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Du bist immer so negativ! Szenen einer Ehe.

Sie konnte es nicht mehr hören. Er hatte so viele Ideen, was man alles tun könnte (und folglich sollte). Wenn sie sich ausruhen wollte, fing er an, richtig Gas zu geben, so wie das eine Mal, als sie von einer 5-tägigen Geschäftsreise aus dem Ausland heimgekommen war, und er sie mit der Idee überrascht hatte, gleich zu einem Ski-Wochenende in Österreich aufzubrechen.

„Ist das nicht eine tolle Idee, Schatz?“, fragte er, keine Widerrede duldend, und erwartete, dass sie die Koffer für 4 packte und sich schnell hübsch machte. Dass das große Kind noch in der Garage bei der Ankunft dort im 5-Sterne-Hotel kotzte, weil 6 Stunden kurvige Anfahrt einfach zu viel gewesen waren, das konnte ja keiner ahnen. Aber wehe, sie hätte vorher gesagt, dass dem Kind schlecht werden würde. Oder dass sie einfach nur ausruhen wollte. Ausruhen, das war etwas für Schwächlinge, wer mit ihm mithalten wollte, der musste auf Zack sein. Und als seine Frau hatte sie auf Zack zu sein. So einfach war das.

Wann war sie so negativ geworden? Sie konnte sich nicht erinnern, keinen Punkt festmachen, an dem die Sache gekippt war. Bis auf die eine Begebenheit, als das erste Kind ein paar Wochen alt gewesen war. Da war sie so müde gewesen, das Baby schlief nicht, sie dachte, dass sie im Stehen einschlafen würde, und der Mann hatte gesagt, lass uns doch zusammen frühstücken. „Hm, ja“, hatte sie zugestimmt, schon leicht mürbe, weil sie keine Energie hatte, sich zu streiten, und dann war sie eingeschlafen, bevor das Frühstück begonnen hatte. Das Ausmaß seines Beleidigtseins über dieses ihr Einschlafen hatte sie erstaunt. Fast untertänig hatte sie sich entschuldigen müssen, er war doch so geknickt, wie hatte sie es wagen können, ihn so zu enttäuschen? „Das ist nur, weil ich dich so liebe, ich hätte so gerne mit dir gefrühstückt!“, brachte er vor, und sie konnte nicht festmachen, was an dieser Begründung falsch sein sollte.

Und dabei blieb es. Egal, was er vorschlug, es schien ihr lästig. „Schlag du doch Mal etwas vor, ergreife die Initiative!“, war sein Vorschlag, um das Dilemma zu lösen. Aber sie war so hoffnungslos im Hintertreffen, was sprudelnde Ideen betraf, dass sie sich vorkam wie auf verlorenem Posten. Wie ein Fuchs auf der Lauer wartete er auf Vorschläge, auf Initiativen, sie fühlte sich wie gelähmt, wo war ihre Energie, ihre Kreativität hin? „Du bist immer so negativ!“, das hörte sie nun wöchentlich, am Ende täglich. Woher kam das bloß? War sie so ein Miesepeter?

Wenn sie sich im Spiegel anguckte, sah sie eine griesgrämige mittelalte Frau mit heruntergezogenen Mundwinkeln. „Sieh dich doch an, wie verbittert du aussiehst“, hielt er ihr den Spiegel vor, und sie wunderte sich über die Frau im Spiegel, die so rein gar nichts mit ihr zu tun hatte. Oder sah sie das falsch? War es nicht ein Wunder, dass er es überhaupt mit ihr aushielt, musste sie nicht dankbar sein für seine ausdauernde Liebe?

Manchmal, wenn ihr bei der Arbeit etwas richtig gut gelungen war und sie ihre Freude darüber mit dem Mann teilen wollte, vergaß sie, dass alles, was er dazu sagen würde, „Ach, du lässt dich im Büro wieder feiern? Und ich sitze hier mit der ganzen Arbeit für unsere Firma!“ sein würde. Irgendwann hörte sie auf, ihm zu erzählen, worüber sie sich freute. Auch für ihren neuen Firmenrechner hatte er nur „Sei nicht traurig, dass du nur so ein zweitklassiges Modell bekommen hast“ übrig gehabt. Da hatte sie verstanden, dass ihre Freude für ihn unterträglich war. Ihr Leid war seine Freude. Das war krank.

Szenenwechsel.

Als sie ihn dann losgeworden war, in einem Befreiungsschlag, der sie fast das Leben gekostet hätte, da war alles Negative weg. Es kam auch nicht wieder, egal wie schlecht oder schwierig die Lage gerade war. Sie hatte darauf nicht spekuliert, nur gewusst, dass sie mit ihm nicht mehr leben konnte, es ging darum, wer von ihnen beiden das Schlachtfeld zuerst und möglichst heil verlassen würde, und auch das hätte sie weder vor der Trennung noch währenddessen so klar benennen können. Aber mit der Zeit konnte sie es sehen: Das Negative, das war er gewesen, und er hatte es ihr übergestülpt, damit sie es für ihn tragen würde, und er sich als Lichtgestalt zeigen könnte, das war sein Treibstoff, und es war fatal für die Liebe, die sicher auch da gewesen war, aber unter diesen Voraussetzungen kümmerlich eingehen musste wie ein Setzling auf dem falschen Nährboden.

Negativ nannte sie nun keiner mehr, schon seit vielen Jahren nicht mehr. Aber den anderen Pol, den hatte sie verloren. Das Mitreißende, die Geschwindigkeit im Denken und Handeln, die vielen zündenden Ideen, die fehlten ihr manchmal. Einst hatte jeden Tag ein Silvesterfeuerwerk stattgefunden, heute musste sie selbst eine Wunderkerze anzünden, wenn sie Funken sehen wollte. Und auch das tat sie nur selten, aus Angst, andere Leute zu verbrennen. Obwohl sie Funken eigentlich mochte. Dunkelheit war auch keine Alternative. Kerzenflackern langweilig. Sie wusste nicht, wie lange es ihr noch gelingen würde, sich aus allem herauszuhalten. Und sie das überhaupt wollte. Vielleicht war es an der Zeit, selbst wieder zu leuchten.

© rcfotostock - Fotolia
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