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Wo geht’s denn hier zur Inklusion!? Autismus und Lagerkoller für die ganze Familie

Seit Monaten verlassen meine Kinder kaum das Haus. Außer im Urlaub, aber der ist ja nun vorbei. In die Schule geht hier auch niemand. Es ist zum Haareraufen.

„Wissen Sie, wenn man immer aufeinanderhockt“, sagte der Therapeut neulich, „Dann werden die friedlichsten Leute zu Bestien.“ Es gebe da ein psychologisches Experiment, bei dem Menschen eingesperrt wurden und in die Gruppen „Wächter“ und „Insassen“ eingeteilt wurden, und es seien so beunruhigende Verhaltensweisen festgestellt worden, dass das Experiment abgebrochen werden musste. Es war nicht mein Therapeut, sondern der von einem der Kinder, und wir saßen dort, um Wege aus der Misere zu finden, mal wieder.

Die Schlaufe zwischen Abwarten und Handeln

Denn hier gibt es momentan nur Auswege, die uns allen Angst machen, der Jüngsten am wenigsten, weil die alles so autistisch pragmatisch sieht, und mir wahrscheinlich am meisten, weil ich die Verantwortung alleine trage. Verantwortung ist nicht gleich Schuld, aber es geht schnell, dass man Schuld auf sich lädt, das kann allerdings auch passieren, wenn man etwas nicht unternimmt, was man hätte tun sollen, und so hänge ich in der Schlaufe zwischen Abwarten und Handeln.

Das ist untypisch für mich, ich handle sonst immer, meist sogar zu früh. Jetzt aber habe ich das Gefühl, ich kann es nur falsch machen, und das lähmt mich. Deswegen habe ich auch die Kinderzimmer nicht umgeräumt, wie ich es ursprünglich nach dem Auszug der Großen vor einem Monat vorhatte. Wir leben in einem Provisorium mit einem fast leeren Zimmer, und es erscheint mir passend – nicht, weil die Große so fehlt, sondern weil ich nicht weiß, wie es weitergehen soll. Ich kann das jetzt nicht entscheiden. Ich muss warten.

Ich muss warten, bis meine Tochter (10) mit Asperger Diagnose endlich wieder in die Schule geht. Seit Februar ist sie unbeschult Zuhause, und das macht uns alle wahnsinnig. Die Regelschule taugte nicht mehr für sie, das war unaushaltbar für sie, trotz Entgegenkommen der Schule, trotz Schulbegleitung, trotz vieler Runder Tische und sehr engagiertem Autismusbeauftragtem. Gespräche mit dem Jugendamt, den freien Trägern, noch mehr Mails, WhatsApps mit der Schulbegleitung, es half alles nichts. Mein Kind sagte irgendwann: „Das macht keinen Sinn, Mama“, und sie hatte Recht. Die Schulbegleitung war nicht die Richtige gewesen, und ich hätte es eigentlich gleich wissen müssen, als sie nach dem Kennenlernen sagte, sie möge diese Frau nicht. Fortan war sie nicht mehr in der Schule.

Recht auf Teilhabe, Inklusion, Beschulung? Hahaha!

Seit 7 Monaten also hockt mein Kind mehr oder weniger Zuhause, dabei will es unbedingt in die Schule. Teilhabe, Inklusion, alles schöne Wörter, sie finden nur in der Praxis, zumindest hier, keine Anwendung. Meinem Kind ist langweilig, es hat sich vor lauter Langeweile selbst Lesen und Schreiben auf 5.-Klässlerniveau beigebracht via Unterhaltungen im Chat mit Internet-Spielfreunden, und es versteht nicht, warum es nicht endlich in die Schule darf. Weil alles seine Zeit dauert, Gutachten erstellt werden müssen, Anträge gestellt, Teambesprechungen abgehalten, Hilfepläne bewilligt werden müssen.

Derweil versauert mein Kind, und ob es jemals wieder fest in die Schule integriert wird, steht in den Sternen. Eine neue Schulbegleitung hätten wir am Montag kennenlernen sollen, die meldete sich aber krank, „Da kann man nix machen!“, meinte Jüngste, die trotzdem enttäuscht war, und ich hoffe, dass es nur bei der Krankmeldung bleibt und derjenige dem freien Träger und dem Jugendamt nicht wieder ganz abspringt, weil das ein mittelprächtig bezahlter Job mit reichlich Stress ist, und es schwer ist, jemanden zu finden.

Und so lange nix passiert, gehen sich mein Sohn, der wegen einer chronischen Krankheit auch seit dem Sommer Zuhause ist, und meine Tochter, auf die Nerven. Sie zanken, sie hassen und sie triezen sich, sie pubertieren vor sich hin. Und vor allem: Sie verlassen beide das Haus nicht. Mich macht das wahnsinnig, denn ich kann das Haus nicht verlassen, ohne WhatsApps zu bekommen, in denen sie sich übereinander beschweren oder von Streit berichten. Und wenn ich Zuhause bin, dann zicken sie sich an.

Ich kann hier nicht weg – und das gemeinsame Sorgerecht macht es nicht leichter

Heute früh war ich soweit, dass ich dachte, ich brauche dringend einen Job außerhalb dieser vier Wände. Oder ein neues Leben. Aber wie soll das gehen, mit einem schwerbehinderten  und einem chronisch kranken Kind? Ich muss auf Abruf zur Schule, wenn meine autistische Tochter wegen Überlastung abgeholt werden muss. Sie braucht Pflege und Betreuung, und in ein spezialisiertes Heim/eine Einrichtung möchte sie nicht, ich kann mir das auch nicht vorstellen für sie.

Ich muss da sein, wenn es brennt, und ich muss vor allem folgenschwere Entscheidungen fällen. Das mache ich seit 10 Jahren alles alleine, und ich bin unendlich müde davon. Dass das bei gemeinsamem Sorgerecht auf dem Papier alles noch eine Runde komplizierter ist, kann man sich denken – für jede verweigerte Unterschrift brauche ich einen Gerichtsbeschluss und die Fürsprache des Jugendamts, das zum Glück voll auf meiner Seite steht und wirklich zu helfen versucht im Rahmen seiner Möglichkeiten, aber die sind halt begrenzt.

Ach, könnte ich doch wenigstens einen Zusammenbruch hinlegen!

Ein neues Leben gibt es nicht für mich, ich kann nicht aussteigen. Das würde sich auch nicht gut anfühlen. Ich bin niemand, der wegläuft, wenn es schwierig wird. Also harre ich der Dinge und werde handeln, wenn es nötig ist. Trotz allem, trotz der Sorgen um meine alten Eltern, trotz der fehlenden Wärme in meinem Leben, denn der letzte Mann, der mich liebte, ist nun auch schon wieder 4 Jahre her, und ich hab wirklich manchmal keine Ahnung, woher ich die Kraft nehme.

Wahrscheinlich bin ich einfach nicht der Typ für einen Zusammenbruch. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, weiß ich nichtmal. Denn Zähigkeit kann auch manchmal einfach das Leiden verlängern. Und ich bin halt zäh, so wie schon meine Mutter, meine Oma und die Uroma. Zäh und sensibel, eine unbarmherzige Mischung. Nix für Weicheier. Also muss ich da wohl durch.