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Alleinsorgend: Die Sorgen mache ich mir ganz allein

Liebes Büro, ich vermisse dich! (Ein Text über Sorgen. Und Sorgerecht.)

Ich wäre so gerne im Büro. Es fehlt mir, einen Arbeitsplatz zu haben, Kollegen und Freunde dort im Job, ein gemeinsames Ziel und Projekte, und natürlich fehlt mir auch das feste Gehalt. Ich bin nicht gerne selbstständig, wollte das auch nie sein, und schon gar nicht wollte ich am Wohnzimmertisch arbeiten, zum Drucken in den Keller gehen, und keine klare Grenze zwischen Zuhause und meiner Arbeit haben.

Aber ohne Arbeit kann und mag ich nicht sein, also arbeite ich von Zuhause aus. Zuhause warten die Sorgen, ich stehe mit Sorgen auf und gehe mit Sorgen ins Bett. Sie begleiten mich an meinen Schreibtisch und melden sich mal in Form von Bauchschmerzen, mal als Rückenschmerzen, mal als tiefer Seufzer, den ich nur bemerke, weil die Jüngste fragt: „Mama, was ist?“

Die Sorgen werden nicht kleiner, wenn die Kinder größer werden, das haben meine Eltern schon gesagt. Dass sie größer werden, erdrückender, das haben sie nicht gesagt, weil es auch nicht so war bei meinem Bruder und mir. Geldsorgen hatten meine Eltern auch nicht, und sie hatten einander. Sie hatten es gut, das sagen sie selbst.

Ich hingegen hadere. Ich hadere damit, dass ich sehr wahrscheinlich nie wieder in einem Büro arbeiten werde, weil es unwahrscheinlich ist aufgrund meines Alters (50+), und weil die Jüngste mich braucht. Ich muss abrufbar sein, jederzeit, wenn die Schule anruft, ich muss für sie da sein im Alltag, sie braucht mich als Autistin mehr als die anderen Kinder mich gebraucht haben. Und welche Schule überhaupt, wie soll das weitergehen? Niemand weiß, was zu tun ist, wohin mein Kind passt, welche Institution sie überhaupt aufnimmt. Zu allem Überfluss bin ich durch das gemeinsame Sorgerecht an die Unterschriften des Exmannes für alles mögliche gebunden, und der zahlt weder Unterhalt, noch unterschreibt er nötige Dinge für die Beschulung und andere Maßnahmen, sodass mein Eilantrag auf Unterschriftenersetzung seit knapp 3 Wochen beim Familiengericht liegt. Eine Vorladung wird folgen, und weitere Unterschriftenersetzungen sehe ich jetzt schon am Horizont, denn überall braucht es seine Unterschrift.

Eine Betriebsprüfung ist angekündigt, das ist Routine für Betriebe, die Minijobber beschäftig(t)en, aber nervig. Und albern, denn ich habe keine Firma, sondern bin Kleinunternehmerin. Die Steuer 2018 muss ich machen, und Kindergeld zurückzahlen, weil die Große anstatt sofort ein Studium aufzunehmen erstmal jobbt. Das muss sie auch, denn sonst kriegt sie nie das Geld für den Auszug (Miete, Kaution, Möbel) zusammen. Steuerklasse 2 ist futsch, weil sie noch hier wohnt – obwohl zwei weitere Kinder unter 18 Jahren bei mir leben. Dem Staat ist das egal, der sieht uns nun als Wirtschaftsgemeinschaft, die Große und mich. Natürlich will ich ihr nicht anteilig Miete und Lebenshaltungskosten abziehen von ihrem hart erarbeiteten Geld. Viel lieber würde ich ihr etwas dazugeben, aber das ist nicht drin.

Wie soll hier endlich mal Ruhe einkehren? Muss ich demnächst auch noch das alleinige Sorgerecht einklagen, damit ich umziehen kann, falls es hier in Konstanz für mich nicht weitergeht? Denn einfach so umziehen, zum Beispiel nach Freiburg, wo es ein Autismuszentrum gibt, eine größere Auswahl an Schulen, und ich Verwandte habe, darf ich auch nicht beim gemeinsamen Sorgerecht. Dass der andere Elternteil sich seit 10 Jahren nicht kümmert, spielt dabei keine Rolle. Isso, Gesetzeslage, Pech gehabt.

Das Internat vom Sohn, bei dem er die Schule liebt, aber das Vonzuhausefortsein hasst, wie soll es damit weitergehen? Finden wir eine andere Lösung, die ihm die nötige Ruhe und Sicherheit gibt, und bei der auch die Schule zu ihm passt? Und wie soll ich das Finanzloch stopfen, das trotz Förderung vom Jugendamt durch seine auswärtige Unterbringung bei mir entsteht? Sein Zimmer hier muss ja trotzdem weiterhin gezahlt werden, die laufenden Kosten bleiben. Schaffen wir es, dass Jüngste und er wieder zusammen hier wohnen, obwohl Fachleute sagen, das würde nicht gutgehen?

Und die Große: Wird sie eine Wohnung finden, und wie wird es ihr in der neuen Stadt ergehen, in der sie zum Studieren geht? Wie wird sie das schwierige Verhältnis zu ihrem Vater verarbeiten und ihr Aufwachsen im Elternhaus bei mir, in dem ihr die autistische Schwester so oft den letzten Nerv geraubt hat, und in dem es an Leichtigkeit fehlte?

Meine Eltern sind alt, ich sorge mich auch um sie. Krankheit, Krankenhaus, Krebs, ich würde mich gerne mehr kümmern, aber wann und wie!?

Sorgen über Sorgen. Wie ich dabei für mich selbst sorgen soll, das ist die große Frage. Und wie lange meine Gesundheit das noch mitmacht, denn dass so eine Dauerbelastung nicht förderlich ist, kann ich mir ausrechnen. Ich hab keine Lust mehr, mit Sorgen aufzuwachen und mit Sorgen einzuschlafen. Sie sitzen auf meiner Schulter wie schwarze Raben, sie drücken aufs Gemüt, und das ist mir zu kostbar, um es den Sorgen zum Fraß hinzuwerfen.

Ich trage Sorge. Eigentlich müsste es nicht „Alleinerziehende“ heißen, sondern „Alleinsorgende“. Denn das bin ich. Die Sorgen mache ich mir ganz allein. Aber ironischerweise habe ich die alleinige Sorge nicht. Das ist doch alles bekloppt.