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Die Verpuppung zur Oma – ich werde jetzt grau

Jetzt sieht es nicht mehr aus, als wäre es Nachlässigkeit, jetzt ist es ein Statement. 5 Zentimeter, das ist kein Ansatz, das ist Absicht. Ich färbe meine Haare nicht mehr und ich werde grau.

Schwarzgrauweiß, nicht grau. Ich bin gescheckt, und ich weiß nicht, ob ich das schön finde, wohl eher nicht, aber das bin jetzt ich. Vielleicht gewöhne ich mich besser daran. Ein bisschen bin ich auch neugierig, wie es aussehen wird, wenn’s fertig ist, wenn kein bisschen Farbe mehr übrig ist, und nur noch ich zu sehen sein werde – eine Frau im ganz offensichtlich nicht mehr gebärfähigen Alter, die beschlossen hat, sich noch besser kennenzulernen.

Ganz freiwillig war das nicht: Dass Haarefärben potentiell gesundheitsschädlich ist, war mir theoretisch bewusst. Aber erst, als bei mir eine unheilbare Autoimmunerkrankung festgestellt wurde, habe ich das Übertünchen der weißen und grauen Haare infrage gestellt. Will ich 5 Jahre kürzer leben, um jünger auszusehen? Natürlich nicht. Und wer mich mit grauen Haaren nicht attraktiv oder interessant findet, wird das mit gefärbten Haaren auch nicht tun.

Nicht Fisch, nicht Fleisch

Die Frage ist ja eher: Wie sehe ich mich? Und das war bisher eben nicht als grauhaarige Frau. Ich gewöhne mich gerade um, denn den Realitäten ins Auge zu sehen ist eigentlich nie verkehrt. Auch wenn ich wünschte es ginge schneller, diese Übergangzseit, wo man nicht Fisch und nicht Fleisch ist, nicht grau und nicht gefärbt, die ist schwierig. Fast wie damals die frühe Pubertät, als kleine Hügelchen rund um die Brustwarze wuchsen, die aber keine Brust waren, sondern eher das Zeichen eines Verpuppungssstadiums.

Und wie sehen mich die Anderen? Sehen sie mich überhaupt? Ich kann von mir sagen, dass ich jeweils höchst irritiert war, wenn Frauen Mitte 50 ihre Haare nicht mehr färbten, und ich das nie als Verbesserung der Optik empfand. Möglicherweise ist das aber auch gar nicht der Punkt. Es ist eine Art Stinkefinger, den die Frau den Erwartungen zeigt. Sie färbt nicht mehr, sie sagt „Deal with it!“, und bevor sie das tun kann, muss sie selbst sicher sein, dass sie damit umgehen kann. Das bin ich jetzt.

Rasieren, färben, trimmen – am Ende alles Mode?

Und wäre da nicht diese Erkrankung, dann würde ich wahrscheinlich immer noch weiter färben. Eigentlich kann ich froh sein, dass sie mich zwingt, aufs Wesentliche zu achten. Aber nur daran kann es nicht liegen, denn ich habe mir auch seit Wochen die Beine nicht mehr rasiert, und das hat ja nun wirklich keinen Einfluss auf die Gesundheit. Das ist relativ gewöhnungsbedürftig, jedenfalls vom Anblick her, aber da ich bis ich 18 war eh meine Beine nie rasierte, weil man das damals einfach nicht tat als Frau, im Grunde auch nur ein Stückchen „Back to the roots“. Und wenn’s wieder warm wird, dann behalte ich mir vor, auch wieder zum Rasierer zu greifen.

Too much information? Nun, dann habe ich noch mehr. Die Achselhaare rasiere ich weiterhin regelmäßig, die Intimzone nur am Rand, weil ich das Gewuchere im Badeanzug nicht mag. Aber getrimmt wird nicht mehr, warum auch? Ich mochte als junge Frau meine Intimbehaarung gerne, aber das war vor der Zeit, in der Frauen möglichst haarlos sein sollten – damals war es ein Zeichen von sexueller Attraktivität, Achsel- und auch Schamhaare zu haben, man mag es heute kaum noch glauben. Am Ende ist auch all dies einfach nur Mode. Und da ich Mode liebe, kann ich es halten, wie ich will – es muss nur zu mir passen.

Ich möchte meine Mutter grüßen

Die grauen, oder grauschwarzweißen Haare, werden zu mir passen, das sagt jedenfalls meine Mutter, und die muss es wissen. Denn als ich 17 war und sie 45, da sagte ich ihr, sie solle doch lieber mit dem Haarefärben aufhören, das graue Haar sei viel schöner bei ihr. Sie lachte meine Anregung weg, aber ein paar Jahre später trugt sie sich dann doch Grauschwarzweiß. Heute ist es meine große Tochter, die findet, Grau würde mir gut stehen. Und natürlich hat sie Recht, genauso wie ich damals. Ich kann es nur noch nicht sehen.

Nunja, ich verpuppe mich jetzt. Und dann werde ich eben eine wunderschöne Oma.