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Hauen darf man nicht – häusliche Gewalt aus Kindersicht

Ein weiterer Gastbeitrag, der mich erreichte, dessen Autorin anonym bleiben möchte. Ich veröffentliche ihn, damit – hoffentlich – weiteren Menschen klar wird, wie man zur Alleinerziehenden werden kann. Und ganz unten erklärt ein TED-Talk, wieso sich Betroffene nicht einfach trennen. Schwer verdaulich, beides. Aber wichtig, es nicht totzuschweigen.

Emil (5) vermisst seinen Papa ganz arg, denn die Mama mag nicht mehr mit ihm wohnen, und Papa holt ihn nur selten ab. Der Papa wird manchmal ganz plötzlich doll wütend und schmeiβt dann mit Sachen, so dass früher oft die Polizei kam. Das macht Emil Angst:

„Wenn ich groβ bin, will ich Polizist werden. Die helfen einem nämlich, wenn etwas Schlimmes passiert und hauen dürfen die auch nicht, nur wenn sie müssen, um andere Leute und Kinder zu beschützen. Meine Mama kennt einen Mann bei der Polizei, der hat ihr geholfen, als der Papa sie ganz doll gehauen hat, und das darf man nicht, dafür kann man ins Gefängnis kommen, sagt die Mama. Manchmal mache ich mir deswegen Sorgen, weil ich Streit im Kindergarten mit meinen Freunden habe und wir raufen, aber die Mama hat mir erklärt, dass Kinder nicht ins Gefängnis kommen deswegen und erst noch lernen müssen, dass Hauen keine gute Idee ist.

Haus mit Alarmanlagen, in dem alle ganz sicher sind
Haus mit Alarmanlagen, in dem alle ganz sicher sind

Früher, als der Papa noch bei uns gewohnt hat, gab es ganz oft lauten Streit, der war so schlimm, dass ich manchmal heute noch davon träume und oft Pipi ins Bett mache. Deswegen trage ich auch noch eine Windel nachts, obwohl ich schon bald 6 werde. Das dürfen meine Freunde aber nicht wissen, das ist mir peinlich. Aber immer im nassen Bett nachts aufwachen mag ich auch nicht, und darum machen wir das mit der Windel bis ich sage, dass ich wieder versuchen will, ohne zu schlafen. Die Mama sagt, das ist in Ordnung, und irgendwann klappt das schon.

Eigentlich will Mama mich gerne überreden, in die Trennungsgruppe beim Kinderpsychologen zu gehen. Aber ich mag nicht, weil der Papa doch wieder bei uns wohnen will und ich wünsche mir das auch, nur die Mama möchte das auf gar keinen Fall mehr, das macht mich immer ganz traurig. Jedenfalls mag ich in keine Trennungsgruppe gehen, weil ich auch nicht getrennt sein will, obwohl ganz viele Kinder aus meinem Kindergarten Eltern haben, die nicht mehr zusammen wohnen. Aber bei allen andern kommt der Papa regelmäβig zum Papawochenende oder so, nur meiner kommt wochenlang nicht und ich hatte ganz am Anfang, als er ausgezogen war, Angst, dass ich ihn nie wiedersehe. Das hat er auch gesagt, ich erinnere mich genau, als die Mama ihm einen Brief von ihrem Anwalt gegeben hat: „Die Kinder sehen mich nie wieder!“, da habe ich ganz doll geweint, auch weil er so gebrüllt hat und ich Angst hatte, dass er wieder Sachen schmeiβt und die Türen knallt, das hat er nämlich oft gemacht.

Besonders wenn der Papa am Abend viel Wein getrunken hat ist der immer ganz komisch geworden, zuerst wahnsinnig lustig, und er hat laut Musik angemacht und mit uns Quatsch gemacht. Dann hat uns die Mama irgendwann ins Bett gebracht, aber wir wollten gar nicht, weil es gerade so lustig war, aber der Papa wollte mir der Mama alleine sein und ihr ganz viel erzählen, der hat immer geredet wie die Leute im Fernsehen und nicht mehr aufgehört. Wenn ich dann im Bett lag und noch CD gehört habe, ist dann der Papa oft immer lauter geworden, und manchmal hat dann irgendetwas gerummst und geknallt im Wohnzimmer, und Papa fing an zu schreien, da habe ich mich unter meine Decke verkrochen und mir die Ohren zugehalten und geweint. Das hat aber niemand gemerkt, das habe ich der Mama erst viel später erzählt.

Einmal ist der Papa, als wir einen Ausflug gemacht haben, und er plötzlich einfach so ganz wütend wurde, ganz schnell mit dem Auto losgefahren, da saβen wir alle schon drin, und ich war aber noch nicht angeschnallt, und die Mama hat den Papa gefragt, ob er will, dass wir alle spucken müssen. Da hat er feste gebremst und die Reifen haben gequietscht, ich bin vom Kindersitz gefallen und habe mir die Stirn angestoβen am Vordersitz und ganz arg geweint. Weil der Papa so rumgebrüllt hat habe ich lieber gleich aufgehört mit Weinen, und die Mama hat gesagt, sie steigt jetzt mit uns aus und fährt mit dem Zug nach Hause, aber das ist dann doch nicht passiert, sondern wir sind weitergefahren und niemand hat mehr ein Wort gesagt, bis wir zuhause waren.

Scheidung und Streit aus Kindersicht
Scheidung und Streit aus Kindersicht

Vorletzten Sommer ist der Papa dann ausgezogen, weil die Mama ihn nicht mehr lieb hat. Das hat mir zuerst ziemlich Angst gemacht, weil ich dachte, die Mama hat mich auch nicht mehr lieb, wenn ich mich schlecht benehme, und ich hab ausprobiert, was passiert, wenn ich viel schreie und Türen knalle und Sachen schmeiβe. Aber ich weiβ jetzt, dass die Mama mich immer lieb hat, weil man nicht einfach aufhört, seine Kinder liebzuhaben. Sachen schmeiβen und Türen knallen darf man deswegen trotzdem nicht.

Papa hat gleich nach seinem Auszug ganz viele Partys gemacht und Leute eingeladen, und eine neue Freundin hatte er auch. Die ist viel jünger als Mama und groβ und hat dunkle Locken, und ich mag sie gern. Mama hat gesagt, dass die Tanja sicher ganz nett ist, auch wenn die Mama sie nicht kennt, und dass sie sich freut, dass der Papa so eine nette Freundin hat. Tanja spielt oft mit mir, wenn ich den Papa besuche, und sie kocht und putzt für den Papa. Nur neulich war’s einmal ganz doof, da ist genau das gleiche passiert wie früher bei uns zuhause, da hat der Papa einen lauten Streit mit der Tanja angefangen, als ich dort übernachtet habe. Und dann hat er wieder Geschirr und Gläser geschmissen, und Türen geknallt, und ist wie ein Rumpelstilzchen im Wohnzimmer rumgehüpft. Da habe ich mich in das Gästezimmer verkrümelt und gewartet, bis das vorbei ist, und mir die Ohren zugehalten unter der Decke.

Ich war traurig, weil der Papa zu mir immer gesagt hat, dass er sich geändert hat und bald wieder bei uns wohnen kann, wenn die Mama sich das anders überlegt. Aber der Papa hat sich überhaupt nicht geändert. Und dass er so einen Zirkus macht, weil die Mama eine schlechte Frau war, glaube ich nun auch nicht mehr, denn die Tanja ist immer ganz nett zu ihm und macht alles, was er will. Übernachten mag ich jedenfalls erstmal nicht mehr beim Papa, und wenn ich ihn besuche, habe ich immer ein bisschen ein mulmiges Gefühl und bringe am liebsten einen Freund mit oder meine groβe Schwester, dann bin ich nicht so allein.

Seit der Papa nicht mehr bei uns wohnt, ist unser Kater viel lieber im Wohnzimmer, der ist früher immer weggerannt vor ihm. Und ich darf jeden dritten Tag bei der Mama im Bett einschlafen, das durfte ich früher nie, und ich liebe das. Dann rede ich mit der Mama über Sachen, die ich mich sonst nicht zu sagen traue und wir kuscheln. An den anderen dritten Tagen darf meine groβe Schwester bei der Mama schlafen, die ist schon in der 6. Klasse, und manchmal will die Mama auch alleine schlafen. Dann legt sie sich zum Lesen in mein Bett, wenn ich dort einschlafen soll, denn alleine habe ich Angst. Das war als der Papa ausgezogen ist noch viel schlimmer, da hatte ich immer, wenn die Mama aus dem Haus ging oder ich in den Kindergarten, Angst, dass sie nicht wiederkommt. Jetzt weiβ ich aber, dass die Mama nicht einfach weggeht und nicht wiederkommt.

Meine kleine Schwester ist erst 2 Jahre alt und die war erst einmal ganz kurz den Papa besuchen, als die Tanja auf sie aufgepasst hat. Bei uns sind also nur Mädchen im Haus, das finde ich oft doof, ich hätte so gerne jemanden da, der auch mal mit mir tobt und Männersachen macht. Aber im Kindergarten haben wir jetzt einen männlichen Erzieher und einen groβen Schüler, der mal guckt, wie ihm die Arbeit im Kindergarten gefällt. Und dann spiele ich halt viel mit den beiden, wenn ich dort bin, das ist auch schön. Einen neuen Freund oder anderen Mann will die Mama nämlich erstmal nicht haben, hat sie gesagt. Manchmal male ich ihr einen netten Mann, und schenke ihr das Bild. Dann nimmt sie mich in den Arm und sagt, dass sie mit uns schon genug zu tun hat und ganz zufrieden mit ihrem Leben ist.“

Ted Talk von Morgan Steiner: Warum Opfer häuslicher Gewalt nicht gehen (Englisch)