt, Zeit ohne ihre Kinder zu verbringen, denn manche arbeiten sogar richtig gerne. Wenn es soooo toll wäre, den ganzen Tag bei den Kindern Zuhause zu sein, dann würden sich die Väter schon längst darum reißen!

Aber eines muss ich dem Autor sehr zugute halten: dass auch die Männer gefordert wären, sich bei der Familienarbeit mehr einzubringen, und dass es nicht gut ist, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf immer noch als Frauenproblem gesehen wird, benennt er ganz klar. Wahlfreiheit sei das Ziel, sagt er ähnlich wie die frühere Familienministerin Kristina Schröder, und befürwortet das Betreuungsgeld, das seiner Meinung nach noch wesentlich höher hätte ausfallen müssen.

Natürlich wäre etwas mehr Zeit und weniger Hetze nett, so wie die von Manuela Schwesig zu Beginn ihrer Amtszeit vorgeschlagene 32-Stunden Woche für Eltern bei vollem Lohnausgleich. Aber jahrelang ganz oder vorwiegend Zuhause bleiben? Dann können wir gleich das bedingungslose Grundeinkommen einführen und gucken, wer dann noch Lust hat, zu arbeiten – ich halte die Idee für gar nicht so absurd.

Fazit: Interessant, wenn man die Argumente der Krippengegner und der Ganztagsbetreuung kennen will. Das letzte Drittel war ziemlich zäh zu lesen. Und obwohl durchaus lesenswert, insgesamt zu dogmatisch. Ich möchte kein schlechtes Gewissen gemacht bekommen, weil ich mich für eine frühe Fremdbetreuung entscheide. Und schon gar nicht will ich indoktriniert werden, dass ich meinem Kind damit nachhaltig schade – denn wie immer gibt es auch reichlich Studien, die sämtliche Kernthesen des Buches komplett widerlegen.

Rainer Stadler. Vater, Mutter, Staat. Das Märchen vom Segen der Ganztagsbetreuung – Wie Politik und Wirtschaft die Familie zerstören. Ludwig Verlag 2014, ISBN 978-3-453-28061-8. 272 Seiten für 19,99€.