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Wie geht’s dir, Christine? Leben im Standby-Modus

Jetzt also auch noch Feiertage. Heute war der zweite Tag in Folge seit Beginn der Coronakrise, an dem ich morgens eine ganze Weile überlegen musste, welcher Wochentag heute ist.

Gestern wachte ich auf und dachte, es sei Sonntag, aber weil ich am Vorabend Let’s Dance geguckt hatte, musste offenbar Samstag sein, und heute war nicht Montag, obwohl ich davon beim Aufwachen überzeugt war. Der Himmelfahrts-Feiertag hat mir den Rest gegeben, alle Tage sind gleich, mehr oder weniger, und das seit über 2 Monaten schon.

Mein Leben plätschert ereignislos vor sich hin, ich habe so viel Zeit wie zuletzt als Studentin in den Semesterferien, aber anders als damals kein Ziel – nur überleben, ohne seelischen und körperlichen Schaden diese Coronakrise überstehen, und das gelingt ganz gut.

Das tut es aber nur, weil meine Kinder nicht mehr klein sind und die Beschulung meiner Kinder Zuhause eh unter anderen Voraussetzungen stand als im „Normalhaushalt“, denn meine 11-jährige autistische Tochter lernt nur, was sie will und interessiert, da kann ich mich auf den Kopf stellen, und mein 14-Jähriger Sohn muss sein Pensum in Eigenverantwortung schaffen – stofflich ist es einfach für ihn, er muss sich nur aufraffen. Ich hab also keinen Stress mit Homeschooling, worüber ich sehr froh bin, wenn ich so lese, wie es anderen gerade geht.

Coronakilos: Auf einmal passen mir die Klamotten in Größe 38

Es ist tatsächlich ein Leben komplett ohne Stress gerade. Da ist nichts, was mich anstrengt oder überfordert, ich tue nur noch, worauf ich Lust habe. Und da ich viele Jahre viel zu viel getan habe, möchte ich jetzt sehr viel Nichtstun. Die Erschöpfung will gut auskuriert werden, ich lese kein Buch, das ist mir zu anstrengend, ich lege mir keine neuen Hobbys zu, ich mache keinen Sport.

Na gut, ich habe Jüngstes Zimmer gemalt, und natürlich erledige ich die Dinge im Haushalt, die zu tun sind. Ansonsten aber schlafe ich jede Nacht 10 Stunden, lasse mir viel Zeit beim Teetrinken am Vormittag, lese dies, das und jenes im Internet, gehe spazieren und schaue aus dem Fenster. Ich führe ein Rentnerleben, und davon fühlen sich einige Rentner wahrscheinlich beleidigt, weil die meisten wesentlich aktiver sind als ich gerade.

Kinderzimmer
Jüngstes Zimmer

Mein Kalender ist leer

Die Stadtratssitzungen fallen aus, nur die Fraktionssitzungen finden statt, das ist mein einziger fester Termin in der Woche – jeden Montag ab 18:30 tagen wir auf Zoom. Kein Bildungsausschuss, kein Sozialausschuss, keine Reise nach England im Rahmen der Städtepartnerschaft, nur der Gemeinderat tagt noch mit körperlicher Präsenz, das aber mit etwa halbierter Besatzung. Daran habe ich vergangene Woche teilgenommen für meine Fraktion, und es war zwar schön, wieder unter Menschen zu sein, aber auch total erschlagend. Ich war platt nach den 5 Stunden, die das gedauert hat.

Inzwischen passe ich in Kleidergröße 38, weil ich mehr herumsitze, keinen Stress mehr habe, und mehr Zeit zum Essen habe, und das fühlt sich okay an, weil ich meine Kleider eh immer etwas größer gekauft habe, ich hab’s gerne weit. Nun passen mir meine Klamotten, was zwar gewöhnungsbedürftig ist, aber immerhin muss ich mich nicht komplett neu einkleiden.

Nebenwirkung: Der Körper muckt in der Coronakrise

Das langsamere Leben und das Fehlen von geöffneten Schwimmbädern finden meine Knie nicht so gut, die tun mir seit ein paar Wochen weh, aber so ist das halt, wenn man auf die Mitte 50 zugeht. Da soll mein Internist mal eine Überweisung zum Orthopäden schreiben, wenn ich demnächst den Vorsorgetermin habe, um den Verlauf der Autoimmunerkrankung zu beobachten.

Arthrose ist eine der möglichen Begleiterscheinungen meiner Erkrankung, und tja nun, es sieht so aus, als würde mich das nun begleiten. Genauso wie die anderen Dinge, die dazugehören. Ich habe auch wieder schmerzende Haarwurzeln und ein Druckgefühl im Bauch, auch das muss ich abklären lassen. Covid 19 sollte ich jedenfalls nicht bekommen, denn wie mein eh schon Harakiri laufendes Immunsystem darauf reagiert, weiß niemand bei einer so seltenen Erkrankung, wie ich sie habe.

Zum Schluss noch 3 aktuelle Podcast-Empfehlungen

Ich gucke fern, ich lese viel im Internet, ich koche. Mir fehlen die anderen Erwachsenen noch mehr als sonst, und mir fehlen die vielen kleinen nahen Begegnungen und Berührungen, die netten Gesten, menschliche Nähe halt. Das Internet ist kalt geworden, viele, an denen mir liegt, scheinen sich zurückgezogen zu haben, oder es geht ihnen wie mir, sie haben das Gefühl, sie hätten nichts zu sagen gerade.

Apropos sagen: Früher, also vor der Coronakrise, gehörte ich zu denen, die fast nie Podcasts hörten. Das hat sich jetzt geändert. Ich habe auf einmal Zeit dazu. Deswegen hier drei Empfehlungen:

  1. Sexy und bodenständig, der Entlastungs-Podcast für Autor*innen mit Till Raether und Alena Schröder, Folge 29 „Familie“ als (Stör-)Faktor für schreibende Menschen – 50 Minuten lang. Veröffentlicht am 24.05.2020
  2. Vaterzeit von Heiner Fischer, „Prinzessinnenjungs“, ein Gespräch mit Nils Pickert über Jungs, deren Sozialisation und Rollenbilder – 36 Minuten lang. Veröffentlicht am 24.05.2020
  3. Das Politikteil von der ZEIT mit Ileana Grabitz und Marc Brost, diesmal im Gespräch mit Janina Kugel „Warum habt Ihr nicht lauter geschrien, #Coronaeltern?“, in dem u.a. die Frage diskutiert wird, ob der Staat in der Pflicht ist, Rahmenbedingungen für Familien zu schaffen, unter denen sie klarkommen – oder ob das alles eher Privat- und Aushandlungssache ist. 62 Minuten lang, veröffentlicht am 22.05.2020

Und Insta Live ist in mein Leben getreten!

Ich habe auch vorher keine Insta Live Videos geschaut, was sich mit der Coronakrise geändert hat. Angefangen habe ich mit Karla Paul, bekannt als Buchkolumne, die sich mit dem Psychologen Michael Thiel unterhielt, weitergemacht mit Jasmin Schreibers Lesung von Marianengraben, und gestern hab ich mir Bob Blume, bekannt als Netzlehrer, im Gespräch über Schule und Bildung mit Dunja Hayali auf Insta angesehen. Das macht in Zeiten, in denen ansonsten halbwegs geistvoller Austausch rar gesät ist, durchaus etwas wett. Es ist ein bisschen wie Gesellschaft haben – aber eben auch nur ein bisschen.

Last not least habe ich Mitte April auch selbst einen Podcast aufgenommen, weil Lisa Ortgies mich für Family Unplugged gebeten hat, von meinem Leben mit autistischem Kind in der Coronakrise zu berichten, und an einer Diskussionsrunde mit Franziska Brantner zum Thema Alleinerziehende in der Coronakrise teilgenommen, die man noch auf youtube anschauen kann.

So, nun wisst Ihr, wie’s mir geht. Über Kommentare freue ich mich dieser Tage besonders, egal ob hier oder in den Social Media – wie ist es euch ergangen?