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Muss der jetzt auch noch was sagen!? Über Wortmeldungen im Gemeinderat

Warum melden sich manche so ausufernd zu Wort und andere gar nicht? Einblicke über die Kultur der Wortmeldungen aus Sicht einer Stadträtin.

„Es gab mal einen Stadtrat“, so wurde mir bei einem sogenannten Nachsitzungsbier erklärt, „Der hat sich in der ganzen Zeit, in der er im Gemeinderat war, nicht zu Wort gemeldet.“ Das Nachsitzungsbier war bei mir ein Glas Wein, weil ich Bier für ungenießbar halte, und wir standen nach der letzten Sitzung des Gemeinderats vor der Sommerpause im wunderschön beleuchteten Garten des Veranstaltungsorts, an dem wir meist tagen, noch beisammen. Das Nachsitzungsbier verdient eine eigene Kolumne, denn es ist eine wichtige Institution nicht ohne Fallstricke für die politische Teilhabe. Aber dazu ein anderes Mal mehr.

Als Stadträtin, die sich anfänglich sehr schwer getan hat mit eigenen Wortmeldungen und die mit den Ritualen und Gepflogenheiten im Stadtrat und den dazugehörigen Gremien ziemlich haderte, war ich neugierig. „Ahja?“, wandte ich mich an die Umstehenden, von denen Einige zustimmend genickt hatten, als die Rede auf den schweigsamen Volksvertreter kam. „Wer war das, und wann? Der hat also wirklich die ganzen fünf Jahre rein gar nichts gesagt!?“
So richtig genau wusste es niemand mehr, aber es wurde übereinstimmend berichtet, dass es schon lange her gewesen ist, und dass derjenige Mitglied der CDU gewesen sei (Das ist ein bisschen lustig, denn die CDU, wie ich sie im Gemeinderat kenne, ist ausgesprochen redefreudig).

Die Lokalzeitung wertete die Wortmeldungen aus – und gab mir den entscheidenden Schubs

Ich staunte, dachte ich doch, ich sei in meiner ersten Wahlperiode absolut herausragend still in den Gemeinderatssitzungen gewesen, was sich erst änderte, als die Lokalzeitung in einem Artikel eine Statistik in Form eines Balkendiagramms veröffentlichte, in dem sie die Wortmeldungen und Redezeiten der GemeinderätInnen aus den veröffentlichten Protokollen ausgewertet hatten. Und ich war da letzte oder vorletzte gewesen, was mich ein bisschen geärgert hat, denn in den Sitzungen der Ausschüsse, die ich als Stadträtin auch bediene (auch das ist noch ein Thema für eine weitere Kolumne) hatte ich im Prinzip zu jedem behandelten Thema im Namen meiner Fraktion etwas gesagt, aber das war halt nicht Teil der Auswertung der Zeitung, und da stand es nunmal schwarz auf weiß: Ich meldete mich im Gemeinderat zu wenig zu Wort. Das hat mich schon etwas gewurmt und auch meinen sportlichen Ehrgeiz geweckt – einen Ehrgeiz, den ich beim Sport tatsächlich überhaupt nicht habe, den mache ich nämlich ausschließlich zum Spaß und zum Zwecke der Entspannung.

Mich zu Wort zu melden in den ersten Jahren des Gemeinderats, was ich im Ehrenamt ausübe, und in den ich erst im Alter von 48 kam, fand ich enorm schwierig. Ich hatte keine Übung darin, meine Gedanken in diesem Gremium anzubringen. Ich musste mich an die Mikrophone gewöhnen, in die man spricht, ich wusste nicht, wie Gremienarbeit funktioniert, weder vor noch hinter den Kulissen, und ich musste auch für mich erst ausprobieren, in welcher Form und Sprache ich meine Beiträge anbringen möchte.

Ich experimentierte mit vorgefertigten Redebeiträgen, wobei ich meist eher unwohl fühlte, wenn ich sie vortrug, mit Stichpunkten, die ich erst während der Wortmeldung ausformulierte, und mit spontanem Vortrag. Es hat viele Sitzungen und Jahre gebraucht, bis ich den besten Modus Operandi für mich gefunden habe, und etliche Male musste ich mich dafür aus meiner Komfortzone schubsen. Aber ich hatte es mir ja vorgenommen, und mein Vorsatz war, mich mindestens jede Gemeinderatsitzung ein Mal zu melden, sofern es sinnvoll war.

Wortmeldungen aus Prinzip oder weil die Presse da ist

Das mit der Sinnhaftigkeit ist keine nebensächliche Sache, denn genau daran haperte es bei mir am Anfang (damit meine ich die ersten Jahre im Gemeinderat!): Ich konnte mir keinen Reim darauf machen, warum sich wer wann meldet, um was genau zu sagen. Damit verbunden natürlich die Frage, wann und warum ich mich melden sollte, und wofür das wichtig war. Außerdem gibt es ja auch Fraktionssprecher, die theoretisch im Namen der Fraktion sprechen, aber so richtig eng wird das bei uns zumindest im Gemeinderat nicht gesehen, da reden alle Räte.

Dass bei jedem Thema jede Fraktion einmal spricht, so sie denn will, um der Öffentlichkeit und auch sich selbst kundzutun, wie ihre Position ist, hatte ich relativ bald verstanden. Aber warum meldeten sich manche Stadträte bei jedem Ausschuss und dann noch im Gemeinderat, um immer dieselben Punkte zu bringen? Warum gab es von einer Fraktion manchmal mehrere Wortmeldungen demselben Thema? Nun, manchmal schlichtweg, weil die Presse mit im Raum sitzt, was in Zeiten zusammengesparter Lokalredaktionen überhaupt nicht mehr selbstverständlich ist (Auch das notiere ich mir als Kolumnenthema), und weil Politik auch öffentliche Wahrnehmung braucht.

Zum anderen aber auch, um den Punkt einfach aus Prinzip nochmal zu machen, weil das zum Markenkern der jeweiligen Fraktion/Person im Rat gehört. Und da jede Fraktion andere Markenkerne hat, meldet sich mal der eine, mal der andere im Gemeinderat oder einem Ausschuss zu Wort, obwohl eigentlich gar nicht viel zu besprechen wäre – es geschieht vor allem aus Prinzip und nicht, wie ich anfangs angenommen hatte, um die anderen stimmberechtigten Ratsmitglieder von der eigenen Meinung zu überzeugen (letzteres ist eher die Ausnahme). Das wiederum hat zur Folge, dass dann auch die Arme von Vertretern der 6 weiteren Fraktionen für Wortmeldungen in die Höhe schnellen. Denn sobald einer etwas sagt, wollen sich die anderen nicht stumm verhalten, wie sieht denn das aus!?

Sitzfleisch als entscheidende Eigenschaft fürs Anhören von Wortmeldungen

In dieser Praxis, von der ich auch nicht weiß, wie man sie abschaffen sollte und ob das überhaupt sinnvoll wäre, liegt einer der Gründe für die langen Sitzungszeiten, mit denen wir als ehrenamtliche LokalpolitikerInnen uns manchmal herumquälen. Zu allem Überfluss gibt es, wie überall, auch mehr und weniger talentierte Redner, und manch Wortbeitrag ist nicht nur langweilig oder abstrus, sondern auch schlecht vorgetragen. Da braucht man eine Menge Geduld und Sitzfleisch, um das zu ertragen, und das ist auch der Grund, warum man uns Politiker, auch die Ehrenamtlichen, manchmal aufs Tablet oder Handy schauen sieht während der Sitzungen. Vier bis sechs Stunden „Frontalunterricht“ sind schlichtweg sehr anstrengend, und so lange dauern unsere Sitzungen, die in den Abend hineingehen, regelmäßig.

Doch zurück in den Garten und zur Nachsitzung. Denn die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Wir standen also mit Bier oder Wein beisammen, über uns funkelten Lichterketten, der Abendhimmel war dunkel und es ging auf Mitternacht zu. Die Gruppe, bei der ich stand, und die mir von dem sagenhaft schweigsamen Gemeinderat erzählt hatte, nippte am gekühlten Getränk. Und plötzlich durchbrach ein älterer Rat in der Runde die Stille: „Doch, einmal hat der sich gemeldet!“ Sieben Köpfe drehten sich neugierig zum Sprecher hin. Der grinste wie jemand, der einen guten Gag zu erzählen hat, holte Luft und prustete los: „Und das war, als er „Ende der Debatte!“ gefordert hat.“

Das habe ich mir nicht ausgedacht, ich schwöre es bei meiner Autorinnenehre. (Und außerdem gibt es Zeugen dafür.) Ich habe sehr, sehr lange nicht mehr so gelacht wie in diesem Moment. Und was es mit „Ende der Debatte!“ und anderen Geschäftsordnungsgepflogenheiten auf sich hat, erzähle ich euch ein anderes Mal.