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Kleine Tabus: ein Jungshaarschnitt für ein kleines Mädchen

„Da hätte die Frisörin doch einen Mädchenschnitt machen müssen!“, entrüstete sich meine Nachbarin, die selbst das Frisörhandwerk gelernt hat, und schaute ungläubig auf meine 4-jährige Tochter, die sie bis dato mit einem Pagenkopf und Pony kannte. „Irgendetwas mit längerem Deckhaar, es gibt so niedliche Schnitte!“ Ich schüttelte den Kopf und wiederholte den Satz, den ich seit dem Frisörbesuch schon ungefähr 50 Mal gesagt hatte: „Sie wollte Haare wie ein Junge, ausdrücklich.“

Aber von vorn. Der Sohn hatte die Haare 1 Jahr lang wachsen lassen, bis es ihm zu warm wurde – Mitte April, als die Sonne rauskam, ließ er sich bei unserer Kinderfrisörin seine Sommerfrisur verpassen, raspelkurz, wie jedes Jahr.

Seine kleine Schwester guckte interessiert dabei zu, wie die Haarpracht fiel. Und wurde einige Tage später neidisch: so kurze Haare wollte sie auch. Kämmen darf ich ihre Haare sowieso nicht (das war auch schon bei der ältesten Tochter ein Problem, das sich erst mit Einsetzen der Pubertät in Luft auflöste), und nachdem die Jüngste energisch zur Küchenschublade marschiert war, in der ich die Haushaltsscheren aufbewahre, begann ich darüber nachzudenken, ob ich ihr den Wunsch nach kurzen Haaren erfüllen sollte.

Vorher: Soll ich das erlauben? Oder lieber nicht?

Ich fragte auf twitter herum, ob es spießig von mir sei, wenn ich nicht möchte, dass mein niedliches Mädchen eine kurze Jungsfrisur bekäme – und erhielt mannigfaches Echo. Einige wenige antworteten, dass sie das auf keinen Fall machen würden, das komme nicht in Frage. Aber die überwiegende Mehrheit meiner Timeline, also der Menschen, mit denen ich mich auf twitter unterhalte, unterstützte die Pläne meiner Tochter bzw. sagte mir deutlich, dass es in der Tat spießig sei, wenn ich mich da querstellte. Und so machte ich einen Frisörtermin aus, der eine Woche nach dem intensiven Nachdenken über die Kurzhaarfrisur fürs Mädchen lag.

Noch am Tag des Termins selbst dachte ich, dass das Mädchen es sich vielleicht anders überlegen würde, und auch die Frisörin sah sehr unschlüssig drein. „Soll ich das wirklich machen?“, fragte sie zweifelnd, und erst als die Tochter und ich sehr überzeugt nickten (bei mir war’s eher ein ratloses Achselzucken, fürchte ich), griff sie zur Schere und begann ihr Werk.

Gut 20 Minuten saß die Jüngste still. Sogar die Haarschneidemaschine ließ sie klaglos über sich ergehen, und das Abpinseln mit dem dicken Quast am Schluss. Dann stand sie vom Frisörstuhl auf und war zufrieden. Ich war erleichtert, es sah nicht so schlimm aus, wie ich gedacht hatte. Die großen braunen Kulleraugen des Mädchens kamen nun noch besser zur Geltung, und praktisch ist so eine Frisur allemal.

Die Reaktionen

In den Tagen nach diesem Frisörbesuch erfuhren wir die unterschiedlichsten Reaktionen. Viele Mitmenschen, Nachbarn, Bekannte waren entsetzt. „Das wächst ja wieder“ war noch einer der netteren Kommentare, aber eher ging die Reaktion in Richtung „Oh nein! Warum habt Ihr denn das getan!?“ Ich glaube, in meinem Wohnviertel wären Haarextensions oder auch eine Dauerwelle fürs Kind weniger unangenehm aufgefallen als der Kurzhaarschnitt, den meine Tochter nun trägt.

Zum Glück war der Kurzhaarschnitt im Kindergarten groß kein Thema. Es gibt dort eine Erzieherin, die auch solch eine Frisur trägt, und es war lustig zu sehen, dass die kleinen Jungs, mit denen meine Tochter sehr viel spielt, gar nicht viel Aufhebens um die neue Frisur machten. Das erinnerte mich an meine Erfahrungen als erwachsene Frau – Männer, sei es im Büro oder im Privatleben, merken es kaum, wenn sich die Haare einer Frau ändern, oder? Und die kleinen Mädchen im Kindergarten staunten zwar, und wollten keinesfalls kurze Haare haben, verloren aber auch kein Wort über den Haarschnitt.

Für Erwachsene, besonders Mütter von Mädchen, scheint das, was wir getan haben, eher anstößig zu sein. Die Mütter von Jungs wunderten sich zwar, waren aber nicht halb so entsetzt über die kurzen Haare wie Mädchenmütter.

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Frisur vor dem Kurzhaarschnitt

Ein bisschen kalt an den Ohren findet meine Tochter ihren Haarschnitt. Und deswegen denke ich, dass sie ihre Haare ganz so radikal kurz nicht mehr wird schneiden lassen wollen. Mir hat es ja optisch auch gut gefallen, wie es vorher war (Pagenschnitt. links zu sehen).

Ich bin gespannt, welche Wünsche sie beim nächsten Frisörbesuch äußert. Aber bis dahin ist ja noch ein Weilchen Zeit.

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