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Das „Tages-Du“: Übers Siezen und Duzen

Beim Golfspielen, las ich gerade auf Wikipedia, kann ein Spieler seinen flüchtig bekannten oder unbekannte Mitspielern das „Tages-Du“ anbieten. Was für eine feine Sache – in dem einen sozialen Kontext wird gesiezt, im anderen geduzt. Ohne Verbindlichkeit. Duzen stellt im Deutschen der Gegenwart Nähe her, zumeist in der Familie und unter Gleichaltrigen oder Gleichgesinnten.

Nicht immer wird man gefragt, ob man geduzt werden will, an gewissen Orten wird das vorausgesetzt – in Internetforen, in Fitness-Studios, in den meisten Blogs, auch auf twitter (wobei dort die Anrede oft umgangen wird), und ich stelle fest, dass es auch unter Kindergartenmüttern gang und gäbe ist, sich einfach zu duzen. Das ist für mich manchmal etwas komisch, denn ich bin Teil einer Generation, der noch beigebracht wurde, dass jeder Schüler ab der 11. Klasse gesiezt wird, und Erwachsene sowieso, bis man etwas anderes vereinbart.

Wenn mich zum Beispiel eine Erzieherin, die 20 Jahre jünger ist als ich selbst, ungefragt duzt, dann fühlt sich das für mich sonderbar an. Das mag spießig sein, aber da ich alle Erzieher respektvoll sieze, erwarte ich Gleiches eigentlich auch für mich. Ganz gerne setze ich dabei das sogenannte „Hamburger Sie“ ein, bei dem die höfliche Form „Sie“ mit dem jeweiligen Vornamen kombiniert wird. So hielten wir es als Lehrende auch gegenüber den Studierenden an der Uni in den 90ern, das war Usus und ging mir leicht über die Lippen.

Ich gehe vom Sie schnell zum Du über, wenn mir das Gegenüber sympathisch ist, oft schon nach zwei Sätzen, aber ohne zu fragen, ob die Andere einverstanden ist, würde ich das nicht machen wollen. Was aber nicht bedeutet, dass Menschen, die ich sieze, mir unsympathisch sind – es gibt da einen guten Bekannten, den ich schon viele Jahre kenne und sieze, mit dem ich einfach die Kurve noch nicht bekam, zum Du überzugehen. Und je länger man sich kennt und siezt, desto komischer ist es, sich auf einmal zu duzen. Also bleiben wir dabei, denke ich.

In diesem Blog habe ich anfangs meine Leser gesiezt, wie ich das als Autorin und Journalistin gewohnt war. Aber je tiefer ich in diese Blog-o-Sphäre eintauche, desto mehr rutsche ich ins Du ab, was ein bewusster und sich natürlich anfühlender Prozess ist. In Foren duze ich unbekannte Menschen schon länger, die Leser des Blogs sehe ich jedoch eher als „echte Menschen“, da ich ihre Blogs oft kenne, teilweise mit ihnen auf Facebook befreundet bin, und ihnen Gesichter zuordne – das ist also für mich etwas anderes.

Wenn man sich die Geschichte der Höflichkeitsform im Deutschen anguckt, sieht man, dass auch sie stetem Wandel unterlag, das liegt in der Natur aller lebenden Sprachen. Einen Menschen höflich mit „Er“ anzusprechen, das käme uns heute geradezu aberwitzig vor. Und die eigenen Eltern zu siezen, erst Recht. Noch vor 30-40 Jahren war es undenkbar, die Eltern der Spielkameraden zu duzen – heute ist es relativ normal, auch in meinem Haus, dass die mit meinem Nachwuchs regelmäßig spielenden Kinder mich duzen, und ich biete das auch gerne an, weil es mir sehr altmodisch vorkäme, von den Kindern als „Frau Finke“ bezeichnet zu werden.

Was ich gar nicht mag, ist wenn Eltern beim Elternabend die Lehrer duzen und umgekehrt – es sei denn, sie sind schon gemeinsam in die Schule gegangen mit dem Pauker. Das habe ich einst in der Grundschule bei der ältesten Tochter erlebt, und war höchst pikiert. Ich empfand das als plumpe Nähe und unangemessen seitens des Lehrers, der das Duzen mit Eltern von Kindern aus seiner Klasse nicht hätte annehmen dürfen. Es wirkte auf mich wie eine Sortierung der Eltern in zwei Klassen – nicht schön.

In den letzten fünf Jahren war ich beruflich viel in Skandinavien, und zwar jeweils 15 Mal eine knappe Woche in Norwegen. Dort werden nur noch sehr alte Menschen gesiezt, und das auch eher in dörflichen, entlegenen Gegenden. Sogar der Firmenchef oder hochrangige Politiker sind in diesem Kulturkreis mit allen per Du, und da dies dort üblich ist, wirkt es auch überhaupt nicht respektlos. Es ist schon beeindruckend, wie normal einem in einer Fremdsprache und in einem anderen Land eine Sprachregelung vorkommen kann, die in der eigenen Sprache schwer vorstellbar ist – das kennen wir ja auch vom Englischen, wobei dort zumindest im Schulenglisch eher eine umgekehrte Variante des Hamburger Siezens praktiziert wird, nämlich das Du + Nachname, solange man sich nicht gut kennt (dass es sich historisch um eine Pluralform handelt, lassen wir jetzt mal außenvor).

Meine Kinder werden wahrscheinlich mit einem Sprachgebrauch aufwachsen, in dem nur noch als Ausnahme gesiezt wird, denke ich. Das Internet treibt diese Entwicklung mit Riesenschritten voran, und für Kinder, für die es normal ist, die Eltern der Freunde zu duzen, ist es später auch natürlich, den Chef per Du anzureden. Zumal wenn dieser selbst in einer Generation groß geworden ist, die Duzen nur in sehr formellen Kontexten kennt.

Dann wird auch irgendwann eine Gesetzesänderung fällig – denn Duzen als beleidigenden Straftatbestand anzusehen, das geht bei veränderten Realitäten nicht mehr. Einen Anfang machte schon das Gerichtsurteil im Prozess gegen Dieter Bohlen, der 2006 einen Polizisten duzte und dafür nicht verurteilt wurde – weil er konsequent alle Menschen in seinem Umfeld duzt und insofern der Vorsatz der Beleidigung wegfällt. Nach dem praktizierten Duzen wieder zum Sie überzugehen, kann einem übrigens keiner verbieten.

Aber, um damit wieder die Kurve in diesen Blog zu kriegen, hier wird in Zukunft geduzt. Ich duze Euch jetzt, liebe Leser. Einverstanden? Wer’s nicht mag, möge mich siezen, dann sieze ich auch ohne beleidigt zu sein zurück. Wie Ihr mögt!