Als ich im Sozial- und Jugendhilfeausschuss erwähnte, dass ich mir für Konstanz Kindergärten wünsche, die rund ums Jahr geöffnet haben, sah mich die freundliche Kindergartenleitung, die ich schon lange kenne, irritiert an. „Aber die Kinder brauchen doch Ferien!“, wandte sie ein und schüttelte entsetzt den Kopf. Ja, das ist sicher so. Nur haben die Eltern nicht so viel Ferien wie ihre Kindergarten- und insbesondere ihre Schulkinder.
Wer eine Kita mit nur 30 Tagen Schließzeit erwischt hat, darf sich glücklich schätzen in meiner Stadt. Dazu kommen noch diverse Schließtage durch Fasnacht (jeweils halbe Tage), Betriebsausflüge, pädagogischen Tag, früheres Schließen am Tag vor Weihnachten und für den Nikolausausflug, usw. und so fort.
Eltern müssen ziemlich flexibel sein – und zwar gegenüber der Kita, die den Lebensrahmen und indirekt auch den Familienurlaub vorgibt, dem Arbeitgeber und natürlich den Kindern, die krank werden können oder wichtige Arzttermine haben. Für Selbstständige gilt das in noch höherem Maße: da verlangen Kunden termingerechte gute Arbeit – egal, was im Hintergrund zuhause läuft. Und ohne Abgabe kein Geld und keine Folgeaufträge. So einfach ist das.
Kommen die Kinder in die Schule, dann wird es noch schlimmer. Sie sind zwar größer, aber die Ferienzeit beläuft sich nun auf 13-14 Wochen. Das ist nicht zu wuppen. Ein normaler Arbeitnehmer hat 28-32 Tage Urlaub pro Jahr. Selbst bei zwei Elternteilen, die einen total familienfreundlichen, superflexiblen Arbeitgeber haben, können Paare mit Schulkindern maximal 12 Ferienwochen abdecken. Gemeinsamen Urlaub hätten sie dann nicht, als Familie. Für Alleinerziehende potenziert sich das Problem: viele erfahren keine Unterstützung durch den Ex-Partner und haben sowieso kein Geld, um in den Urlaub zu fahren.
Also müssten die Großeltern her, finden manche, Die aber haben wir dem Dogma der Mobiliät geopfert. Wir sind zum Studieren in eine andere Stadt gegangen, haben für diverse Jobs den Wohnort gewechselt, und leben nun weitab von familiärer Unterstützung. Außerdem haben wir mit dem Kinderkriegen so lange gewartet, bis wir mit dem Studium fertig waren und erste Berufserfahrung hatten. Unsere Eltern sind zu alt, um mal eben schnell auf quirlige Kinder aufzupassen. Oder aber sie reisen um die Welt und genießen den Ruhestand; andere Eltern sind noch voll berufstätig – selbst 30-jährige Eltern mit Großeltern vor Ort können nicht darauf bauen, dass Oma und Opa als Ferienbetreuung einspringen.
Klar, es gibt Ferienprogramme, sogar welche, die von städtischer Seite finanziell gut unterstützt werden, wenn man Anträge stellt und die Bedürftigkeit nachweist. Nur habe ich zumindest Skrupel, meine Kinder zu zwingen, dort hinzugehen – sie wollen es nämlich nicht. Zuhause wollen sie sein und mit ihren Freunden spielen in den Ferien. Da bin aber auch ich und versuche zu arbeiten, Schulferien hin oder her. Denn ich bin selbstständig, weil mich keiner mehr einstellen wollte mit drei kleinen Kindern und weit über 40.
Es ist anstrengend, sich um drei Kinder zu kümmern, selbstständig zu arbeiten und keinerlei Unterstützung zu haben. Und es war beleibe nicht so geplant. Aber ich mache das nun und bin meistens zufrieden.
Aber wenn ich dann, wie gestern in der FAS, lesen muss, dass Eltern mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen sollten, und wer das nicht wolle, eben keine Kinder bekommen solle, dann packt mich die kalte Wut. Schlägt Autorin Becker in diesem Zwiegespräch ernsthaft vor, dass Menschen mit Kinderwunsch sich von Schulferien-Gedanken davon abhalten lassen sollten Nachwuchs zu zeugen? Müssen wir nicht eher die Umstände kinderfreundlicher gestalten als noch mehr Menschen davon abzuhalten, Kinder in Deutschland zu bekommen?
Vor ein paar Tagen erst machte die Meldung die Runde, dass Deutschland mittlerweile die niedrigste Geburtenrate weltweit hat. Mich wundert das überhaupt nicht. Denn genau DAS ist unser Problem: große Teile der Gesellschaft finden, Kinder seien Privatsache, wie ein Hund, man müsse alleine damit klarkommen, wenn man sich erstmal sowas angeschafft habe. Aber unser Rentensystem ist nicht auf Hundesteuer aufgebaut. Das Private ist politisch in diesem Fall, es geht alle etwas an!
Als ich die Kinder bekam, habe ich keine Sekunde darüber nachgedacht, wie ich später die Schulferien organisieren werde. Ich dachte, das ließe sich schon hinbekommen. Ja, ich war naiv. Denn dass Eltern so sehr im Regen stehen gelassen werden, wie das bei uns der Fall ist, konnte ich mir nicht vorstellen. Auch, dass Mütter bei Bewerbungsrunden diskriminiert werden oder nach der Elternzeit aus dem Betrieb gemobbt werden, lag jenseits meiner Vorstellungskraft.
Da hat Deutschland ganz schön Glück gehabt, denn ich habe mich sogar auf drei Kinder eingelassen. Aber hey, eigentlich sollte ich die wohl gar nicht haben. Denn ich wünsche mir oft, weniger Zeit mit meinen Kindern zu verbringen, und mehr Zeit für mich alleine oder für meine Arbeit zu haben. Und das ist in Ordnung so, weil meine Situation eine besondere ist. Es bedeutet nicht, dass ich meine Kinder nicht liebe. Sondern dass ich stets am Rande der Überlastung den Alltag jongliere. Wie viele andere Eltern auch, die nicht alleinerziehend sind.
Wir brauchen Sympathie und Wertschätzung, bessere Kinderbetreuung (auch qualitativ!) und gerne auch die 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, wie von Frau Schwesig vorgeschlagen. Aber eins brauchen wir sicher nicht: Journalistinnen, die uns vorschreiben, wer Kinder bekommen sollte und wer nicht.
Linktipps: Artikel in der Frankfurter Rundschau „Frauen haben kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt“ vom 14.05.2015
Artikel in der „Die Welt“ vom 29.05.2015: „Deutschland hat die niedrigste Geburtenrate weltweit“