„Du bist zu empfindlich. Es ist völlig normal, sich mal anzuschreien und bei meinen Eltern flog auch öfter mal Geschirr durch die Wohnung“, erklärte er ihr ernsthaft. Der Fehler musste bei ihr liegen. Sie war offenbar in einem überbehüteten Umfeld groß geworden. Ihre Eltern stritten sich so gut wie nie, es hatte nicht ein Mal Geschrei in ihrem eigenen Elternhaus gegeben, geschweige denn dass Teller oder Gläser duch das Reihenhaus geflogen wären.
Temperamentvoll war er, ihr Partner. Launisch, sagte sie an schlechten Tagen, aber an guten Tagen riss sein Schwung, Esprit und Geist alle mit. Er war halt sehr, sehr sensibel – und sie als Frau, die ihn nicht genügend liebte, verstand es einfach nicht, diese Sensibilität richtig zu deuten und ihn zu umsorgen, so wie er im Gegenzug doch sein bestes gab, sein „letztes Hemd“, um für sie den Himmel auf Erden zu bereiten.
Hatte sie nicht alles, was sie wollte? Und viel mehr, als sie je erträumt hatte? Nach außen sah alles so gut aus. Eine wunderschöne Wohnung mit Designermöbeln, ein gutaussehender, charmanter, geistreicher Mann – und dann noch die entzückenden Kinder. Ja, das war ein tolles Leben. Nur warum fühlte es sich an wie ein goldener Käfig? Und warum gingen alle auf Zehenspitzen, wenn dieser wunderbare Mann nach Hause kam und man schon am Geräusch des Türe Öffnens hörte, ob er gut drauf oder schlecht gelaunt war?
Wehe, man guckte ihn nicht liebevoll oder bewundernd genug an ein einem solchen Tag. Dann hieß es gleich „Was glotzt du wie eine Kuh wenn’s donnert?“, und falls noch eine unangenehme geschäftliche Mail eintrudelte, konnte es auch passieren, dass „Du dumme Fotze!“ vor den Augen und Ohren der Kinder an die nicht genug liebende Ehefrau geschrien wurde, denn irgendjemand musste doch als Blitzableiter herhalten, die Welt war schlecht, niemand würdigte ihn in seiner Großartigkeit genug, das musste Konsequenzen haben.
Abends hörte er dann laut Musik, oft bis in den frühen Morgen, egal, ob die Kinder schlafen sollten oder die Nachbarn sich beschwerten. Er knallte mit den Türen, weckte Frau und Kinder aus dem Schlaf, wenn er wütend war und noch „etwas ausdiskutieren wollte“. Manchmal klingelten die Nachbarn, gelegentlich stand die Polizei vor dem Haus, so an dem Tag, als er auf Passanten mit Bierdosen aus dem 4. Stock schmiss, weil er befürchtete, dass jemand Kratzer an sein Auto machen würde.
Wenn sie ausging, betrank er sich daheim, so dass sie ihn nicht guten Gewissens mit den Kindern alleine lassen konnte. Das Aufpassen auf die eigenen Kinder empfand er als schwere Arbeit, die von der Frau zu leisten sei, schließlich arbeite er doch den ganzen Tag hart außer Haus, um „der Familie das Geld in den Arsch zu schieben.“ Einen Babysitter ins Haus lassen, damit die Frau sich abends mit Freunden treffen könne, während er sich erholte, wollte er auch nicht. Geld hatten sie genug. Aber einen fremden Menschen zum Aufpassen holen, das widerstrebte ihm. Und so ging die Frau nicht mehr aus, zumal bei einem der seltenen Ausgänge die junge Katze tot am Ende der Metalltreppe lag, als sie nach Hause kam, weil sie gestürzt war, ein dummer Zufall musste das gewesen sein, auch dass der Rauchmelder wie wild piepte und der Mann nicht aufzuwecken war, sodass sie die Leiche der jungen Katze nachts in der Biotonne entsorgte, damit das Kind morgens nicht den Schreck seines Lebens erleben würden.
Dass er eine harte Kindheit gehabt hatte, in der Gossensprache und Prügel normal waren, hielt sie ihm lange zugute. Er versuchte ja wirklich, ein liebevoller Mann zu sein. Oft gelang ihm das auch. Dann strahlte er wie ein kleiner Junge, es war mitreißend zu sehen, wie begeistert er sein konnte, wenn ihm etwas gut gelang. Er las ihr die Wünsche von den Augen ab, er spürte genau, wo die Schwachstellen seiner Feinde waren, in die er dann genüsslich bohrte. Anfangs faszinierte es sie, die Macht zu sehen, die er über andere Menschen hatte. Später dachte sie, den Mann will ich nicht zum Feind haben, und viel später, als er schon lange ihr Feind war, empfand sie nur noch Grauen beim Gedanken an ihn. Und Mitgefühl für die Frau, die sein neues Opfer geworden war. Nicht alle überleben es, sich von so einem großartigen Mann trennen zu wollen, wenn sie merken, dass er sie vernichtet mit dem, was er für Liebe hält. Manche werden erschossen, mit Säure übergossen, erstochen, erwürgt, überfahren – man liest es jede Woche in der Zeitung. Da steht dann „Familiendrama“ oder „Ehestreit“, wo „Mord wegen häuslicher Gewalt“ stehen müsste oder „Ehrenmord“, wie es gerade die Bloggerin Jacinta Nandi in der taz über Reeva Steenkamp schrieb.
Sie las diese Berichte mit stockendem Atem, mit Wut, mit Ohnmacht. Er mache ihr Angst, hatte Reeva Steenkamp an Oscar Pistorius getextet, der sie einige Tage später töten würde. Das sei Teil einer ganz normalen Beziehung, urteilte Richterin Masipa über Pistorius und Reeva gerade.
Nein, das ist es nicht. Wenn eine Frau zu ihrem Mann sagt, dass sie Angst vor ihm hat, das wusste sie genau, dann spürt sie, dass er dazu fähig íst, Gewalt anzuwenden. Auch ihr Mann hatte ihr Angst gemacht. Nicht in den ersten Jahren der Beziehung, erst nach fast 10 Jahren. Er hatte sich verändert, seitdem seine Firma richtig gut lief, sprach von Dingen, die ihm zustünden, die auch sie, die Frau, ihm „geben“ müsse, seine Augen wurden dabei schwarz, er baute sich bedrohlich vor ihr auf, von dem netten Jungen, den sie einst kennengelernt hatte, war nichts mehr zu sehen, er war wie ein Fremder im Körper eines Zwillings ihres Mannes, sogar seine Stimme veränderte sich, er war ein Zombie. Und er war gefährlich.
Die ersten Jahre hatte er seine eigenen Dinge zerstört, wenn „die Wut“ ihn packte. Später trat er gegen Fensterscheiben, schmiss den Kleiderschrank um, warf Geschirr an die Wand und den Ehering in den Mülleimer, um dann am nächsten Tag mit einem dicken Strauß langstiliger Baccararosen reuig am Küchentisch zu stehen und zu beteuern, das komme nie wieder vor, ob’s nun wieder gut sei? Da wollte sie ihm noch eine Chance geben, nicht wissend, und nicht sehen wollend, dass mit jeder Chance, die sie ihm gab, seine Hemmungen sinken würden.
Bis er eines Tages ihr eine knallte, dass ihr Hören und Sehen verging und sie Sterne sah. Zwei Tage lang hatte sie Kopfweh, zu sehen war nichts von der Verletzung, und überhaupt hatte sie ja auch selbst ein bisschen Schuld gehabt, denn sie hatte einen Kollegen anziehend gefunden und ihm das erzählt, da war er so gekränkt, dass er ausrastete, er liebte sie so sehr, beteuerte er, daran, nur daran liege es. Mit allen komme er bestens zurecht, er sei überall beliebt, nur sie bringe ihn so in Rage, es müsse an ihre Schuld sein, da war er ganz sicher. Sie hätte verhindern müssen, dass er so außer sich geriet, sie müsse ihm helfen, er wolle das doch gar nicht, er sei ein schlechter Mensch, ach, sterben wollte er, das wäre das beste!
Zwei Jahre später schlug er sie unvermittelt und heftig mit dem Hinterkopf an die Wand in Hausflur, als sie „frech“ war, den Anlass hat sie vergessen, vielleicht hatte sie komisch geguckt, es war zu diesem Zeitunkt schon fast nicht mehr möglich, es ihm recht zu machen. Freunde, an die sie sich hätte wenden können, hatte sie nicht mehr, alle gemeinsamen Freunde hatte er ausgesucht und ihr die eigenen madig gemacht oder sie durch Anzüglichkeiten vertrieben, so dass sie niemand mehr gerne besuchte. Als sie sich weitere 6 Monate später von ihm trennte, war sie froh, dass er es nicht geschafft hatte, sie zum Bruch mit der eigenen Familie zu überreden, denn er hatte ja mit seiner komplett gebrochen, man wollte nun ausschließlich aufeinander zählen, das war sein Traum.
Dass er sie durch die Wohung schleifen würde, nachdem sie ihm gesagt hatte, dass es aus sei, und sie nicht mehr mit ihm leben wolle, dass er ihr die Brille im Gesicht zerknüllen würde, sie mit dem Kopf gegen die Wand knallen würde und dass er sie schlussendlich rücklings mit einem Messer am Hals auf die Küchenzeile legen würde, um ihr im Würgegriff zu zeigen, wer der Herr im Haus ist, das hatte sie sich beim schlimmsten Willen nicht vorstellen können.
Sie hatte Glück, er ließ ab. Und er ging ins Bett.
Am nächsten Morgen rief sie ihren Chef an, erzählte, dass sie zur Polizei müsse, weil sie geschlagen worden sei vom eigenen Mann. Sie ging zur Gewaltberatungsstelle, zum Arzt, der einen Verletzungsbogen und eine Akte anfertigte, dann auch noch zum Anwalt, sie erzählte allen, dass sie sich getrennt hatte, und manchen auch warum, woraufhin diese aus allen Wolken fielen und sie bemerkte, dass es schwierig sein würde, überhaupt über Gewalt in der Ehe zu reden, denn selbstredend würden alle, die noch nie damit zu tun haben, im Brustton der Überzeugung sagen, dass ihnen das nie passieren könnte, so wie sie selbst das auch gesagt hätte aus Unwissenheit. Und dass es doch einen Grund gegeben haben müsse für das Verhalten des Mannes. Das mag sein, aber es spielt keine Rolle, denn was er tat, war unentschuldbar. Sie würde ihm nie verzeihen. Und das war richtig so.
Linktipps: Jacinta Nandi „An Ehrenmord by any other name would smell as sweet“ in den taz Blogs, 14.09.2014
Gastbeitrag auf kleinerdrei: Jede fünfte Frau erlebt häusliche Gewalt. Ich bin eine von ihnen. vom 15.09.2014
Hilfe bei: re-empowerment e.V. Frauen gegen Partnerschaftsgewalt und BIG e.V Berlin Hilfe für Frauen und Kinder bei häuslicher Gewalt