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„Für hier oder zum Mitnehmen?“ von Ansgar Oberholz – keine Buchkritik

Das ist keine Buchrezension. Es ist eine ganz persönliche Rezeption des Romans „Für hier oder zum Mitnehmen?“ des Berliner Gastronomen Ansgar Oberholz. Ich habe das Buch gerne gelesen, als Roman fand ich es eher dürftig, aber weil ich den Rosenthaler Platz gut kenne – um genau zu sein, muss ich sagen: zwischen 1994 und 1999 kannte – war er für mich ein großes Lesevergnügen, das mir eine Mischung aus Nostalgie und Heimweh nach früher bescherte.

Im Oktober 2012 erst war ich zufällig (auf einem „Vordenker-Workshop zur Erkundung zukünftiger Bedarfe“ vom Fraunhofer Institut eingeladen) in einem Hotel direkt gegenüber von Oberholzs im Jahr 2005 gegründeten Lokal, im Ibis Hotel, und schaute aus dem Hotelzimmer im ersten Stock direkt auf den Rosenthaler Platz und auch das St. Oberholz. Ich bin nicht hineingegangen, weil es für mich teuer aussah, und nicht wie ein Laden, in den man als Mitt-40erin alleine spaziert.

ansgar oberholz buch

Stattdessen habe ich in einer Kneipe direkt gegenüber des Hoteleingangs, die schäbig, aber einladend wirkte, und in der ich früher oft verkehrte, als sie noch Skales (oder so ähnlich) hieß, ein Bier aus der Flasche getrunken, und mich auf die selbstgezimmerten Holzpodeste neben das andere Szenevolk gesetzt, unmittelbar an der Brunnenstraße. Was für mich übrigens ein unerhörtes und erhebendes Erlebnis war, ich habe noch nie irgendwo alleine ein Bier getrunken, schon gar nicht vor der Türe einer Szenekneipe. In eine Disco alleine zu gehen war kein Problem für mich, aber da geht frau ja auch zum Tanzen hin. Alleine Kaffee trinken in einem Gastro-Betrieb mag ich hingegen heute noch nicht.

Direkter Blick auf St. Oberholz vom Hotel aus
Direkter Blick auf St. Oberholz vom Hotel aus

Das St. Oberholz als Treffpunkt der digitalen Bohème habe ich also nicht kennengelernt, obwohl ich Teil der Bohème bin und sehr digital. Ich war schon 1994 digital, als ich nach Berlin zog, in die Nähe des Rosenthaler Platzes, um an der Humboldt-Uni als Assistentin zu promovieren. (Hey, ich habe DOS und LaTeX gelernt!).

Es zog mich aus Freiburg im Breisgau direkt in den Osten Berlins, wo der Rosenthaler Platz recht schnell ein zentraler Knotenpunkt in meinem Leben wurde. Ich machte begeistert „Hüpf und Spring“ (=Kurse) im fit am Rosenthaler Platz, wo viele Mitglieder auch unter anderem deswegen hingingen, weil sie zuhause keine Duschen hatten. Meine Trainerin Nadja dort war so gut, dass ich nie wieder in einem anderen Fitnessstudio Fuß gefasst habe, weil sich niemand mit ihrem Elan und ihrer Kompetenz messen konnte.

Oberholz treibt dort ebenfalls Sport und duscht mit „zwei echten Gorillas“ in einem „kleinen, recht schmutzigen Duschraum ohne Tageslicht“. Die Szenerie kam mir bekannt vor. :)

Kurs im fit am Rosenthaler Platz, 1997
Kurs im fit am Rosenthaler Platz, 1997
Feuerstein Weinbergsweg 1998
Feuerstein Weinbergsweg 1998

Im Weinbergsweg, wo Autor Oberholz nach seinem ausgewachsenen Kater im „Gorki Park“ Essen geht, habe ich in der damals noch dort gelegenen Kneipe „Feuerstein“ (sie war gleich unten, am U-Bahn-Ausgang) meine Promotion gefeiert, indem ich den ganzen Laden für einen Abend mietete (darauf musste ich eine Weile sparen) und bei dem bärtigen Wirt oft nach dem Sport mit meinen Freundinnen bei einer Weinschorle gesessen. Das Feuerstein ist jetzt heute übrigens in der Veteranenstraße, wie ich sah – eventuell noch unter dem selben Besitzer. Schwer zu sagen, denn Menschem mit Bart sehen ohne Bart gänzlich anders aus.

Die Ackerhalle in der Invalidenstraße, in der Oberholz in dem Roman einkaufen geht, war mein Supermarkt, zuerst ein „Bolle“ und später ein „Spar Extra“. Heute ist hängt ein  „REWE“-Schild über dem Eingang. Bei meinem letzten Besuch erkannte ich sie kaum wieder, das Publikum war, ausgenommen die Kassiereinnen, die noch berlinerten und ostig aussahen, komplett ausgetauscht. Früher gab es in der Ackerhalle keine Kinder und keine Bio-Gemüse einkaufenden Mitt-30er, sondern dickbäuchige Renter, die Bierdosen und Hundefutter in ihre Einkaufswagen legten.

Besonders gut gefallen hat mir, wie Oberholz den Geruch der U-Bahn beschreibt, mir ging es auch so, dass ich beim ersten, kürzlichen Besuch in Berlin seit 1999, als ich fort zog, begeistert die Luft der U8 am Rosenthaler Platz einzog. Dieser warme Luftzug, das Knirschen, der staubig-ölige Geruch – herrlich!

Auch die Liebe von Oberholz zu Friedhöfen teile ich. Meine Lieblingsfriedhöfe warern der Ackerfriedhof und der Sophienstädtische Friedhof, beide nur 5 Minuten vom Rosenthaler Platz, Richtung Bernauer Strasse, aber noch im Osten. Sie waren wilde, verwunschene, vergessene Orte voller Grün in den 90ern. Beim Lieblingsfriedhof von Oberholz, dem Garnisonsfriedhof, befand sich die Absturzkneipe „Eimer“, an der ich auf meinem Heimweg vom Nachtleben (es gab da eine Disco in der Sophienstraße, die nicht schlecht war, und auch die Oranienburger Straße war in den 90ern ein guter Ausgeh-Ort) oft vorbeiradelte.

friedhof-elisabethkirch-mit
Elisabethkirchsfriedhof, Ackerstrasse, 2012

Der beste Absatz des Romans ist für mich dieser:

„Die Torstraße ist eine dicke Vene auf der Hand der alten Diva Berlin, violett hervorstechend unter der schon dünn gewordenen Haut der Hand, die schon so vieles getragen hat, deren Knöchel deutlich hervorstehen. In der Mitte der Vene, dort, wo man die Nadel für eine Infusion setzen würde, liegt der Rosenthaler Platz mit Café.“ (S. 185)

So ist es. Und die Venen führen das Blut zum Herzen hin.

Quelle: Ansgar Oberholz: Für Hier oder zum Mitnehmen? Ullstein Extra 2012, ISBN 978-3-86493-009-6 für 14,99 €. 238 Seiten.

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